"Müssen wir 2023 das Licht abdrehen im ORF?" Stiftungsrat Heinz Lederer verlangt nach der düsteren Finanzvorschau einen "Plan B" der ORF-Führung für den öffentlich-rechtlichen Medienkonzern.

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Wien – "Müssen wir Landesstudios zusperren?", fragt sich ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) nach einem dramatischen Warnschreiben des ORF-Generals an seine Aufsichtsräte. "Müssen wir Verträge mit Filmproduzenten kündigen?", grübelt Lederer, und: "Müssen wir Mitarbeiter abbauen?"

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat Lederer auf diese Fragen gebracht. Der ORF-Chef hat die Stiftungsräte in der Nacht auf Freitag mit einem Schreiben auf "eine der größten Finanzierungskrisen des ORF in seiner Geschichte" eingestimmt.

  • Der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, Lothar Lockl (Grüne), spricht von einer "besorgniserregenden Situation" für den ORF.
  • Der Stiftungsrat der FPÖ, Rechtsanwalt Niki Haas, sieht in der Finanzprognose eine Bestätigung seines Zugangs: Der ORF müsse sein Angebot und seine Strukturen hinterfragen.
  • Die Sprecherin der grünen Stiftungsräte, Sigrid Pilz, ruft nach einer "zukunftsorientierten Weichenstellung" für die ORF-Finanzierung.
  • Thomas Zach, Sprecher der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion im Stiftungsrat, erklärt nur knapp zur trüben Prognose: "Wir werden uns das am Montag im Finanzausschuss sehr genau anschauen."
  • Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) wollte sich am Freitag nicht zur Finanzvorschau auf zwei- bis dreistellige Millionenverluste ab 2024 und der ORF-Hoffnung auf eine neue, höhere öffentliche Finanzierung äußern. Die Ministerin habe sich schon grundsätzlich zum Thema geäußert, hieß es im Kanzleramt. Im Wesentlichen war das: Sie arbeite an einer neuen Finanzierung, es gebe drei Möglichkeiten – um Streaming erweiterte GIS, Haushaltsabgabe und Budgetfinanzierung (die zuletzt Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger wertgesichert favorisierte). Die Belastung für das Publikum solle möglichst gering sein.
  • Heinz Lederer, von der SPÖ ins oberste ORF-Gremium entsandt, verlangt von der Geschäftsführung ein Konzept, wie sie der düsteren Finanzprognose auch ohne mehr öffentliches Geld begegnen kann – einen "Plan B" also.

"Finanzierung nicht garantiert"

Die düstere Finanzvorschau der ORF-Geschäftsführung: 70 Millionen Euro Verlust drohten Österreichs größtem Medienkonzern mit rund einer Milliarde Umsatz 2024, hochgerechnet aus der heutigen Inflation, den aktuellen Energiekosten und den aktuellen Abmeldungen von der GIS. 2025 würde der ORF in diesem Szenario schon 90 Millionen Euro Minus machen, 2026 dann rund 130 Millionen Euro.

Der ORF "kann auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells sein umfangreiches Leistungsangebot nicht uneingeschränkt fortschreiben, die Finanzierung der gesetzlichen Aufträge ist dadurch nicht mehr garantiert", schreibt Weißmann.

Generalmobilmachung

Der ORF-General will die Stiftungsräte, aber auch die Länder, die Produktionsbranche, Kunst- und Kulturschaffende und Interessenorganisationen von Religion über Sport bis Barrierefreiheit mobilisieren. All diese Bereiche "stehen auf dem Spiel".

Das Ziel: Beschließen die Regierungsparteien 2023 ein neues Finanzierungsmodell für den ORF, dann solle es mehr öffentliches Geld für den Medienkonzern bringen. 660 Millionen Euro aus GIS-Gebühren sind für heuer budgetiert, die aber nicht für Streamingnutzung anfallen; mit rund 720 Millionen pro Jahr könnte der ORF seine Drohszenarien für 2024 bis 2026 zurücknehmen, sagen Kenner der ORF-Finanzen. Der Verfassungsgerichtshof verlangt, dass die ORF-Finanzierung auch Streamingnutzung einschließen müsse.

Die jüngste GIS-Erhöhung um acht Prozent, geplant für fünf Jahre, sei schon im laufenden Jahr von der Inflation überholt worden, argumentiert der ORF-General.

Lederer: "Müssen wir 2023 das Licht abdrehen?"

Lederer verlangt nun von Weißmann ein konkretes Szenario, wenn die Republik nicht wie erhofft aufstockt. "Wir brauchen, schon aus rechtlicher und kaufmännischer Verantwortung, einen Plan B", sagt Lederer. Also: Welche Leistungen müsste der ORF sonst tatsächlich streichen? Lederer: "Müssen wir 2023 das Licht abdrehen?" – also: zusperren? Ein etwas drastisch formuliertes Szenario.

Lockl: "Situation ist besorgniserregend"

"Die Situation ist besorgniserregend", sagt Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl (Grüne): "Die Politik muss nun mit der Frage einer nachhaltigen Finanzierung darüber entscheiden, ob der ORF-Auftrag in bisheriger Form aufrechterhalten werden kann." Er wolle den – wohl intensiven – Diskussionen am Montag im Finanzausschuss und im Plenum am kommenden Donnerstag nicht vorgreifen, ergänzt Lockl.

Haas: Zeit für "Gesamtreform des ORF"

Stiftungsrat Niki Haas (FPÖ) sieht die "prekäre" Finanzsituation des ORF "auch in Verfehlungen der letzten Jahre" begründet.

Die düstere Finanzvorschau nimmt er zum Anlass, das Angebot zu überdenken – etwa die aktuelle Senderflotte und die ORF-Struktur. Haas: "Aus meiner Sicht sollte jetzt auch aufgrund der Aussicht für 2024 eine Gesamtreform des ORF in Angriff genommen werden."

Sowohl die Senderflotte des ORF als auch seine Struktur solle "an die heutige Struktur angepasst werden". Zuletzt plädierte Haas gegenüber dem STANDARD für weniger lineare Sender und mehr digitale Möglichkeiten.

Solche Reformen seien nur in Abstimmung zwischen ORF und Politik möglich. Aber die Zeit für eine neue ORF-Finanzierung dränge. Also gehe er davon aus, "dass diese Reform, sofern überhaupt gewollt, erst in den nächsten Jahren kommen wird".

Pilz gegen "halbherzige" GIS-Lösung

Die Finanzvorschau kommt für Sigrid Pilz nicht überraschend: Das Szenario habe sich mit Teuerung und sinkenden GIS-Beiträgen abgezeichnet. "Manches kann man nicht aussitzen", konstatiert die Sprecherin der Grünen im Stiftungsrat.

"Es gibt aus dieser Situation keinen Ausweg außer eine ordentliche politische Lösung", erklärt Pilz auf STANDARD-Anfrage. Es brauche ein zukunftsfähiges Modell für die ORF-Finanzierung, "nachhaltig und kalkulierbar".

Die Streaming-Lücke dürfe nicht "halbherzig" geschlossen werden, sagt Pilz. Im STANDARD-Interview sprach sie sich zuletzt deutlich gegen eine um Streaming erweiterte GIS aus: Solche "anachronistischen" "Haustürgeschäfte des GIS-Außendienstes sei des ORF nicht würdig – und würden mit der Erweiterung auf Tablets oder Computer mit bestimmter Bildschirmgröße nicht handhabbar.

Auf ein konkretes Modell für die künftige ORF-Finanzierung wollte sie sich nicht festlegen: "Machen wir's jetzt ordentlich", sagt Pilz, es muss eine "zukunftsorientierte Weichenstellung her", "der Gesetzgeber hat einen Auftrag".

Stiftungsrat berät über ORF-Finanzen

Kommende Woche berät der Stiftungsrat die Lage und den Finanzplan für 2023. Mit Einmalmaßnahmen soll der ORF heuer und 2023 noch ausgeglichen abschließen. (fid, 26.11.2022)