Die Interviewpartner Lena Schilling und Matthias Koderhold.
Foto: Regine Hendrich

Welche Jobs von morgen werden sich junge Menschen aussuchen? Wo und wie wollen sie arbeiten? Darüber sprechen zwei Personen, die sich seit mehreren Jahren für den Klimaschutz aktivistisch einsetzen: Lena Schilling, Autorin und Sprecherin des Jugendrats, und Matthias Koderhold, Sprecher der Bewegung Workers for Future. Sie identifizieren sechs Branchen, die in den Fokus rücken, wenn die Wirtschaft sozial und ökologisch nachhaltig umgestaltet werden würde. Und diskutieren darüber, ob eher Führungskräfte oder Angestellte Veränderungen anstoßen können, um im Unternehmen Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben.

STANDARD: Womit verdient ihr beide gerade euren Lebensunterhalt?

Schilling: Ich bin Tanzlehrerin und ab und an auch bei diversen Tanzproduktionen dabei.

Koderhold: Ich arbeite als wirtschaftspolitischer Referent in der Arbeiterkammer Niederösterreich.

STANDARD: Habt ihr schon mal in einem Betrieb gearbeitet, von dem ihr wusstet, dass dieser konträr zu euren aktivistischen Anliegen agiert?

Koderhold: Einmal bin ich knapp dran vorbeigeschlittert. Nach meinem Volkswirtschaftsstudium sah ich eine Ausschreibung einer Vermögensberatungsfirma. Beim Vorstellungsgespräch merkte ich dann aber, dass das nichts für mich ist.

Schilling: Nein. Aber das Ziel müsste eigentlich sein, dass alle Menschen in Jobs arbeiten können, die nachhaltig sind, in denen sie Wertschätzung erfahren und die gut bezahlt werden.

STANDARD: Höre ich heraus, dass ihr beide aus moralischer Überzeugung eher in einem Green Job arbeiten würdet?

Schilling: Wenn ich es mir aussuchen kann – auf jeden Fall. Allerdings ist es nicht so einfach, zu definieren, was grüne Jobs oder nachhaltige Unternehmen sind. Viele Firmen werben zwar damit, grün zu sein, obwohl ihr Geschäft im Kern umweltschädlich ist. Sie setzen somit nur auf oberflächliche Maßnahmen und betreiben Greenwashing.

Koderhold: Das Problem ist auch, dass es viele verschiedene Kriterien und undurchschaubare Zertifizierungen gibt. Und obwohl die Definition von Green Jobs schon schwammig ist, sind laut der letzten Erhebung der Statistik Austria nur rund fünf Prozent der Jobs sogenannte grüne Jobs. Das sind noch sehr wenige.

"In welcher Organisation wir auch arbeiten oder welcher Arbeit wir nachgehen: Wir alle haben Verantwortung", sagt Lena Schilling.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Für welche Unternehmen würdet ihr nicht arbeiten?

Schilling: Es gibt ganz viele Branchen, die ich ausschließe. Ich möchte zum Beispiel nicht für ein Rüstungsunternehmen oder ein Unternehmen, das direkt klimaschädlich ist, tätig sein.

Koderhold: Ich würde auch nicht für ein Unternehmen arbeiten, das ökonomische Ausbeutung betreibt. Aber wie gesagt, gerade einmal fünf Prozent der Jobs in Österreich sind überhaupt grün. Die Wahrscheinlichkeit, dass man nicht für ein nachhaltiges Unternehmen arbeitet, ist damit ziemlich hoch.

Schilling: Die Frage, was Klimaaktivistinnen und -aktivisten arbeiten wollen, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wir sind ja alle Menschen in einem gesellschaftlichen System. Natürlich wollen wir dieses System umbauen und verändern. Aber den Arbeitsplatz können sich eben nicht alle aussuchen. Auch Klimaaktivistinnen nicht. Das Schönste wäre, eine ganzheitliche und nachhaltige Transformation zu schaffen. Aber das sehe ich derzeit nicht.

STANDARD: Welche Sektoren der Wirtschaft müssten eurer Meinung nach am dringendsten umgebaut werden?

Schilling: Ich sehe sechs große Veränderungsfelder: CO2-Ausstoß vermindern, Energie-, Mobilitätswende schaffen, Veränderungen im Bildungssystem anstoßen und den Bausektor und die Landwirtschaft neu denken. Die Themen Arbeit, Klima und sozial-gerechte Politik sind untrennbar.

Koderhold: Wenn wir bis zum Jahr 2030 nur circa halb so viele Emissionen verursachen wollen wie jetzt, wäre es gut, eine Rechnung aufzustellen: Welche Sektoren und Betriebe produzieren wie viele Emissionen. Dann könnten die Sektoren nach Wichtigkeit sortiert werden und nachhaltige Alternativen gesucht werden.

STANDARD: Einige Aktivisten fordern, das Wachstumsparadigma der Wirtschaft ad acta zu legen. Bedeutet weniger Wachstum folglich nicht auch weniger Jobs?

Koderhold: Unsere derzeitige Wirtschaftsform ist der Kapitalismus. In diesem System steht nicht der Gebrauchswert oder die Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt, sondern der Profit der Kapitalverwertung – das Wachstum. Man muss aber schon die Frage stellen dürfen: Was brauchen wir, was schadet bei der Produktion Mensch oder Natur, wie sind Lieferketten organisiert? Es muss nicht zwangsläufig weniger Jobs geben, sondern die Arbeit könnte anders verteilt werden. Es gibt auch Branchen, die wachsen müssen oder wachsen werden in einer nachhaltigeren Wirtschaft. Zum Beispiel die personenbezogenen Gesundheitsdienstleistungen.

Schilling: Die Rufe nach einer Arbeitszeitverkürzung werden lauter. Grundsätzlich ist es so: Wir haben planetare Ressourcen und Grenzen. Nur in diesem Rahmen können wir wirtschaften und leben. Grenzenloses Wachstum ist demnach schlicht nicht möglich. Zusätzlich erleben wir gerade einen enormen Fachkräftemangel. Unsere Sorge sollte momentan deshalb eher sein, wie wir diese Jobs überhaupt besetzen.

"Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, sich ihren Job nach moralischen Kriterien auszusuchen", sagt Matthias Koderhold.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Angenommen, man arbeitet in einem Betrieb, der klimaschädlich ist. Stützt man damit nicht ein zerstörerisches System?

Schilling: Wir alle leben in einem kapitalistischen System. Geld zum Leben kann ich nur in diesen Strukturen verdienen, indem ich zum Beispiel Erwerbsarbeit nachgehe.

Koderhold: Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, sich ihren Job nach moralischen Kriterien auszusuchen. Momentan ist es leider keine Selbstverständlichkeit, einen moralisch vertretbaren Job zu wählen. Es ist ein Privileg.

STANDARD: Liegt die Möglichkeit, etwas zu verändern, demnach mehr bei dem Führungspersonal als bei den Angestellten?

Koderhold: Es gibt tatsächlich auch die CEOs for Future. Einflussreiche große Firmen sind allerdings häufig auch in emissionsintensiven Bereichen tätig. Sollen sie sich selbst einfach abschaffen? Ich denke, von ihnen eine Veränderung zu erwarten ist eher unwahrscheinlich. Die Frage ist: Wie erreicht man schnell seine Ziele? Arbeitet man sich an denen ab, die blockieren, die schwer oder gar nicht zu gewinnen sind? Oder versucht man, die zu organisieren und mit jenen etwas aufzubauen, die bereit sind mitzugestalten und aktiv sein wollen?

Schilling: Führungspersonen zu erreichen ist, ehrlich gesagt, nicht meine oberste Priorität. Mein Traum ist, mit der Mehrheit der Gesellschaft einen Wandel anzustoßen und umzusetzen. Politisch Gewählte müssen einen gesellschaftlichen und politischen Rahmen setzen, in dem Firmen und CEOs dann nachhaltig wirtschaften können.

STANDARD: Wenn Angestellte einen Teil zum Klimaschutz beitragen wollen, was haben sie dann für Möglichkeiten?

Koderhold: Mein Tipp: Gleichgesinnte finden und sich zusammenschließen. Auch wenn kleine Veränderungen wie den Kaffee auf Fair Trade umzustellen oder für das Drucken weniger Papier zu verbrauchen die Klimakrise nicht aufhalten werden – es sensibilisiert uns für das Thema, und wir spüren, dass wir etwas verändern können. Es sollten aber nicht nur Scheinmaßnahmen sein, die auch noch für Marketingzwecke ausgenutzt werden.

Schilling: Wir alle haben Verantwortung. Egal wo wir sind, egal in welcher Organisation wir arbeiten, egal welcher Arbeit wir nachgehen, egal wo: Wir alle können etwas bewegen. Wir alle müssen die Bewegung sein. (Natascha Ickert, 25.11.2022)