Die Historikerin Sabine Jesner gewährt im Gastblog Einblicke in die Entstehung und Leistungsfähigkeit des seuchenpolitischen Frühwarnsystems der Habsburgermonarchie.

Adam Chenot gilt als einer der Pioniere der Seuchenbekämpfung in Europa. Als der gebürtige Luxemburger im Jahre 1755 vom Wiener Hof den Auftrag erhielt, nach Siebenbürgen zu reisen, um die dort rasant um sich greifende Pest zu bekämpfen, ahnte er nicht, dass dieses Unterfangen sein zukünftiges Berufsleben bestimmen würde.

Das im heutigen Rumänien gelegene Siebenbürgen sah sich Mitte des 18. Jahrhunderts mit einem schier unbezwingbaren Feind konfrontiert. Die Beulenpest bedrohte das Leben der Bevölkerung in der habsburgischen Grenzprovinz. Wie auch schon in den Jahrhunderten zuvor hatte sich die Seuche erneut ihren Weg aus dem angrenzenden Osmanischen Reich in die Monarchie gebahnt. Die Behörden in Siebenbürgen forderten Unterstützung vom Wiener Hof, welcher daraufhin gemeinsam mit seuchenprophylaktischen Maßnahmen (wie Beschränkungen des öffentlichen Lebens oder physischer Absonderung von Infizierten) medizinisches Fachpersonal – sogenannte Pestchirurgen – in die weit entfernte, am östlichen Rande der Monarchie gelegene Provinz entsandte.

Unbekannt waren den damaligen Betroffenen sowohl Infektionsursachen als auch Infektionswege der Krankheit. Ausgehend von der antiken Viersäftelehre (Humoralpathologie) wurde hartnäckig die Idee vertreten, der "Pestzunder" übertrage sich durch schädliche Miasmen über die Luft. Erst der Franzose Alexandre Émile Jean Yersin konnte 1894 das nach ihm benannte Stäbchenbakterium (Yersinia pestis) als Erreger festmachen. In dieser vormodernen Ära blieb für Zeitgenossen vieles im Unklaren und eine Zoonose in Verbindung mit Infektionsketten war nicht Teil der damaligen Erklärungsmodelle. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Bakteriologie, änderten sich die Präventionsstrategien nachhaltig, während davor eine Mischung aus antiken Denkmustern, rationaler Beobachtung und Bewältigungsstrategien dominierten, die in Aberglauben oder religiösen Vorstellungen verwurzelt waren.

Chenot und die Beulenpest

Bald nach seiner Ankunft in Hermannstadt (Sibiu), dem administrativen Zentrum der Provinz Siebenbürgen, wurde Chenot ins weiter östlich gelegene Kronstadt (Braşov) entsandt. Hier nahm er in einem provisorischen Lazarett in der oberen Vorstadt, einem Ortsteil außerhalb des Zentrums, den Kampf gegen die Infektionskrankheit auf. Zeitgleich begann der Arzt, seine Eindrücke nach Wien zu kommunizieren sowie Patientengeschichten und Krankheitsverläufe für sich selbst zu dokumentieren. Aus seinen Berichten lassen sich wertvolle Erkenntnisse zu Krankenzahlen, Symptomen und Letalität gewinnen. Gefühle wie Angst, Unzulänglichkeit und Ohnmacht spiegeln sich in den Briefen. Der Mediziner stellte bei der siebenbürgischen Bevölkerung ein hohes Maß an Skepsis gegenüber Medikamenten fest, da sich die Personen nicht immer auf seinen ärztlichen Rat einlassen wollten und oft viel zu spät, schon todkrank, ins Lazarett gebracht wurden, was eine zielgerichtete Behandlung unmöglich machte. Chenot erkrankte schließlich selbst an der gefährlichen Krankheit.

Deckblatt von Adam Chenots "Tractatus de Peste", 1766.
Foto: Gemeinfrei, https://wellcomecollection.org/works/nv5r8pam

In seinem Buch "Tractatus de Peste" aus dem Jahre 1766 dokumentierte der Arzt seinen eigenen Krankheitsverlauf. Seine Symptome: starke Kopfschmerzen, öfter Durchfall und Erbrechen, die Ausbildung von Petechien, geistige Umnachtung bis zur Raserei sowie die Ausbildung von Beulen, die anschwollen und sich kohlschwarz färbten. Chenot gab zudem Aufschluss über die (volks-)medizinischen Behandlungsmethoden. So ist von Spanischen Fliegen, welche auf die Waden gesetzt wurden und eigentlich giftige Käfer waren, Meerzwiebelsaft zur Förderung des Brechreizes, diversen Zugpflastern oder Peruanischer Rinde (auch als Jesuitenrinde oder Chinarinde aus der Malariabekämpfung bekannt) die Rede. Alle diese Maßnahmen sollten gemäß der antiken humoralpathologischen Lehre zum Ausscheiden schädlicher Flüssigkeiten beitragen und die Körpersäfte wieder in Einklang bringen. Chenot überlebte die Infektion. Der Pestausbruch konnte zwei Jahre später nach seiner Ankunft in Siebenbürgen erfolgreich eingedämmt werden. Die persönliche Krankheitserfahrung und die aus der Praxis gewonnene fachliche Expertise durch Beobachtung aber prägten das weitere berufliche Selbstverständnis des Mediziners.

Die habsburgischen "Contumazen"

Adam Chenot blieb seinem neuen Einsatzort treu. Von seiner Funktion als Pestchirurg stieg er zügig zum Protochirurg der Provinz auf. Dieses höchste medizinische Amt Siebenbürgens erweiterte sein Handlungsfeld und übertrug ihm die Aufsicht über den habsburgischen Sanitätskordon in der Siebenbürgischen Militärgrenze. Seit den 1720er-Jahren hatte sich durch gegenseitige Abkommen und Zollerleichterungen der wirtschaftliche Austausch zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich erheblich intensiviert. Der beiderseitige Wirtschaftsaufschwung förderte die Mobilität zwischen den Imperien. Der erhöhte Personen- und Warenverkehr hatte jedoch einen negativen Begleiteffekt: Die im Osmanischen Reich sehr häufig grassierende Pest fand durch die nun gesteigerte Mobilität allzu einfach ihren Weg auf habsburgisches Terrain.

So entschloss sich der Wiener Hof nach erfolgreicher Eindämmung eines verheerenden Pestausbruchs im Südosten der Monarchie in den 1730er-Jahren, strukturiertere Maßnahmen zur Seuchenprävention bereits an der Außengrenze der Monarchie einzurichten. Dabei nutzte der frühmoderne Staat die Institution der Militärgrenze und schuf mit der Etablierung von permanent aktiven Quarantäneanlagen an der Außengrenze neue medizinische Institutionen, welche zeitgenössisch als "Contumazen" (von Lat. contumacia: Widerspenstigkeit, Eigensinn) bezeichnet wurden. Die Militärgrenze stellte ein eigenes Verwaltungsterritorium dar, das ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen durch Grenzsoldaten militärisch bewachten Grenzgürtel von der Adria bis zum Karpatenbogen bildete. Lokale Wehrbauern erhielten in dieser Zone für die Bewachung der Außengrenze Grund und Boden als Militärlehen. Erst durch die Grenzkontrollen der Militärgrenzer konnten in den neu geschaffenen medizinischen Institutionen die den Quarantäneanlagen zugeordneten Aufgaben zur Seuchenprävention umgesetzt werden.

Habsburgische Militärgrenze mit Quarantänen im 18. Jahrhundert.
Foto: Sabine Jesner/Anika Kronberger

So durften ab den 1740er-Jahren Reisende, Tiere und Handelsgüter aus dem Osmanischen Reich nur noch nach erfolgreich vollzogener physischer Absonderung von 21 bis zu 84 Tagen in einer Contumaz in die Monarchie einreisen. Medizinisches Personal überwachte den Gesundheitsstand der Reisenden, und Angestellte, sogenannte "Reinigungsknechte", reinigten die mitgebrachten Waren und Tiere gegen eine verpflichtende Bezahlung von Reinigungssteuern in den Quarantäneanlagen. Es entstand eine rigoros überwachte medikalisierte Grenze, wo Einreisende sich mit Pass ausweisen, ihre Reiseroute darlegen und sich streng separiert und überwacht in Isolation begeben mussten. Diese seuchenpolitischen Präventivmaßnahmen blieben bis in das 19. Jahrhundert aufrecht.

Die Contumaz Schupanek, Lithografie von 1826.
Foto: Gemeinfrei, https://www.europeana.eu/item/402/URN_RS_NAE_cc79a4f0_0f37_43e8_b65c_390375f44157cho

Der bekannte dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen berichtet uns etwa in "Eines Dichters Basar" (1843) von einer solchen Grenzüberquerung und seinem Quarantäneaufenthalt in Schubanek (rum. Jupalnic, heute Teil von Orșova) in der historischen habsburgischen Region Banat, auf seinem Weg von Konstantinopel nach Dänemark:

"Unser Einzug in die Quarantäne war ein Motiv für einen Maler, ringsum bewaldete Berge und vor uns eine flache grüne Ebene, wo er zuerst die großen, mit Reisegepäck gefüllten Wagen unterbringen konnte. (...) dann die bunte Reisegesellschaft, Türken, Griechen und Franken. (...) Soldaten folgten als Geleit. Der Eintritt war überaus lustig! Wir sahen Kanonen, nackte Mauern, große Vorhängeschlösser, Schlüssel rasselten, Quarantäne-Beamte verzogen sich ehrerbietig zur Seite, um nicht mit uns in Berührung zu kommen. (...) Das ganze Gebäude ist eine Art Schachtel in der Schachtel; die innerste stellt so etwas wie einen viereckigen Garten vor, dessen Kern ein kleines Lusthaus aus ungemalten, rohen Brettern ist, an die sich zu heften die grünen Ranken nicht recht den Mut haben. Vier Flügelgebäude, in denen jedes Fenster doppelt vergittert ist, umgeben dieses Paradies, das man sehen, aber nicht berühren darf. Um dieses Gebäude herum erhebt sich wieder eine große Mauer, jede kleine Kammer hat dadurch einen kleinen Hof; die Mauer ist wieder von einer Mauer umgeben, und der Zwischenraum ist die Promenade. Davon zu lesen ist lustiger, als es in der Wirklichkeit zu erproben (...)."

Chenots umstrittene Reformkonzepte

Die Zeitgenossen empfanden die lange Zeit in Isolation als Bürde. Die Quarantänefristen wurden nach venezianischem Modell und nach Erprobung in den habsburgischen Seehäfen Triest und Rijeka auch auf die Landquarantänen angewendet. Die Dauer der Absonderung war jedoch mit hohen Kosten und einem erheblichen Zeitverlust verbunden, was bei manchen Warengattungen zu einer Wertminderung führte. Aufbauend auf seiner langjährigen Expertise, begann Adam Chenot in den 1770er-Jahren, als dieses seuchenpolitische Frühwarnsystem zunehmend in Kritik geriet, einen Reformprozess zu initiieren. Denn auch dem Epidemiologen waren die langen Quarantänefristen ein Dorn im Auge, hatte er doch aus seiner praktischen Tätigkeit in Bezug auf Verbreitung und klinischen Verlauf der Pest gelernt, dass die Inkubationszeit selten mehr als sieben Tage betrug.

Handschrift Adam Chenots.
Foto: Rumänisches Staatsarchiv, Sibiu

Aus Chenots Korrespondenz mit dem Wiener Hofkriegsrat, welcher seit 1776 für den habsburgischen Seuchenkordon verantwortlich war, wissen wir, dass Chenot im Falle eines guten Gesundheitszustands im angrenzenden Osmanischen Reich für eine Verkürzung der physischen Absonderung sowie für ein weniger strenges Reinigungsmanagement für bestimmte Handelsgüter plädierte. Hatte man bis dahin besonders das Auslüften oder Räuchern der Waren forciert, um die schädlichen Miasmen loszuwerden, setzte Chenot auf die verstärkte Reinigung durch Wasser und die Verbesserung der Hygiene.

Chenot verfasste mehrere Schriften zur Reform des Quarantänemanagements in der Militärgrenze, welche allesamt bei den Experten der Medizinischen Fakultät in Wien auf vehementen Widerstand stießen. Die Miasmatheorie sollte den medizinischen Diskurs noch bis ins 19. Jahrhundert lenken und die Gesetzgebung prägen. Dennoch fand Chenot im habsburgischen Regenten Joseph II. einen aufmerksamen Zuhörer. Die beiden hatten sich bereits 1773 auf einer Reise Josephs durch Siebenbürgen in der Contumaz Rothenturm (Turnu Roşu), an der Grenze zum unter osmanischer Oberhoheit stehenden Fürstentum Wallachei, kennengelernt. Bezeichnete ihn Joseph in seinen Tagebüchern noch wenig wohlwollend als einen "ignoranten Maulmacher seines Handwerks", so lernte der Monarch Chenots Ansätze und Erfahrungen durchaus zu schätzen und erlaubte ihm auf Wunsch des Hofkriegsrats eine Reise nach Wien. Chenot erhielt nun als "Referent für Sanitäts- und Contumazangelegenheiten" eine Plattform, um seine Thesen in Wien zu vertreten. Seine Reformbestrebungen wurden mit dem Titel eines Sanitätsrats gewürdigt, fanden jedoch lange Zeit noch keinen Niederschlag in der Seuchengesetzgebung.

Dennoch konnte der Epidemiologe zumindest einen kleinen Erfolg für sich verbuchen, als 1785 die verpflichtende Quarantäne in der Militärgrenze informell aufgehoben wurde, sofern kein Pestfall in den angrenzenden Gebieten bekannt war. Im Falle eines Ausbruchs und der Annäherung der Pestgefahr an die Außengrenze der Monarchie reduzierte sich die Quarantäne auf zehn oder zwanzig Tage. Erst mit dem Pestgesetz von 1836 sollte diese Regelung zum Gesetz werden. Adam Chenot verstarb bereits Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1789 in Wien. 1798 überließen die Erben des Epidemiologen den Wiener Zentralstellen für eine Summe von 300 Gulden die Manuskripte Chenots mit seinen Thesen "über das Pestübel".

Die Karriere des Präventionsmodells

Der präventive Charakter des habsburgischen Quarantänesystems war Teil eines politischen Programms, dass sich im 18. Jahrhundert etablierte. Es handelte sich bei der Leitidee um "die Medizinalpolizei", welche danach trachtete, die Bevölkerung zum Besten des frühmodernen Staates zu schützen und ihre Sicherheit zu gewährleisten. Die Überwachung der Bevölkerung und "social distancing" als Methoden zur Unterbrechung von Ansteckungsketten wurden in dieser Zeit zum fixen Bestandteil einer sich in den Anfängen befindenden öffentlichen Gesundheit.

Die habsburgische Pionierleistung auf dem Gebiet der Seuchenprophylaxe wurde sowohl von den Osmanen als auch vom Zarenreich adaptiert und aufgegriffen. Hierbei kam es besonders Ende der 1830er-Jahre zu einem regen Kontakt zwischen dem Wiener Hof und der Hohen Pforte in Konstantinopel. Habsburgische Contumazärzte erläuterten in Konstantinopel die Methode der Quarantäne und praktizierten medizinische Aufklärung. Ausgehend von diesem Wissenstransfer etablierten sich zunehmend weitmaschigere Sanitätskordone im südöstlichen Europa, welche einen positiven Effekt auf die Eindämmung der "orientalischen Pest" in ganz Europa hatten. (Sabine Jesner, 29.11.2022)