Die WKO lobbyiere für fossile Energien und trage eine "wesentliche Mitschuld" an Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas, hielt die Aktivistin Lena Schilling dieser vor.

Foto: System Change not Climate Change

Martha Krumpeck bei einer Klebeaktion vor dem Eingang der Wirtschaftskammer in Wien.

Foto: Heribert Corn

Amina Guggenbichler ist eine der Sprecherinnen der Unibesetzung. Sie fordert unter anderem mehr Geld für die Unis.

Foto: Robert Newald

Straßenblockade der Letzten Generation in Graz.

Foto: Alexander Danner

Räumung des Protestcamps gegen den Bau des Lobautunnels und die Stadtstraße in Wien.

Foto: Karl Schöndorfer TOPPRESS

Vergangene Woche passierte es gleich mehrmals: Am Montag klebten in Linz junge Menschen in den frühen Morgenstunden ihre Hände an den Asphalt, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen. Am Dienstag stürmte in Wien eine Gruppe während einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer die Bühne. Und die Uni-Besetzungen in gleich drei Bundesländern gehen nunmehr in die dritte Woche. Nicht nur, aber auch in Österreich sind Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für mehr Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel einsetzen, dieser Tage sehr umtriebig.

Die Akteurinnen und Akteure hinter diesen Handlungen eint nicht nur ein Ziel, nämlich mehr Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Die Mittel, auf die sie zuletzt immer öfter zurückgreifen, sind die des zivilen Widerstands: Aktionen, die zwar in der Regel gewaltfrei verlaufen, aber die dennoch gegen Gesetze verstoßen. Die Protestform reicht in die Antike zurück und ist auch in Österreich kein Novum, aber dennoch in ihrer Häufung zumindest beachtlich für ein Land, in dem Demonstrieren wenig Tradition hat.

Gruppierungen vom Verfassungsschutz beobachtet

Im Gegensatz zu Deutschland, wo ebenfalls eine Diskussion über die Wirksamkeit und Sanktionierung solcher Störaktionen entbrannt ist, werden Gruppierungen wie die Letzte Generation hierzulande sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Ist die klimaaktivistische Szene im Umbruch? Radikalisiert sie sich?

Martha Krumpeck ist das wohl prominenteste Mitglied der Letzten Generation. Jener Gruppe, die in jüngster Zeit vermehrt vor allem durch die Beschüttung von Gemälden – beziehungsweise der Sicherheitsgläser davor – und Straßenblockaden für Aufsehen gesorgt hat. Auch durch ihren 44 Tage und Nächte anhaltenden Hungerstreik vor der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße hat die Molekularbiologin Bekanntheit erlangt.

Klimakrise ein "absoluter Notfall"

Demonstrieren zu gehen, Petitionen zu unterschreiben, mit politisch Verantwortlichen zu sprechen, all das habe bisher nicht gefruchtet. Deshalb "müssen wir so nervig sein mit unseren Aktionen". Sie würden keinen Schaden anrichten wollen, es tue ihnen leid, dass die Menschen in ihren Autos warten müssten. Allerdings, so formuliert es Krumpeck, sei die Klimakrise inzwischen "ein absoluter Notfall", und der verlange nach extremen Mitteln.

Ähnlich argumentiert Amina Guggenbichler, eine der Sprecherinnen der Bewegung, die unter dem Titel "Erde brennt" Hörsäle an Universitäten in Wien, Salzburg und Innsbruck okkupiert. Die Studentin der Sozialen Arbeit war bei Fridays for Future (FFF) aktiv und später bei "Lobau bleibt", jenem Zusammenschluss diverser Umweltgruppen, der sich gegen den Bau des Lobautunnels und der Stadtstraße in Wien stellt. Nun fordern sie und ihre Mitstreiterinnen unter anderem den Ausstieg aus fossiler Energie, mehr Geld für die Unis und einen klimagerechten Lehrplan.

Guggenbichler sagt, Straßenblockaden seien nicht ihre Art des Protestierens, aber Aktivismus sei notwendig, "bis etwas passiert". Denn Fridays for Future gehe zwar "alle paar Monate auf die Straße, aber was ist passiert? Viel zu wenig."

Eng vernetzte Gruppen

Die österreichische Klimaschutzbewegung besteht aus einer Reihe von Gruppen, die nicht nur innerhalb des Landes, sondern auch mit ihren weltweiten Ablegern eng vernetzt sind: Sie stehen im permanenten Austausch, schließen sich für Demonstrationen und Aktionen zusammen. Neuen Aufwind hat das Thema in den vergangenen Jahren durch die FFF-Proteste erfahren.

Der Schulstreik der damals 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg im Jahr 2018 hat sich zu einer internationalen Massenbewegung entwickelt. Auch hierzulande gehen im Rahmen der FFF-Klimastreiks Zehntausende auf die Straße, um "Klimagerechtigkeit" einzufordern. Doch durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg rückte die Klimadiskussion wieder mehr in den Hintergrund. Nun soll sie mit Werkzeugen des zivilen Ungehorsams neu angestoßen werden.

Aus Frust entstanden

Aus der Perspektive der Bewegungsforschung sei dies ein bekanntes Phänomen, erklärt Antje Daniel, die an der Uni Wien zu Umweltaktivismus forscht: "Steht eine Bewegung an einem Scheitelpunkt, wo sie aus ihrer Sicht nicht mehr ernst genommen wird, löst sie sich entweder auf, oder sie radikalisiert sich." Wobei das, was als radikal wahrgenommen werde, die Taktik sei. Denn die Ziele seien nicht extrem. So kämpft die Letzte Generation für Tempo 100 auf der Autobahn und einen Stopp neuer Gas- und Ölprojekte. Sie setze auf eine friedliche Form des Widerstandes, die "schockieren will, um so moralische Fragen aufzuwerfen".

Auch die Sozialwissenschafterin Anna Deutschmann sagt, derzeit würden zwar radikale Formen des Protests medial im Vordergrund stehen. Es gebe allerdings auch andere Formen des umweltaktivistischen Engagements. Sie beobachte "eine Professionalisierung und Institutionalisierung von Umweltaktivismus". Deutschmann zählt Beispiele aus der Vergangenheit auf, etwa die Partei der Grünen und NGOs wie Greenpeace oder Global 2000, die aus den Umweltprotesten der 1970er- und 1980er-Jahre entstanden sind. Aktuell setzt sich FFF-Mitbegründerin Katharina Rogenhofer für das von ihr initiierte Klima-Volksbegehren ein.

Eine prominente Figur der Szene ist die Politikwissenschaftstudentin Lena Schilling. Sie sagt, die Entstehung der FFF-Massenbewegung habe zu einer starken Politisierung vor allem junger Menschen geführt, aber auch zu einem "Gefühl der Ohnmacht", denn: "Wir haben viele, große Demos organisiert, haben mit der Polizei kooperiert, die Politiker haben uns auf die Schulter geklopft. Aber gebracht hat es nichts."

Schilling sieht Straßenblockaden kritisch

Diese Frustration bringe andere Protestformen hervor. Die Straßenblockaden sehe sie durchaus kritisch: Sie wisse nicht, wie effektiv es sei, "den Menschen, die in die Arbeit fahren, im Frühverkehr am Arsch zu gehen". Aber es erzeuge starke Aufmerksamkeit. Natürlich gebe es auch Diskussionen zwischen den einzelnen Gruppierungen in der Klimaszene, erklärt Schilling. Man verliere dabei aber dennoch nicht das gemeinsame Ziel aus den Augen und arbeite zusammen. Jede Gruppe setze ihre jeweiligen Schwerpunkte: "Man probiert Dinge aus und schaut, was funktioniert." (Anna Giulia Fink, 28.11.2022)