Anzeichen von Missbrauch bei Kleinkindern zu erkennen ist für Eltern nicht einfach. In jedem Fall sollten sich Bezugspersonen bei einem Verdacht Hilfe holen.

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Im vergangenen Jahr sind gleich mehrere Fälle von sexuellem Missbrauch in Kindergärten ans Licht gekommen. Ein Pädagoge soll sich an mehreren Kindern in einem städtischen Kindergarten in Wien-Penzing vergangen haben. Diese Vorwürfe wurden im Frühjahr 2022 bekannt. Im Herbst gab es erneut Missbrauchsvorwürfe gegen zwei Pädagogen in anderen Wiener Kindergärten. Zeitgleich liefen Ermittlungen von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft Graz, nachdem sich ein Bub aus einem Grazer Kindergarten seiner Mutter anvertraut hatte.

Solche Meldungen werfen kein gutes Licht auf männliche Pädagogen. Die Verunsicherung vieler Eltern ist groß. Sie fragen sich, woran sie erkennen können, ob ihr Kind auch sexuelle Gewalt erfahren hat, ob es Alarmsignale gibt, auf die sie achten können. Schließlich können sich Kleinkinder noch nicht gut artikulieren. Hedwig Wölfl von der Kinderschutzorganisation Die Möwe erklärt, was Eltern bei einem Verdacht tun sollten – und was besser nicht.

Symptome bei Kindesmissbrauch

Wenn Kinder sich stark an die Bezugsperson klammern und niemanden mehr an sich heranlassen, wenn sie nicht mehr allein schlafen können oder Schlafstörungen und Albträume haben, sollten Eltern hellhörig werden. Viele Kinder, die sexuellen Missbrauch erfahren haben, zeigen plötzliche Verhaltensänderungen. Fröhliche, offene Kinder sind überraschend introvertiert oder reagieren aggressiv. Aber auch Einnässen oder Bauchschmerzen können Anzeichen sein. Eine Checkliste der Anzeichen gibt es auf der Gewaltinfo-Seite des Bundeskanzleramts.

"Die Schwierigkeit, sexuellen Missbrauch zu erkennen, liegt darin, dass es kein konkretes Missbrauchssyndrom gibt", sagt Wölfl. "Schließlich können Symptome wie Einnässen oder plötzliche Verhaltensveränderungen verschiedene Ursachen haben – etwa weil die Eltern eine Beziehungskrise haben oder weil das Kind im Kindergarten abgelehnt wird." Für Eltern von Kleinkindern sei es irrsinnig schwierig, die Ursache für ihr auffälliges Verhalten herauszufinden.

"Nichts ist emotional so aufgeladen wie Missbrauch eines geliebten Kindes. Ein sachlicher Umgang damit ist ohne Hilfe kaum möglich."

Was tun, wenn man einen Missbrauchsverdacht hegt?

"Das Kind sollte in jedem Fall das Gefühl haben, dass ihm geglaubt wird und es zu keinem Zeitpunkt mit einer Strafe rechnen muss", sagt Wölfl. "Wenn Kinder wissen, sie können alles erzählen, dann hat man als Bezugsperson eine hohe Chance, dass es sich einem anvertraut." Ein unsensibles Wort, und schon könnte es passieren, dass sich das Kind verschließt, weil es befürchtet, dass niemand ihm glauben wird.

Auch wenn es für Erwachsene unvorstellbar ist, dass die Nachbarin, der Kindergartenpädagoge oder der eigene Mann dem Kind etwas antun könnten – Bagatellisieren ist für Wölfl genauso falsch wie Alarmismus: "Kleine Kinder sind noch nicht so wortgewandt, ihre Schilderungen sind schwer zu beurteilen." Im kindlichen Erleben kann ein sexueller Übergriff oft noch nicht richtig eingeordnet werden. Umso wichtiger sei eine möglichst frühe sexuelle Aufklärung – auch bei Kleinkindern: "Wenn ein Kind seine Geschlechtsteile benennen kann, ist das ein großer Vorteil."

Wo und wie wurde es berührt? Ein Beispiel: Das Kind sagt: "Der Toni hat mich da unten gestreichelt." Das kann heißen: "Toni hat mich bei den Füßen gestreichelt" oder "Toni hat mich beim Penis gestreichelt". Außerdem: Oft realisieren Opfer erst viel später, wenn sie Teenager sind, was geschehen ist: "Plötzlich verstehen die Kinder, was das war, was sie da spürten, als sie klein waren. Dieser harte Gegenstand in ihrem Rücken, wenn sie am Schoß von Opa gesessen sind."

Grundsätzlich unterscheidet man im Kinderschutz zwischen einem vagen und einem konkreten Verdacht. Konkret wären Verletzungen oder explizite Schilderungen von Kindern. Auch Verletzungen sollten als konkreter Verdacht gewertet werden. Ist Gefahr in Verzug, muss unmittelbar die Polizei oder Rettung gerufen werden. Bei vagen Vermutungen sollten Bezugspersonen die Kinder- und Jugendhilfe einschalten (siehe Infobox unten).

In den österreichweiten Kinder- und Jugendschutzzentren in Österreich ist es auch möglich, sich anonym beraten zu lassen. Dort wird man als Bezugsperson von Profis bis zur Anzeige begleitet. Wölfl gibt außerdem den wichtigen Rat, dass sich Bezugspersonen selber Hilfe holen sollten: "Nichts ist emotional so aufgeladen wie Missbrauch eines geliebten Kindes. Ein sachlicher Umgang damit ist ohne Hilfe kaum möglich."

Was Eltern nicht tun sollten

"Eltern tendieren dazu, bei einem Verdacht die Kinder auf eigene Faust zu befragen", sagt Wölfl. Das sei allerdings falsch. Nur geschultes Personal aus der Kinder- und Jugendhilfe kann mit speziellen Techniken die Aussagen von Kleinkindern auswerten. Eltern sollten beim Kind nicht nachbohren oder nach weiteren Details fragen. Dies könnte zu verfälschten Aussagen und einer zusätzlichen Traumatisierungen des Opfers führen.

Stattdessen: "Eltern sollten ihr Kind genau beobachten. Wie verhält es sich? Das Erzählte und die Beobachtungen am besten aufschreiben, sowie Zeit und Datum der Vorfälle, Zeugen und Aussagen. All das kann für eine folgende Strafanzeige wichtig sein."

Männliche Pädagogen sind wichtig

Männer im Elementarbereich werden in ganz Österreich händeringend gesucht, seit Jahren versucht man die Männerquote von nur zwei Prozent zu steigern. Schließlich sind männliche Bezugspersonen für Kinder genauso wichtig wie weibliche. Männer bringen ein erweitertes Spiel- und Bewegungsangebot mit. Den Kindern wird vermittelt, dass auch Männer kompetent sind fürs Wickeln, Trösten und Kuscheln. Männliche Pädagogen sind vor allem dann wichtig, wenn in der Familie des Kindes der Vater fehlt.

Die Missbrauchsfälle in den Kindergärten sind ein harter Rückschlag im Kampf um mehr männliche Pädagogen: "Wer einen männlichen Betreuer im Kindergarten hat, der hat Glück", sagt Wölfl. Sie verstehe zwar die Sorge der Eltern, bittet aber darum, männliche Pädagogen nicht pauschal zu verdächtigen. "Wir hören, dass männliche Pädagogen sich kaum noch trauen, ein Kind auf den Schoß zu nehmen, weil sie sonst sofort schief angesehen werden." Aus Statistiken weiß man, dass bei kleinen Kindern der überwiegende Anteil von sexuellem Missbrauch im unmittelbaren familiären Umfeld geschieht.

Verhaltenskodex für das gesamte Personal

Männer aus dem Elementarbereich abzuziehen ist für Wölfl nicht die Lösung des Problems. Ganz im Gegenteil: "Egel ob Geschlecht, Alter oder Kultur, Diversität schützt vor Missbrauch." Das Ziel der Kinderschutzorganisation: Jeder Kindergarten in Österreich – öffentlich und privat – soll einen Kinderschutzbeauftragten bekommen.

In Wien muss jede Einrichtung spätestens im Dezember 2023 ein Kinderschutzkonzept vorlegen. Es soll für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen transparent kommunizieren, welche Berührungen okay sind und welche nicht, ob die Kinder nackt herumlaufen dürfen oder ob die Räume, in denen gewickelt wird, einsehbar sind. Wölfl: "Aus Kinderschutzsicht ist es wichtig, wenn die gesamte Belegschaft eines Kindergartens einen Verhaltenskodex unterschreibt. Jeder weiß somit, was im Fall eines Verdachts zu tun ist. Das schreckt Personen mit unlauteren Absichten ab." (Nadja Kupsa, 5.12.2023)

Wie kann ich mein Kind schützen?

Seit vielen Jahren ist die Gewaltprävention ein Schwerpunkt der Möwe. Diese sieben präventiven Botschaften gegen sexuellen Missbrauch sollten Bezugspersonen bereits kleinen Kindern immer wieder vermitteln:

1. Vertraue deinen Gefühlen:

Es gibt angenehme und unangenehme Gefühle, und es ist gut, darüber zu sprechen.

2. Es gibt gute Geheimnisse und schlechte Geheimnisse:

Wenn wir gemeinsam für Mama eine Torte backen und es vor ihr geheim halten, weil wir sie überraschen wollen, dann ist das ein gutes Geheimnis. Wenn mich ein anderes Kind immer wieder haut und mir droht, dann ist das ein schlechtes Geheimnis. Vor allem schlechte, belastende Geheimnisse darf man weitererzählen.

3. Dein Körper gehört dir:

Es gibt angenehme und unangenehme Berührungen. Jeder hat das Recht, über seinen Körper selbst zu bestimmen.

4. Du darfst Nein sagen:

Respekt voreinander ist wichtig. Dazu gehört auch, den Wunsch und Willen des Gegenübers zu akzeptieren. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann sage ich laut Nein.

5. Es ist nicht alles richtig, was Erwachsene tun:

Auch Menschen, denen wir vertrauen und die wir sehr bewundern, machen Fehler und sind nicht immer nett.

6. Hol dir Hilfe und sprich darüber:

Das Erzählen von Problemen ist so lange notwendig, bis dir jemand richtig zuhört und hilft. Am besten gehst du zu deinen Eltern und sagst: "Mama, ich muss dir was Wichtiges sagen!"

7. Gewalt ist nie in Ordnung:

Es gibt Alternativen zu Gewalt – nur so kann sie gestoppt werden.