Mit Nothing hat Carl Pei Oneplus hinter sich gelassen und versucht sich erneut an einer eigenen Firma. Die will sich langfristig ein Hardware-Ökosystem aufbauen und hat dafür zuerst mit den Ear 1 drahtlose Ohrhörer und mit dem Phone 1 ein eigenes Android-Handy veröffentlicht. Vor kurzem war wieder ein Audioprodukt an der Reihe, diesmal Earsticks genannt.

Die Earsticks gehen als Alternative zu Apples Non-Pro-Airpods ins Rennen, sollen aber für circa die Hälfte des Preises* von deren aktueller dritter Generation überzeugen. Ihr Nennpreis liegt bei 120 Euro, das Markenprodukt aus Cupertino kommt, je nach Ladehülle, auf 210 oder 220 Euro. DER STANDARD hat die Ohren gespitzt und die Earsticks einem Test unterzogen.

Ästhetik

Worin sich das Alternativprodukt jedenfalls deutlich von seinem Mehr-oder-weniger-Vorbild unterscheidet, ist seine Ästhetik. Während die Apple-Hörer in einem weißen, rechteckigen Ladecase daherkommen, stecken ihre Nothing-Pendants in einer Röhre mit aufklappbarem Fenster, die auch als Teleporter oder anderes Sci-Fi-Equipment auf einem Raumschiff für Klemmbausteinfiguren durchgehen könnte.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Ähnliches gilt auch für die Bluetooth-Hörer selbst. An deren wuchtigem Hörteil steht der namensgebende "Stick" heraus, der dank transparenten Kunststoffs auf einer Seite Einblick ins Innenleben gewährt. So sehr sich Nothing also hier als Alternative zu Apple begreifen will, man kann dem Unternehmen nicht vorwerfen, einen Klon produziert zu haben.

Passform und Einrichtung

Was Airpods und Earsticks freilich gemeinsam haben ist, dass ihr Hörteil als "Universalgröße" gedacht ist und keine Anpassbarkeit über Silikonstöpsel ermöglicht. Das erleichtert die Konstruktion und senkt die Kosten, sorgt aber auch – je nach Ohr – für unterschiedlichen Tragekomfort. Im Falle des Autors dieser Zeilen saßen die Earsticks sicher und ohne dabei unmittelbar zu stören, wirklich "bequem" war die Passform aber über mehrere Stunden hinweg auch nicht.

Auch das recht leichte Gewicht von 4,4 Gramm pro Hörer wog das nicht auf. Schweiß und Regen können den Hörern zumindest nichts anhaben, sie sind nach IP54 zertifiziert, also geschützt gegen Staub und Spritzwasser.

Die Einrichtung geht immerhin leicht vonstatten. Über den Button am Gehäuse werden die Hörer in den Pairing-Modus versetzt und anschließend auf dem Smartphone, Tablet oder einem anderen kompatiblen Endgerät via Bluetooth-Menü verbunden. Unter Android hilft Googles Fast Pair dabei, dass das reibungslos und flott klappt. Unterstützt wird Bluetooth 5.2 und abwärts, als Codecs sind AAC und SBC verfügbar, apt-X oder LDAC gibt es nicht.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Bedienung

Bei der Bedienung setzt man auf Gesten, die man per Druck auf die Seite der Sticks setzt. Für jeden Hörer gibt es dabei vier mögliche Gesten: zweimal drücken, drücken und halten, zweimal drücken und halten oder dreimal drücken, wobei letztere Geste nachträglich mit einer Funktion belegt werden muss und nicht vorkonfiguriert ist. Welche Geste welche Steuerfunktion auslöst, lässt sich für jede Seite individuell einstellen. So kann man bei Musik hin- und herschalten, mit Anrufen interagieren oder auch den jeweils eingestellten Sprachassistenten mit Kommandos füttern.

Das klappt nach etwas Gewöhnung auch ganz gut. Tatsächlich ist diese Form der Bedienung praktischer und tendenziell fehlerfreier als über berührungsempfindliche Außenflächen, wie sie einige Hörer mitbringen. Die (abschaltbare) Trageerkennung unterbricht auch zuverlässig die Wiedergabe, wenn man einen der Hörer aus dem Ohr nimmt. Die automatische Fortsetzung funktioniert im Test allerdings gelegentlich nicht.

Klang und Features

Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf dem Klang, ist doch Schallübertragung ins Ohr die Hauptaufgabe des Geräts. Hier wirbt der Hersteller mit 12,6-mm-Treibern, die in diesem Format die größten sein sollen, die bislang in drahtlose Ohrhörer integriert wurden. Ein größerer Treiber hilft insbesondere bei der Umsetzung sauberer Bässe, und solche darf man den Earsticks getrost zugestehen.

Screenshot: Nothing X

Das vorkonfigurierte Equalizer-Profil bringt etwas überbetonte Bässe mit, was sich aber mit einem eigenen Konfigurationsschema ausmerzen lässt. Allerdings gibt es hier keine Feineinstellungen, sondern nur eine grobe Einteilung in Bass, Mitten und Höhen – was in den meisten Fällen aber ausreichend sein sollte. Vermisst wird allerdings die Möglichkeit, mehrere eigene Profile anlegen zu können.

Ist die Bassdominanz abgestellt, hört man auch schöne Mitteltöne und Höhen, die bei hoher Lautstärke aber ganz leicht verzerrt klingen können. Insgesamt kann man das Klangprofil als dem Preis durchaus angemessen bezeichnen. Optional lässt sich ein Modus für schnellere Latenz einschalten, der etwa beim Spielen helfen kann. Dabei dürfte allerdings zur Verringerung des Datenaufwands die Kompression hochgeschraubt werden, sodass hier leichte Einbußen bei der Klarheit des Gehörten auffallen.

Was wie bei den klassischen Airpods fehlt, ist aktive Geräuschunterdrückung. Einen Lärmfilter gibt es nur für Hintergrundbeschallung bei der Sprachübertragung. Abseits der physischen Barriere zum Außenlärm soll stattdessen eine "Basslock" getaufte Funktion dabei helfen, beim Musikgenuss nicht allzu sehr von seiner Umgebung gestört zu werden.

Screenshot: Nothing X

Der Name ist etwas irreführend, denn dabei handelt es sich um eine dynamische Laustärkeregelung, die basierend auf der von den Mikrofonen aufgezeichneten Intensität des Umgebungslärmes die Lautstärke um bis zu drei Dezibel hinauf- oder hinabregelt. Abschalten lässt sich das nicht direkt, es war aber während der Testlaufzeit auch nicht nötig. Tatsächlich klappt diese Anpassung so reibungslos und unauffällig, dass sie erst auffällt, wenn man den direkten Vergleich mit anderen Hörern vornimmt. Oder die Trageerkennung deaktiviert, an die Basslock offenbar aus technischen Gründen gekoppelt ist.

Worüber Basslock allerdings nicht hinwegtäuschen kann ist, dass der "Goldstandard" für das akustische Ausblenden der Umgebung weiterhin aktive Geräuschunterdrückung (ANC) ist, die teils schon deutlich günstigere Ohrhörer mitbringen. Bemängelt werden muss auch das Fehlen eines "Transparenzmodus", mit dem sich Außenlärm über die Mikrofone durchschalten lässt, wenn man gerade mehr mitbekommen möchte, ohne die Hörer aus den Ohren zu nehmen.

Großes Lob verdient die Sprachqualität. Der Gesprächspartner wird klar und deutlich wiedergegeben, mit einem akustischen Profil, das klar auf Sprachausgabe ausgelegt ist. Gleichzeitig ist man selbst ebenfalls sehr gut zu verstehen. Dabei wird auch Hintergrundlärm souverän ausgeblendet, selbst wenn man bei Wind und Wetter entlang einer befahrenen Straße geht. Hier spielen die Earsticks gut mit teureren Geräten von Apple und Co mit.

App und Akkulaufzeit

Die diversen Einstellungen der Earsticks werden über eine eigene App zugänglich gemacht. Sie heißt Nothing X und ersetzt die Ear-1-App auf Android und iOS, die zuvor exklusiv für die anderen Ohrhörer von Nothing zuständig war. Bei Besitzern des Nothing Phone ist die App seit Firmwareupdate 1.1.4 bereits Teil des Systems. Abseits von den bereits erwähnten Equalizereinstellungen ist ihr Interface einfach und selbsterklärend.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Nennen sollte man an dieser Stelle noch das Feature zum Auffinden der Sticks, mittels dem man sich über die Auswertung der Stärke des Bluetoothsignals grob in die richtige Richtung führen lassen kann. Das bedeutet freilich, dass eine erfolgreiche Suche auch nur in Reichweite besagter Drahtlosverbindung möglich ist.

Zu den Stärken der Earsticks gehört weiters ihre Akkulaufzeit. Das Datenblatt verspricht bis zu sieben Stunden Musikhören und bis zu 29 Stunden insgesamt bei mehrfachem Wiederaufladen über die via USB-C-Port zu ladende Hülle. Beide Werte sind etwas optimistisch, aber nicht weit weg von der Nutzungsdauer, die in der Praxis zu erwarten ist. Und die pendelt sich zwischen fünf und sechs bzw. 20 und 25 Stunden ein.

Versprochen wird auch, dass sich die Earsticks, sollten sie leer werden, nach zehn Minuten in der Ladehülle wieder knapp zwei Stunden lang verwenden lassen. Das wurde zwar nicht explizit getestet, erscheint aber basierend auf der Nutzung im Test ebenfalls eine Spur zu hoch gegriffen zu sein, wenn man nicht mit sehr moderater Lautstärke unterwegs ist und die Trageerkennung abdreht. Auch wenn die angegebenen Laborwerte im Alltag nicht 1:1 erreicht werden, darf man die Earsticks getrost als sehr ausdauernd bezeichnen.

Fazit

Die Earsticks sind eine etwas eigentümliche Mischung, wenn man sie nicht mit Apples klassischen Airpods, sondern anderen Ohrhörern ähnlicher Preisklasse vergleicht. Schon allein, weil sie auf aktive Geräuschunterdrückung verzichten, die in dieser Kategorie normalerweise mitgeliefert wird. Gegenüber den Airpods wiederum lassen sie Zusatzfeatures wie "Spatial Sound" oder eine drahtlos aufladbare Aufbewahrungshülle vermissen und erben das Problem, dass "one size fits all" eben nicht für alle gleich gut ins Ohr passt.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Dafür bieten sie exzellenten Klang. Das gilt nicht nur für die Wiedergabe, sondern auch für Sprachkommunikation, wo selbst so manche teureren Ohrhörer mitunter erstaunlich schlecht klingen. Die dynamische Lautstärkenregelung "Basslock" funktioniert unauffällig und sehr gut, auch wenn sie ANC nicht ersetzen kann.

In Kombination mit einer übersichtlichen App für die Einstellung von Equalizer und Features und starker Akkulaufzeit verdienen sich die Earsticks eine zumindest eingeschränkte Empfehlung. Wer gerne Hörer in der Art der Airpods hätte, aber sich nicht auf Apple festlegen will und lieber weniger zahlt, bekommt hier einen guten Teil von deren Qualitäten vergleichsweise günstig. (Georg Pichler, 27.11.2022)

*Freundlicher Hinweis für Mathematikfetischisten: Es handelt sich um eine leichte, stilistische Untertreibung. Tatsächlich beträgt der Nennpreis der Earsticks natürlich 54,5 bzw. 57,1 Prozent jenes der Airpods (3. Generation), je nach deren gewählter Ladehülle. Bei der Erstellung dieses Textes kamen keine Taschenrechner zu Schaden.