Es gibt noch einige wenige Themen, zu denen Washington und Moskau einer Meinung sind – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Beide wollen die türkische Bodenoffensive in Nordsyrien nicht, mit der Präsident Tayyip Erdoğan droht. Russland hat wenig Interesse daran, in Syrien diplomatische und militärische Energie einsetzen zu müssen, um ein neues Arrangement mit Ankara zu finden. Die USA fürchten erneut um ihre lokalen Partner am Boden, die kurdischen YPG-Milizen, die von der Türkei bereits aus der Luft angegriffen werden. Dabei werden auch Zivilisten getötet.

Die USA haben in dem Gebiet eine kleine Militärpräsenz: Wenn die Türkei die YPG verdrängt, rücken sich USA und Russland, aber auch USA und syrische Regimetruppen gefährlich nahe. Ein schrecklicher Profiteur wäre auch der "Islamische Staat", der von den Kurden in Schach gehalten wird.

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan droht mit einer türkischen Bodenoffensive in Nordsyrien.
Foto: IMAGO/Xinhua/Mustafa Kaya

Erdoğan wird von innen- wie auch von außenpolitischen Gründen angetrieben: 2023 stehen Wahlen an, um die Wirtschaft und um die Umfragen steht es schlecht. Die PKK ist immer ein gutes Argument, um Fronten zu schließen. Außenpolitisch kann sich der türkische Präsident viel mehr leisten, seit er zum letzten Verbindungsglied zum russischen Präsidenten Wladimir Putin geworden ist. Alle brauchen ihn, nicht zuletzt zur Aufrechterhaltung der Getreidelieferungen aus der Ukraine.

Und das türkische Parlament hat den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens noch nicht ratifiziert, neben Ungarn, über das sich Beobachter aber weniger Sorgen machen. Ankara wirft Helsinki, aber vor allem Stockholm noch immer zu viel Nachsicht gegenüber der türkisch-kurdischen Terrororganisation PKK vor und rechnet, anders als viele in der EU, die der PKK ideologisch nahestehenden Parteien anderswo dazu, wie die syrisch-kurdische PYD mit ihren Milizen YPG. Eine Einigung innerhalb der Nato auf einen Kampf gegen diese Art von "Terroristen" wird demnach in den Details schwierig. Das ist, neben Waffen, was die Türkei von der Nato will.

Vor drei Jahren ist es Putin noch einmal gelungen, Erdoğan die 30-km-Pufferzone auf syrischem Territorium auszureden, wo er – ein Zuckerl für die EU – syrische Flüchtlinge ansiedeln will. In die Gleichung gehört auch das ebenfalls von der Türkei kontrollierte Gebiet um Idlib in Westsyrien, wo es zuletzt starke russische und syrische Regime-Angriffe auf die von Ankara gestützten Rebellen gegeben hat. In Syrien läuft es oft auf ein Arrangement zwischen Russen und Türken hinaus. (Gudrun Harrer, 24.11.2022)