"Ich arbeite seit 39 Jahren hier im Geschäft in der Wiener Liliengasse. Die liegt gleich um die Ecke von der Kärntner Straße, also mitten im ersten Bezirk. Davor absolvierte ich eine dreijährige Lehre. Den Salon habe ich von meinem Onkel und meinem Papa übernommen. Auch mein Großvater war bereits Friseur. Er gründete sein Geschäft 1933. Das war drüben in der Jasomirgottstraße, also ein paar Minuten von hier entfernt. Mittlerweile ist dort eine American Bar untergebracht.

Hier, neben der Eden-Bar, sind wir seit 1978. Meine Tochter arbeitet auch im Geschäft. Ebenso ihr Mann, also mein Schwiegersohn. Es ist quasi gebongt, dass die beiden das Geschäft weiterführen werden. Man kann durchaus von einem echten Familienunternehmen sprechen. Ob meine Enkeltochter, sie ist jetzt fünf, auch mal einsteigen wird, werden wir sehen. Geht es nach ihrer Mutter, eher nicht. Insgesamt sind wir vier bis fünf, die hier Haare schneiden. In erster Linie bedienen wir Stammkundschaft.

Ich empfand es als sehr okay, mit dem Onkel und den Papa gemeinsam zu arbeiten. Ein bisschen Goodwill war natürlich vonnöten, von allen dreien. Ich sag' immer 'Job ist Job', und 'privat ist privat'. Zu ihren Zeiten lief halt auch noch der Schmäh. Und wie. Aber den Schmäh von damals, den kannst heut' nicht mehr machen. Da landest im Häfn. Mittlerweile hört man den ganzen Tag, 'Dies und jenes ist nicht korrekt', die gesamte Litanei rauf und runter.

Also in der Form von damals ist, wie gesagt, das Schmähführen unmöglich, wobei es schon vor sehr vielen Jahren anfing, korrekter zu werden, wie man heute sagt. Heute schauen s' dich komisch an, wenn du gewisse Meldungen schiebst. Viele kennen diese Kultur gar nicht mehr, legen alles auf die Goldwaage. Woher sollen die auch wissen, wie ein Schmäh funktioniert. Die ganze Sache hat vielleicht mit dem Alter zu tun. Ich bin knappe 60, und mit einem 60-Jährigen können viele 20-Jährige halt nicht viel anfangen, wobei ich mich nicht alt fühle. Ich meine das auch nicht böse. Apropos Alter: Eines Tages kam jemand und fragte, ob wir auch Kindern die Haare schneiden würden. Ich antwortete: Wir schneiden von den Windeln bis zu den Windeln.

Christian Gihl führt die Familientradition seit fast vier Jahrzehnten fort.
Foto: Michael Hausenblas

(Anmerkung zum Thema Schmäh im Salon Gihl: Als der Autor dieser Zeilen vor sehr vielen Jahren zwecks Haarschneidung beim Vater des jetzigen Inhabers Platz nahm, meinte dieser (natürlich im Wiener Dialekt): "Wer hat denn Ihnen beim letzten Mal die Haare geschnitten?" Der damals noch sehr junge Journalist antwortete verlegen: "Sagen wir, ich habe eine blöde Wette verloren." Der Coiffeur: "Da wetten Sie beim nächsten Mal lieber um den Verzehr eines verdorbenen Fleischleiberls. Legen Sie sich lieber drei Tage mit einer Lebensmittelvergiftung ins AKH, als so herumzulaufen. Mit einer solchen Frisur finden Sie niemals eine Frau." "Hab ich schon", lautete die Antwort. "Die muss aber blind sein", so die Retoure.)

In gewisser Weise gehen mir die Sprüche schon ab. Ich glaube auch, dass seinerzeit nicht wenige Kunden gerade auch wegen dem Schmähführen gekommen sind. Wir sind übrigens ein reiner Herrenfriseur. Wenn eine Dame zu uns kommt – und selbst wenn sie sich nur die Spitzen schneiden lassen möchte –, empfehle ich ihr 1.700 andere Friseure.

Die Fußballer sind trendangebend

Im Großen und Ganzen hat sich im Gegensatz zu manch anderer Branche im Arbeitsalltag bei uns nichts Wesentliches geändert. Bis auf die Schmähs. Die Moden kommen und gehen. Momentan, aber das gilt eh schon länger, sind vor allem bei den Jungen die Fußballer trendangebend, also das Abgescherte, das wird gern verlangt, Sie wissen schon, à la Arnautovic. Aber nur wenige wollen diesen Look auf extreme Art und Weise.

Wenn jemand einen Haarschnitt möchte, der für mich technisch einen Blödsinn darstellt, greife ich durchaus beratend ein. Neulich war ein Herr da, der den Scheitel fast am Ohr unten trägt und sich die letzten 20 Haare über den Kopf kämmt. So jemanden muss man natürlich nicht beraten. Der trägt sein Haar seit Jahren auf diese Art, wenn nicht seit Jahrzehnten. Den kannst du höchstens vergraulen, wenn man ihn darauf anspricht. Es geht in dieser Angelegenheit außerdem darum, ob jemand Stammkunde oder Neukunde ist. Der Job hat schon auch mit Vertrauen zu tun.

Allmählich denke ich schon darüber nach, das Arbeitspensum von sechs Tagen runterzufahren. Ich stehe ja oft elf Stunden am Tag im Geschäft. Aber ich arbeite gern mit Menschen, das Plaudern macht Spaß, das Haareschneiden selbst ist natürlich längst zu einer gewissen Routine geworden. Aber Routine kehrt mit den Jahren wohl in den meisten Jobs ein.

Die einzige Challenge, die ich definitiv nicht brauchen kann, ist die Mitarbeiterproblematik. Wir suchen einen neuen Kollegen, weil ein anderer aufhören möchte. Das Ganze entpuppt sich als Wahnsinn. Ich kann es nicht einmal wirklich begründen. Viele können nicht, andere wollen nicht, und nicht selten ist es die Kombination aus beidem. Wenn sich überhaupt jemand meldet. Das ist echt eine Challenge.

Dennoch würde ich unterm Strich nicht sagen, dass früher alles besser war. Es war anders. Das Einzige, und das ist wirklich nicht lustig, ist das Mitarbeiterproblem. Wie gesagt." (Michael Hausenblas, 27.11.2022)