Petra Stuibers Buchtipp beschreibt die Zerrissenheit einer Pubertierenden.

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Wie ein Baby liege sie am Boden, meckert die Mutter, und dann krieche sie noch auf allen Vieren ins Badezimmer. Für sie, die Tochter, die gerade erfolglos versuchte, den Widrigkeiten ihrer Pubertät zu entkommen, ist das der letztgültige Beweis, dass diese Frau überhaupt nichts verstand. Schon gar nicht sie, ihr eigenes Kind. Denn das war kein Kriechen auf allen Vieren, es ist ein Schleichen auf vier samtigen Tatzen. Sie ist ein Panther, und wenn es ihr gefällt, liegt sie zu Füßen ihres schönen jungen Maharadjas, den nur sie sehen kann."

Zwischen politischem Erwachen und Matheaufgaben

Margit Schreiner, "Mütter. Väter. Männer. Klassenkämpfe. Über das Private". € 22,95, 216 Seiten. Schöffling & Co, 2022.
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So beginnt Margit Schreiner ihre neue Erzählung über ihre Jugend im Linz der 1960er-Jahre. Sie beschreibt ihr junges Ich mit einer Mischung aus tiefer Sympathie und schwarzem Humor, die Autorin beobachtet die Schlachtfelder Familie, Freundschaften, erster Sex und politisches Erwachen aus der Sicht dieser Zwölf- bis 18-Jährigen, die ihre Eltern erst als peinlich und dann als vom Kapitalismus rettungslos verblendet empfindet.

Sie beschreibt die Zerrissenheit einer Pubertierenden, die eigentlich in Ruhe gelassen werden muss, weil gerade so viel in ihr und mit ihr passiert. Und die am Ende doch dasitzt und Rechenaufgaben löst, weil die Alternativen nicht gerade verlockend sind.

Arbeiterstadt Linz

Mütter. Väter. Männer. Klassenkämpfe ist der zweite Erinnerungsband dieser das Private virtuos sezierenden Autorin. Er knüpft an den ersten Band Vater. Mutter. Kind. Kriegserklärungen an, in dem die siebenjährige Margit eine anhängliche Dackeldame erfindet, die nur sie sieht. Dass aus dem Dackel im zweiten Band ein eleganter Panther wird, ist aus Sicht der jugendlichen Margit natürlich logisch.

Man erfährt in Schreiners neuem Werk auch viel über den Mief der 60er-Jahre in der Arbeiterstadt Linz. Wer jung war, wurde schief angeschaut, wer links war, galt als schlechter Einfluss. Wer im als liberal geltenden Café Central saß und gesehen wurde, den prüften die Lehrer tags darauf gerne auf ein Nicht genügend. Irgendwann kam sie dann doch raus, die junge Margit. Und man freut sich sehr mit ihr. (Petra Stuiber, 26.11.2022)