Als im Jahr 2020 das historische, im Zentrum des burgenländischen Kittsee befindliche Barockensemble zum Verkauf angeboten wurde, überlegten Gabriele und Gerhard Ströck nicht lange, ob sie das Haus vor dem Verfall retten sollten oder nicht. Schließlich hatten ihre direkten Vorfahren ihre Backstube in dem Gemäuer. Allerdings war nicht klar, wie viel Zeit und Geld in das neu erworbene, denkmalgeschützte Objekt zu investieren sein würde. Bis auf die Grundmauern war vieles zu sanieren. Der Teil des Hauses, der seit Jahrzehnten unbewohnt war, befand sich in ruinösem Zustand.

Nach über zweijähriger Renovierung erstrahlt das Barockhaus mit Backstube in Kittsee in neuem Glanz.
Fotos: Gregor Auenhammer

Nach über zwei Jahre andauernden Renovierungs- und Revitalisierungsarbeiten erstrahlt das aus einem Anflug nostalgischer Sentimentalität erstandene Refugium in neobarocker Pracht. In Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt bargen die grosso modo regionalen Professionisten unter der Ägide von Bauherr Ströck sensationelle Schätze.

Warum Gerhard Ströck nicht lange zögerte, die ehemalige Keimzelle der Bäckerdynastie, das denkmalgeschützte Haus in Kittsee, zu kaufen? "Für den Seelenfrieden", aus Demut und Traditionsbewusstsein, für die Zukunft. Die Familiengeschichte der Ströcks lässt sich lückenlos bis ins Jahr 1540 zurückverfolgen – damals war ein gewisser Kaspar Hüttlinger Bäckermeister im Kloster von Auhausen. Generationen später, Mitte des 19. Jahrhunderts, übersiedelte Johann Michael Hüttlinger nach Kittsee. Er betrieb das Bäckergewerbe, zunächst als Leibeigener unter der Dynastie der Grafen Esterházy, denen er, damaligen Usancen entsprechend, Zehent abliefern musste, später als freier Mann und Selbstständiger. Seine Backstube befand sich mitten im Zentrum jenes Ortes, der damals wie heute Grenzgebiet und Verkehrsknotenpunkt war.

Das Haus, das er sein Heim nennen durfte, war einst das Geburtshaus des Violinisten, Dirigenten und Komponisten Joseph Joachim. Als Wunderkind von Mendelssohn Bartholdy gefördert, mit Kontakten zu Liszt, Schumann, Brahms, zog es ihn in die Ferne. Joachims Geburtshaus verwaiste und ging in den Besitz des Bäckermeisters über. 1851 heiratete Hüttlinger eine gewisse Barbara Ströck und legte den Grundstein einer Dynastie, die in ihrem Metier bis heute Botschafter der Handwerkskunst und des guten Geschmacks ist. Getreidehändler Johann Ströck übernahm Bäckerei und Wohnhaus.

Fotos: Gregor Auenhammer

Jahrzehnte später sollte Johann Ströck junior Kittsee Richtung Wien verlassen. Aus einem kleinen Geschäft in der Industriestraße machten die Gebrüder Gerhard und Robert und deren Frauen Gabriele und Irene ein imposantes Firmenimperium mit fast 100 Filialen, 1700 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 120 Millionen Euro. Das Haus in Kittsee blieb in der Verwandtschaft, aber verwaiste. Gewerblich ungenutzt, waren Backstube und Geschäft ab 1968 gänzlich dem Verfall preisgegeben.

Einzigartige Wandmalerei

2020 erstand Gerhard Ströck die ehemalige Keimzelle der Bäckerdynastie, ließ sie von Grund auf renovieren, sanieren und revitalisieren – und dabei kamen einige sensationelle Funde zutage. Unter dutzenden Schichten fand man im Wohnsalon florale barocke Wandmalereien, die – abgesehen von Schloss Esterházy – einzigartig sind im Burgenland. Hinter einem zugemauerten Fenster fand man eine feinst ziselierte Ähre aus Schmiedeeisen. Sie wurde, wie die Fresken im Salon, von Restauratoren saniert und erstrahlt wieder gülden.

"Das zarte Hellgrau der Fenster und Türen war eine Anregung des Bundesdenkmalamts", erzählt Gabriele Ströck. Angereichert und veredelt wurde das komplett sanierte Haus durch diverse Preziosen: Jugendstil-Kachelofen von Powolny, Interieur mit Geschichte statt Zeitgeist, Sternparkett aus einem alten Wiener Palais – so hart, dass die Schleifmaschine zweimal den Geist aufgegeben hat. Für das Stiegenhaus, die Gänge und Nassräume erstanden die Hausherren historische Fliesen der Firma Schwadron, die bei Renovierungen alter Wiener Gründerzeit-Zinshäuser das Zeitliche segnen sollten, aber vor der Zerstörung gerettet wurden. Die Wände zieren Stillleben, welche fast ausnahmslos das Bäckergewerbe als Thema haben.

150 Jahre alter Backofen

Die morschen Holztüren wurden stilvoll durch schmiedeeiserne "Fetzentüren" aus dem 18. Jahrhundert ersetzt. Das Lachen der Enkelkinder erfüllt den historischen Raum mit neuem Leben. Im Hof, der künftig als Schanigarten eines Cafés fungieren wird, gibt es ein ebenfalls sensationelles Fundstück: einen geziegelten Erdbrunnen. Ein weiteres Exponat von Bedeutung aber darf nicht unerwähnt bleiben: der 150 Jahre alte Backofen. Die im Original funktionstüchtigen Ziegel – datiert Anno Domini 1873 – wurden vorsichtig abgetragen und für einen neuen, nach tradierter Bauart gefertigten Ofen wiederverwendet.

Fotos: Gregor Auenhammer

Um die Herzensangelegenheit zu ermöglichen, pilgerte Gerhard Ströck mit Bäckermeister Pierre Reboul eigens nach Paris, in die legendäre Boulangerie Poilàne. Das Ergebnis der Wallfahrt wurde in Form eines in Österreich einzigartigen Backofens umgesetzt. Vier Stunden lang werden die Holzscheite im Zwei-Kammern-System links und rechts des Backraums beheizt, erst nach Niederbrennen des Feuers erhalten die Brotlaibe die typischen Röst- und Feueraromen.

Zurück zu den Wurzeln

Verbacken wird hier ausschließlich zu Sauerteig vergorener Kittseer Bioweizen. Verkauft wird "das besondere Brot" alter Rezeptur jeden Samstag am Karmelitermarkt und im hippen "Feierabend" in der Burggasse. Auch in Kittsee wird der alte Verkaufsraum revitalisiert. Zurück zu den Wurzeln sozusagen. Die von Ideen beseelte Zukunft verspricht nicht minder spannend zu werden. (Gregor Auenhammer, 27.11.2022)