Eine ausrangierte Raffinerie des französischen Ölkonzerns Total. Unter anderem in dieses Unternehmen investieren österreichische Anleger, wenn sie in grüne Fonds einsteigen.

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Mit ihrer Hilfe werden Milliarden an Euro bewegt. Sie tragen Namen wie Blackrock New Energy Fund, Nordea Sicav Climate and Environment oder Mirova Global Sustainable Equity: Investmentfonds sind Bündel aus Wertpapieren, in die Anlegerinnen und Anleger ihr Geld stecken können, von Aktien über Staatsanleihen bis zu Immobilien.

Was solche Fonds betrifft, hat sich in den vergangenen Jahren ein Megatrend herausgebildet, einer der größten in der Finanzindustrie. Er trägt das Kürzel ESG, und das steht für Environmental, Social, Governance. Unter ESG-Fonds versteht man all jene, die ihre Investments an ökologischen, sozialen und politischen Kriterien ausrichten. Die Aktie einer Kohlemine oder eines Ölkonzerns, die Anleihe einer Diktatur oder eines Unternehmens, das von Kinderarbeit profitiert? Derartiges hat in einem ESG-Fonds nichts verloren. Der Anspruch lautet, durch Investitionsentscheidungen am globalen Finanzmarkt die Welt besser zu machen und das Klima zu retten.

Megatrend ESG-Fonds floriert

ESG-Fonds florieren: Seit dem Jahr 2016 gibt es bei ESG-Produkten einen Zuwachs von 55 Prozent, berichtet der britische "Economist". Mehr als 34 Billionen Euro stecken heute weltweit in ESG-Papieren. In der EU ist laut einer Erhebung der Wirtschaftsberatungsagentur PwC von 2021 bereits ein Drittel aller Fonds als nachhaltig klassifiziert – und das Wachstum setzt sich Jahr für Jahr rasant fort.

Allerdings sind die grünen Fonds in Wahrheit nicht immer so grün, wie es den Anschein hat. Das zeigen die Ergebnisse eines europaweiten Rechercheprojekts, an dem auch DER STANDARD beteiligt ist. Initiiert von den niederländischen Investigativplattformen "Follow the Money" und "Investico", haben elf europäische Medien mitgearbeitet, neben dem STANDARD etwa die französische Zeitung "Le Monde", das deutsche "Handelsblatt" und Spaniens "El País".

Die Methode: Mithilfe von Datensätzen von Finanzinformationsunternehmen wie Bloomberg wurde extrahiert und analysiert, in welche Papiere genau jene Fonds ihr Geld investiert haben, die sich als nachhaltig deklarieren. Es zeigt sich, dass hohe Summen in Bereiche wie fossile Energien und Luftverkehr fließen – also alles andere als grüne Sektoren.

Eine europaweite Recherche

Dazu muss man wissen, dass die ESG-Landschaft in der EU seit März 2021 gesetzlich reguliert ist, um Wildwuchs und Greenwashing zu verhindern. Die EU-Verordnung "über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor" gliedert die grünen Fonds je nach dem Ausmaß an Nachhaltigkeit in mehrere Klassen (siehe WISSEN unten). Am strengsten geregelt sind die sogenannten Artikel-9-Fonds, im Anlegerjargon "dunkelgrüne" Fonds genannt: Sie verfolgen Anlageziele strikt gemäß den UN-Nachhaltigkeitszielen; ihnen ist es verboten, Investitionen zu tätigen, die ökologischen und sozialen Zielen zuwiderlaufen. Im Rahmen des Rechercheprojekts wurden ausschließlich diese strengen dunkelgrünen Fonds berücksichtigt.

Für Österreich wurden 392 dunkelgrüne Fonds analysiert, unter denen Anlegerinnen und Anleger wählen können. Es handelt sich dabei sowohl um inländische Produkte, hinter denen österreichische Finanzinstitute stehen, als auch um ausländische, in die auch Anleger in Österreich einsteigen können. In Summe haben diese grünen Fonds knapp 50.000 Investments jeglicher Art getätigt. Sie verfügen insgesamt über einen Marktwert von rund 218 Milliarden Euro, Stand Juni 2022.

Es zeigt sich, dass unter diesen 392 Artikel-9-Produkten ganze 172 Fonds – also 58 Prozent – Investitionen getätigt haben, die nicht als nachhaltig bezeichnet werden können. Veranlagt wurde etwa in Öl-, Gas- oder Kohleunternehmen sowie in der Flugindustrie. In Summe machen diese Investments 1,8 Prozent des gesamten Marktwerts der dunkelgrünen Fonds in Österreich aus.

Was ganz Europa betrifft, wurden vom Recherchekollektiv insgesamt 838 grüne Fonds analysiert. Der Anteil derer, die in sogenannte graue Bereiche investieren, liegt hier bei 46,3 Prozent.

Wenn grüne Fonds in Ölkonzerne investieren

Das Geld fließt in hunderte unterschiedliche Unternehmen, die Nachhaltigkeitskriterien keineswegs erfüllen. Dunkelgrüne Fonds, in die auch Menschen in Österreich einsteigen können, investieren ihr Geld – um wenige Beispiele unter hunderten zu nennen – etwa in den italienische Strom- und Gasversorger Enel, den deutschen Energiekonzern und Kohlekraftwerksbetreiber RWE, das französische Tankstellenunternehmen Total, Österreichs teilstaatlichen Ölkonzern OMV sowie Ungarns MOL.

Besonders stark investiert in nicht-grüne Bereiche sind einige internationale Fondsgesellschaften. Da wäre etwa der Blackrock New Energy Fund des gleichnamigen weltgrößten US-Vermögensverwalters. Der Fonds ist in Luxemburg registriert und steht österreichischen Kunden als Investmentmöglichkeit zur Verfügung. Bei Blackrock liegt der Anteil nicht nachhaltiger Investments am gesamten Marktwert bei stolzen 18 Prozent. Nicht viel besser sieht es mit einem Anteil von zwölf Prozent beim Fonds Clean Energy der Schweizer Privatbank Pictet aus; beim Nachhaltigkeitsfonds der US-Großbank Morgan Stanley liegt er bei sechs Prozent.

Grüner Inhalt, grüne Verpackung?

Deutlich besser schneiden in der Auswertung die ESG-Fonds österreichischer Banken ab. Artikel-9-Fonds der heimischen Großbanken Erste Bank und Raiffeisen enthalten laut den Recherchen tatsächlich keine Investments in fossile Unternehmungen oder die Flugindustrie. Zumindest hier ist also tatsächlich Grün drinnen, wo Grün draufsteht. Hinzugefügt sei aber: Auch wenn die Fonds der österreichischen Banken selbst sauber sind, bieten diese doch die Produkte ihrer ausländischen Pendants ihren Kunden an, die weit weniger grün ausfallen. Sowohl über den Fonds-Finder von Raiffeisen als auch über das Onlinebanking der Erste Bank können österreichische Anleger beispielsweise in den ESG-Fonds von Blackrock einsteigen.

Demonstration von Umweltaktivisten vor dem Hauptquartier von Blackrock in New York im Oktober.
Foto: IMAGO/Gina M Randazzo

Alles in Ordnung, rechtfertigen sich die betroffenen internationalen Finanzunternehmen – oder aber, sinngemäß: Es handelt sich lediglich um Versehen. Von der US-Großbank Morgan Stanley etwa heißt auf STANDARD-Anfrage, die betreffenden ESG-Fonds würden seit wenigen Wochen nicht mehr über das strenge Dunkelgrün-Label verfügen: Sie seien gewissermaßen hinuntergestuft worden. Weil dieser Schritt aber erst kürzlich erfolgte, scheine er in Anlageprospekten und anderen Unterlagen noch nicht auf, rechtfertigt sich Morgan Stanley.

"Transformation unterstützen"

Anders lauten die Stellungnahmen von Blackrock und Pictet: Sie argumentieren auf Anfrage des Recherchekollektivs, dass man es durchaus für zulässig halte, auch in fossile Unternehmen zu investieren – sofern diese über einen glaubwürdigen Plan zum Fossil-Ausstieg verfügen und sich dem Ausbau klimafreundlicher Technologien verschrieben haben. "Wir glauben, der beste Weg, einen positiven Wandel zu bewirken, ist, Unternehmen in ihrer energetischen Transformation zu unterstützen, statt sie komplett auszuschließen", so Pictet. Ähnlich Blackrock: Sofern Unternehmen "die Dekarbonisierung des Energiesektors vorantreiben", teilt der US-Vermögensverwalter mit, gebe es "kein Ausschlusskriterium für fossile Energien".

Ein Tool zum Selberüberprüfen für alle Anlegerinnen und Anleger, die in Artikel-9-Fonds investiert haben (Stand Ende Juni 2022): Das Suchwerkzeug funktioniert mit der sogenannten ISIN-Nummer, über die jedes Anlageprodukt verfügt. Falls sie nicht bekannt ist, findet sie sich im Anlageprospekt – oder man erfährt sie mittels Rücksprache mit der Hausbank. Falls der jeweilige Fonds "graue" Investitionen enthält, finden sie sich nach Eingabe der ISIN-Nummer – samt Marktwert – aufgelistet.

Aber welche Konsequenzen folgen aus all dem? Ist es denn illegal, wenn Fondsgesellschaften ihre grünen Versprechen unzureichend erfüllen? Wer diese Frage stellt, begibt sich auf das heikle Terrain der EU-Gesetzgebung. Laut der EU-Verordnung über Nachhaltigkeit im Finanzdienstleistungssektor ist es nicht explizit verboten, dass ein Artikel-9-Fonds in fossile Industrien investiert. Allerdings: Untersagt sind Investments, bei denen "ökologische oder sozialen Ziele" verletzt werden. Und dass diese Anforderung und Fossilinvestments zusammenpassen, sei "ziemlich schwierig zu argumentieren", teilt die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA dem Recherchekollektiv mit. Salopp formuliert: Das geht sich nicht aus.

Ein Verstoß gegen gesetzliche Anforderungen?

Auf österreichischer Ebene ist die Finanzmarktaufsicht (FMA) für die Durchsetzung der Regeln verantwortlich. Sie verweist zunächst auf STANDARD-Anfrage darauf, dass man nicht für die Kontrolle ausländischer Fonds zuständig sei, die in Österreich lediglich vertrieben werden. Falls "aufsichtsrechtlich relevante Wahrnehmungen zu diesen Fonds" bestehen, so ein FMA-Sprecher, "so wird die FMA die zuständige Aufsichtsbehörde des Heimatlandes darüber in Kenntnis setzen."

Im Falle einer unrichtigen Kategorisierung und damit unrichtigen Offenlegung "könnte ein Verstoß gegen die gesetzlichen Anforderungen vorliegen", so die FMA. Die Rechtslage ist je nach EU-Land unterschiedlich. In Österreich zieht eine unrichtige Offenlegung ein Verwaltungsstrafverfahren nach sich; das Strafmaß kann laut Investmentfondsgesetz bis zu 60.000 Euro betragen – samt Entzug der unrichtigen Klassifizierung.

Man darf also gespannt sein, was die Fondsgesellschaften erwartet, die es mit den ESG-Zielen offenbar nicht ganz so genau genommen haben. (Joseph Gepp, 29.11.2022)