Die neue Empfehlung der WHO sieht vor, dass zu früh geborene Babys, noch bevor sie in den Brutkasten kommen, direkten Hautkontakt zu Mutter oder Vater haben sollen.

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Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist der erste Reflex von Mama und Papa, dass sie das Kind in den Armen halten wollen. Wenn es jedoch zu früh geboren wird, ist das nicht immer ganz einfach. Zuerst müssen die Babys medizinisch versorgt werden, und häufig kommen sie danach sofort in den Brutkasten. Mama oder Papa können dann gerade einmal mit den Händen – die sie sie in den Brutkasten legen, um das Baby zu berühren– den ersten Kontakt aufnehmen.

Das soll nun weltweit geändert werden. Nach einer neuen Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen Frühchen, also Babys, die vor der 37. Schwangerschaftswoche oder mit weniger als zweieinhalb Kilo geboren wurden – und das sind weltweit mehr als 20 Millionen Babys pro Jahr –, noch vor dem Brutkasten Hautkontakt mit der Mutter oder dem Vater haben. Sprich, sie werden nackt auf die nackte Brust des Elternteils gelegt. Denn: Nur dieser direkte Hautkontakt setzt viele weitere Mechanismen in Gang.

Bessere Rück- und Milchbildung

Wie wichtig diese Art der ersten Berührung für Mutter und Kind ist, weiß auch Angelika Berger, Kinderärztin und Leiterin der Neonatologie an der Med-Uni Wien. "Das Thema Bonding, also der Haut-zu-Haut-Kontakt bei Neugeborenen, ist bereits seit ungefähr 15 Jahren ein Thema. Dadurch werden wichtige Prozesse wie die Rückbildung der Gebärmutter oder die Milchbildung bei der Mutter angeregt", so Berger.

"Man konnte auch feststellen, dass bei der Mutter seltener postpartale Depressionen auftreten und die Mutter-Kind-Beziehung gestärkt wird, wenn direkt nach der Geburt Bonding stattfinden kann", erklärt die Kinderärztin. Dabei wird vor allem das Hormon Oxytocin freigesetzt, dass auch als Kuschelhormon bezeichnet wird. Ob es allerdings allein für die Vielzahl der wichtigen Mechanismen verantwortlich ist, konnte bisher nicht geklärt werden.

Neben den Vorteilen für die Mutter zeigen sich bei den Frühchen auch häufig bessere Vitalwerte. Laut Karin Edmond von der WHO ist "die erste Umarmung mit einem Elternteil nicht nur emotional wichtig, sondern auch absolut entscheidend für die Verbesserung der Überlebenschancen und des Gesundheitszustands von kleinen und frühgeborenen Babys".

Von einem sofortigen engen Hautkontakt könnten demnach alle Babys profitieren, selbst solche, die noch Schwierigkeiten beim Atmen haben. Laut WHO sollten daher alle Intensivstationen so angepasst werden, dass Mütter dort rund um die Uhr bei ihren Kindern bleiben und so viel Hautkontakt wie möglich haben können.

Für Angelika Berger ist die Empfehlung der WHO eigentlich nichts Neues. Denn an der Med-Uni Wien wird ohnehin schon seit einigen Jahren genau dieses ganz frühe Bonding ermöglicht und bewusst gefördert. "Selbst bei den ganz kleinen Babys, die in der 24. oder 25. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen und dann gerade einmal 400 oder 500 Gramm wiegen, achten wir darauf, dass der ganz frühe Hautkontakt so häufig wie möglich passiert."

Das bedeutet, dass diese Babys, unmittelbar nachdem sie vom Ärzteteam stabilisiert worden sind, auf die Brust der Mutter gelegt werden. "Falls das aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, etwa weil die Mutter noch medizinisch betreut werden muss, kommt das Baby auf die Brust vom Papa", erzählt Berger.

Bonding während des Kaiserschnitts

Ein schnelles Bonding zu ermöglichen ist also für Frühgeborene besonders wichtig. Aber es spielt auch eine große Rolle für Babys, die per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden. Denn auch sie müssen nach der Geburt erst einmal medizinisch untersucht werden. Häufig dauert es dann noch eine ganze Weile, bis sie zur Mutter dürfen, die nach dem Kaiserschnitt ja auch noch etwas länger im OP ist.

Berger und ihr Team haben deshalb das sogenannte Sectio-Bonding etabliert. "Dabei wird der Mutter, noch während sie im OP liegt und zugenäht wird, das Baby auf die Brust gelegt. Somit kann dort bereits die erste Bindung zwischen Mutter und Kind ermöglicht werden", erzählt die Expertin. Studien konnten zeigen, dass bei den Müttern, die nach einem Kaiserschnitt sehr schnell den ersten Hautkontakt zu ihrem Baby haben konnten, häufig das Stillen besser klappte und viele von ihnen auch stillend das Krankenhaus verlassen konnten.

Viel Hautkontakt zwischen Eltern und Babys ist aber nicht nur direkt nach der Geburt wichtig. Berger erklärt: "Vor allem bei Frühgeborenen ist es bei uns schon länger Standard, dass die Kinder durchgehend, bis sie nach Hause dürfen, immer wieder Hautkontakt, auch gern stundenlang, bekommen. Bei den Frühgeborenen nennen wir das dann Känguru-Care." (jaa, APA, 1.12.2022)