Ob Corona ein ganz "normales" Weihnachten möglich macht? Rauch bleibt noch etwas vage, deutet aber Optimismus an.

Foto: Helena Lea Manhartsberger

Wien – Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) fordert im STANDARD-Interview, bürokratische Hürden für ukrainische Flüchtlinge abzubauen, damit diese leichter am Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Er unterstütze den entsprechenden Vorschlag von AMS-Chef Johannes Kopf und verweist auf eine "Annäherung" von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) in der Sache.

Kocher hatte am Dienstag im ORF-Report gesagt, ihm wäre sehr recht, wenn möglichst viele der aus der Ukraine Geflüchteten am Arbeitsmarkt tätig würden. Man müsse aber beachten, dass bei einer Integration der Vertriebenen ins Sozialhilfesystem für diese dann die Pflicht bestehe, Arbeitsplätze in Österreich anzunehmen.

Auch in Rauchs Ressort fällt die aktuelle Situation an den Krankenhäusern, die seit Wochen wegen Engpässen Schlagzeilen macht und dieser Tage wieder ganz besonders. Viel Stoff für ein Gespräch mit Rauch, das am Donnerstag kurzfristig zustande kam und bei ihm im Ministerium stattfand.

STANDARD: Laut einer von der Wiener Ärztekammer in Auftrag gegebenen Befragung sieht eine große Mehrheit der Spitalsärztinnen und Spitalsärzte große Engpässe bei der Patientenversorgung. Wie stellt es sich Ihnen dar?

Rauch: Die Corona-Pandemie hat ein bestehendes Problem verschärft. Es besteht ein akuter Arbeitskräftemangel im Gesundheits- und Sozialbereich und insgesamt in der Wirtschaft, was zu einer Konkurrenzsituation der Branchen führt. Wir haben eine Pensionierungswelle und immer mehr Menschen in Teilzeit. Wir haben im Bereich der Pflege eine ganze Reihe von Maßnahmen gesetzt, um die Ausbildung und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir brauchen einen einfachen Arbeitsmarktzugang beispielsweise für ukrainische Flüchtlinge. Und es ist evident, dass wir ohne zusätzliches Personal von außerhalb Europas auf Dauer nicht auskommen werden. Manche scheuen sich, diese Wahrheit auszusprechen, weil sie glauben, die FPÖ hat etwas dagegen. Darauf kann ich aber keine Rücksicht nehmen.

STANDARD: Aber wie ist die Lage in den Spitälern, wie sehr ist die Versorgung beeinträchtigt?

Rauch: Man muss differenzieren nach Regionen und kann es nicht über einen Leisten schlagen. Da Ärzte im niedergelassenen Bereich eher in die Wahlarztpraxis gehen und nicht Kassenverträge annehmen, entsteht eine Schieflage, und die Patienten gehen in die Spitäler, also ins teuerste System. Der stationäre Bereich in den Spitälern ist in Länderkompetenz, und für den ambulanten ist die Sozialversicherung zuständig. Da wird permanent versucht, die Linien hin- und herzuschieben. Uns muss es gelingen, dass die Frage der Finanzierung nicht durchschlägt auf die Versorgung. Aktuell tut sie das. Und das ist ein Schaden.

"Das Stichwort ,Finanzierung aus einer Hand‘ traut sich niemand in den Mund zu nehmen. Das wäre die Lösung."

STANDARD: Es braucht also eine Finanzierung aus einem Topf?

Rauch: Das Stichwort "Finanzierung aus einer Hand" traut sich niemand mehr in den Mund zu nehmen, weil alle daran gescheitert sind. Aber das wäre die Lösung. Wir haben eine künstliche Trennung in einem Feld, das eine ganzheitliche Betrachtungsweise braucht. Gesundheit besteht nicht nur aus der Abwesenheit einer Erkrankung. Ich bin ja ein optimistischer Mensch und rede mit der Sozialversicherung, der Ärztekammer und den Bundesländern. Alle merken, wenn wir so weitermachen, geht es sich irgendwann nicht mehr aus. Als Hebel bleiben die Verhandlungen über den Finanzausgleich alle fünf Jahre. Darüber reden wir jetzt.

STANDARD: Es wird tausende Ausbildungsplätze in Pflegeschulen geben, im Praktikum entstehen dann aber oft wegen der angespannten Lage große Belastungen, was angehende Pflegekräfte abschrecken kann. Was tun?

Rauch: Praxisanleitung und Ausbildung brauchen Zeit. In Spitälern und Pflegeheimen sind Dokumentationspflichten enorm angewachsen. Da werden Tätigkeiten von Menschen verrichtet, für die sie überqualifiziert sind. Dafür braucht es Personal für Verwaltungsarbeiten.

STANDARD: Sie haben eine EU-Initiative angekündigt, um Pflegepersonal aus Nicht-EU-Ländern anzuwerben. Woher soll dieses kommen?

Rauch: Das braucht noch fundierte Analyse. Das muss auch mit dem Wunsch verbunden sein, nach Europa zu kommen. Da habe ich schon eine Sorge: Österreich hat jahrzehntelang eher den Eindruck vermittelt: Bleibt draußen. Es werden jene Länder attraktiv sein, die den Menschen vermitteln: Wir brauchen euch, ihr seid willkommen.

STANDARD: Und dann muss es auch einfach sein, zu kommen ...

Rauch: AMS-Chef Johannes Kopf hat den Vorschlag gemacht, Vertriebene aus der Ukraine in die Sozialhilfe hineinzunehmen. Dem hat sich auch Arbeitsminister Kocher angenähert. Es darf da keine Denkverbote mehr geben. Ich bin der Meinung, der Anspruch auf Sozialhilfe ist eine gute Möglichkeit, um Ukrainer leichter in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

STANDARD: Wie bringt man Ärztinnen und Ärzte dazu, Kassenverträge in peripheren Regionen anzunehmen?

Rauch: In meinem Heimatbundesland gibt es beispielsweise eine Initiative, die organisiert zwei Ärztinnen und Ärzten für eine gemeinsame Praxis alles, was sie brauchen: Sprechstundenhilfe, Gebäude, Buchhaltung. Das funktioniert sehr gut. Es braucht solche flexiblen Modelle neben der klassischen Hausärztin und den Primärversorgungszentren. Ich orte da auch eine Bereitschaft der Standesvertretung, flexibler zu sein.

STANDARD: Stichwort Corona: Wird es ein "normales" Weihnachten geben?

Rauch: Das kann heute niemand mit Sicherheit sagen. Aktuell sind wir in einer seitwärts leicht ansteigenden Bewegung. Die Entwicklung scheint sich einzupendeln dahingehend, dass wahrscheinlich diese kleineren Wellen handelbar werden mit den Maßnahmen, die wir haben: Impfung, Medikamente, Gratistests, ein gutes Abwassermonitoring. Es sieht derzeit also ganz gut aus. (Gudrun Springer, 24.11.2022)