Hans Peter Doskozil steht inmitten einer Traube von Kindern in Kampfsportanzügen. Zwei junge Männer fixieren mit festem Griff auf Brusthöhe ein daumendickes Holzbrett. Doskozil holt aus, hebt den Ellbogen. "Voll rein?", fragt er. Aber er zögert nicht, wirft sich gegen die Platte. Sie bricht – exakt in der Mitte. Doskozil lächelt.

Die Szene hat sich im Jahr 2017 in einem Taekwondo-Verein in Wien abgespielt, ein Video davon wurde auf Youtube gestellt. Doskozil war damals Minister für Verteidigung und Sport. "Wär eh peinlich gewesen, wenn das nicht funktioniert hätte", sagte er den anwesenden Journalisten.

Der Auftritt ist bezeichnend für den heutigen burgenländischen Landeshauptmann: Doskozil ist einer, der ausholt, zielt und zuschlägt, wenn er es für richtig hält – selbst wenn der Kampfausgang ungewiss ist. Er gilt als politischer Überzeugungstäter, und überzeugt ist er vor allem von sich selbst und seinen Ideen. Wenn er sich etwas in den Kopf setze, denke er über die Option des Scheiterns kaum nach. Er agiere dann wie ein Besessener, sagen Leute, die ihn lange kennen.

Ausholen, zielen, zuschlagen: Hans Peter Doskozil im Jahr 2017 in einem Wiener Kampfsportverein.
Foto: Martin Steiger

Gerade hat Doskozil mit einer Umfrage Schlagzeilen gemacht. Im Auftrag der burgenländischen SPÖ ließ er den Meinungsforscher Peter Hajek abfragen, ob aktuell er oder die eigentliche Chefsozialdemokratin Pamela Rendi-Wagner bei einer Nationalratswahl erfolgreicher wäre. Heraus kam: Die SPÖ würde mit Doskozil als Spitzenkandidaten um fünf Prozentpunkte besser abschneiden. Die Freiheitlichen könnte Doskozil klar abhängen, Rendi-Wagner nicht. Seither ist in der SPÖ wieder Feuer am Dach – einmal mehr, weil Doskozil gezündelt hat.

Nicht nur innerhalb der SPÖ stellen sich viele Fragen: Was hat Doskozil vor? Bricht in der SPÖ gerade ein Machtkampf aus? Und vor allem: Wie wurde der Mann so, wie er ist?

YU-Taekwondo

"Ich mache, was ich für richtig halte"

DER STANDARD hat mit zahlreichen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, mit Wegbegleitern, Kritikern und engen Vertrauten Doskozils gesprochen. Ihnen allen ist gemein, dass sie namentlich nicht zitiert werden wollen. Womöglich ist auch das ein Indiz dafür, welche Unsicherheit derzeit in der Partei herrscht. Es geht um nicht weniger als um die Ausrichtung, Stabilität und Zukunft der SPÖ. Denn, und da sind sich fast alle einig, die Doskozil kennen: Er will der nächste Spitzenkandidat der SPÖ – und Kanzler – werden. Er selbst sagte dem STANDARD dazu im Februar verheißungsvoll: "Wir werden sehen, wo uns die Zukunft hinbringt."

Hans Peter Doskozil wuchs in der burgenländischen Kleingemeinde Grafenschachen auf. Seine Eltern arbeiteten beide in einer Fabrik. Doskozil entschied sich nach der Matura, Polizist zu werden. Aber er wollte mehr. Mit 24 Jahren begann er, nebenbei Jus zu studieren. Er arbeitete dann im Innenministerium als Experte für Fremdenrecht und leitete später das Büro des damaligen burgenländischen Landeshauptmanns Hans Niessl. 2012 wurde er Landespolizeidirektor – und, auf dem Höhepunkt der Fluchtkrise 2015, österreichweit bekannt. So holte ihn Werner Faymann in seine Bundesregierung, und Doskozil entwickelte ein Gefühl dafür, was es bedeutet, seine Vorstellungen im großen Stil umsetzen zu können; wenn nur die anderen nicht wären.

Es ist noch nicht lange her, da wollte Doskozil Panzer anrollen lassen, um seiner Position Vehemenz zu verleihen. Das schwere Gerät und hunderte Soldaten standen im Sommer 2017 faktisch bereit und sollten die Brennergrenze zu Italien für ankommende Flüchtlinge dichtmachen. Diese Aktion hatte sich Doskozil in den Kopf gesetzt – ohne sich in der Regierung abzustimmen. Das Ergebnis war eine handfeste diplomatische Krise. Korrigieren musste die Situation Ex-Kanzler Christian Kern, der wenige Wochen später eine Nationalratswahl zu schlagen hatte. Doskozil beeindruckte das nicht. "Ich mache, was ich für richtig halte", sagte er dem Magazin News.

"Grün-linke Fundi-Politik"

Als die Wahl immer näher rückte, fuhr Doskozil seinem damaligen Chef dann auch noch mit einem pikanten Doppelinterview im STANDARD in die Parade. Da inszenierte er sich ausgerechnet mit Kerns damals größtem Kontrahenten – Sebastian Kurz – als enger Partner in Migrationsfragen. Hatte er damals schon die Idee, die Partei zu übernehmen?

Etwa ein Jahr nach der Wahl ätzte Doskozil über die "grün-linke Fundi-Politik" in Kerns Parteiprogramm. Die SPÖ war da längst in die Opposition abgerutscht und Doskozil als Landesrat in seine politische Heimat zurückgekehrt. Von dort aus entwickelte er seine neue Rolle. Er wurde zum schärfsten Kritiker seiner eigenen Partei. In Bezug auf Grüne und Linke hat er inzwischen aber seine Meinung geändert: Doskozil ist ein offener Verfechter der Position, dass die SPÖ eine Ampelkoalition mit Grünen und Neos anstreben solle.

Wegbegleiter Doskozils beteuern: Es gehe diesem nicht nur um Stunk und die damit verbundene Aufmerksamkeit. "Dosko" sei ein inhaltsgetriebener Mensch.

Ist ein Verfechter einer rot-grün-pinken Ampelkoalition: Hans Peter Doskozil.
Foto: APA/GEORGES SCHNEIDER

Jedenfalls wurde er Landeshauptmann mit einer absoluten Mehrheit im Rücken. Das Burgenland baute er zu seiner roten Modellregion um. Die Idee dahinter war wohl schon immer, sie irgendwann bundesweit umzusetzen.

Doskozil habe "eine sozialistische Grundhaltung", aber denke die Dinge gerne neu, preist ihn jemand aus seinem Umfeld. Jedenfalls hat er keine Scheu, mit alten Konventionen der SPÖ zu brechen. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 1700 Euro im öffentlichen Dienst im Burgenland stieß er die rote Gewerkschaft vor den Kopf. Dort sah man die eigene Macht über die jährlichen Gehaltsverhandlungen schwinden.

Innerhalb der ÖVP ist Doskozil mit seinem Hang zur Verstaatlichung ohnehin als "Quasi-Kommunist" verschrien. Allerdings sendet er nicht nur linke, sondern auch rechte Signale aus. Deutlich wird das vor allem bei seinem restriktiven Asylkurs. Und die Freiheitlichen sitzen der SPÖ in Umfragen im Nacken. Doskozil könne sie in Schach halten, lautet die Hoffnung seiner Anhänger.

Eine offene Frage ist, ob ihn seine eigene Partei auf Bundesebene überhaupt jemals zum Zug kommen lassen würde. Seine Anhänger sagen: Er wolle ohnehin "nur" Spitzenkandidat für die nächste Wahl werden. Parteivorsitzende könne Rendi-Wagner bleiben – zumindest vorerst, verlautet es großzügig aus Eisenstadt. Die Parteichefin werde den Teufel tun und das Feld räumen, klingt das Echo aus der Wiener Parteizentrale. Rendi-Wagner strebt selbst die Kanzlerschaft an, daran lässt sie keinen Zweifel. Und sie hat die mächtige Wiener SPÖ hinter sich.

Machtmensch mit Fehlern

Doskozils Krankheit, die eine dauerhaft heisere Stimme verursacht, sieht man in seinem Team jedenfalls nicht als Problem an. Oder, wie es einer seiner größten innerparteilichen Fans scherzhaft ausdrückt: Doskozil könne "der Tom Waits der österreichischen Innenpolitik" werden. Der Musiker ist für seine kratzige Stimme bekannt.

Fest steht: Doskozil ist ein Machtmensch. Einer, der ungern Kompromisse schließe, weil er überzeugt sei, dass seine Ideen die besseren sind, wie ein Weggefährte erzählt. Aber auch einer, der zu taktischen Fehlern neige, in Teams nicht integrierbar sei. Gleichzeitig wird Doskozil in der SPÖ als "einer unserer Begabtesten" beschrieben, der Wählergruppen erreicht, die für die Roten lange unerreichbar schienen. Manche wollen in ihm einen der größten Populisten nach Jörg Haider erkennen – und wie dieser stehe er sich mit seiner Art selbst im Weg. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 26.11.2022)