Oliver Maier ist hauptverantwortlich dafür, was Haribo auf den Markt bringt. Er spricht über Fruchtgummi mit Schnitzel-Aromen und darüber, wie man besser schmecken lernt.

STANDARD: Landläufig gelten die roten Goldbären als die beliebtesten. Stimmt das?

Maier: Die Meinungen gehen weit auseinander, das finde ich großartig. Jede Geschmacksrichtung hat Fans, aber die Roten haben besonders viele. Deshalb gibt es mit Erdbeere (hellrot) und Himbeere (dunkelrot) auch zwei in der Mischung.

STANDARD: Und Ihre Favoriten?

Maier: Die weißen Goldbären – Ananas – sind mir die liebsten. Einerseits wegen des fruchtigen Geschmacks, andererseits, weil man durch sie durchschauen kann.

STANDARD: Hauptberuflich Süßigkeiten verkosten. Das klingt für viele nach einem Traumjob. Wie viel Süßes essen Sie pro Tag?

Maier: Schwer zu sagen. Wenn es 100 Gramm sind, ist es viel. Aber ich beurteile rund 250 Kilogramm unserer Produkte pro Jahr.

Oliver Maier kontrolliert auch, ob die Bären exakt 2,3 Gramm wiegen und 21 mal zwölf Millimeter groß sind.
Foto: © Marina Weigl

STANDARD: Was heißt das?

Maier: Ich öffne Verpackungen mit einem Gesamtgewicht von 250 Kilo, das esse ich aber nicht alles. Ich kontrolliere den Inhalt auf Konsistenz, Geruch, Größe, Form und natürlich Geschmack. Man kann all das mit objektiven Analyseverfahren prüfen, aber am einfachsten und zuverlässigsten sind die eigenen Sinne.

STANDARD: Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Maier: Verkosten von Produkten nimmt viel Platz ein, das fängt schon bei den Rohstoffen an. Passt deren Qualität nicht, passt auch das Endprodukt nicht. Aber auch im Büro fällt einiges an Arbeit an, zum Beispiel die regulatorische Prüfung von Rohstoffen und Fertigwaren. Die Zutat Kirschsaft etwa benötigt in den USA eine ganz andere Deklaration als in Deutschland und Österreich. Diese kleinen Unterschiede sind sehr wichtig.

STANDARD: Man nennt Sie Goldbären-Sommelier. Was unterscheidet Sie von einem, der Wein verkostet?

Maier: Das Ziel ist ein anderes. Goldbären müssen für den Konsumenten sein Leben lang gleich schmecken, es darf keinen Unterschied zu den Geschmackseindrücken in der Kindheit geben. Beim Wein erwartet man von jedem Jahrgang individuellen Geschmack.

Goldbären gibt es seit 1922, den Apfelgeschmack bekam der grüne Bär aber erst im Jahr 2007.
Foto: Haribo

STANDARD: Goldbären feiern heuer ihren 100. Geburtstag. Hat sich das Rezept im Lauf der Zeit verändert?

Maier: Minimale Anpassungen gab es in der Vergangenheit, aber an sich ist es gleich geblieben. Allerdings wurde Anfang der 1960er aus dem ursprünglichen Tanzbär der heutige Goldbär. Er ist etwas kleiner und runder. Das ganze Rezept kennen weltweit nur zwölf Personen. Wer damit arbeitet, erfährt nur, was für seinen Arbeitsbereich relevant ist.

STANDARD: Gibt es Geschmacksrichtungen, die Sie nie entwickeln würden?

Maier: Wir haben schon sehr viel experimentiert, wirkliche No-Gos gibt es nicht. Fruchtiges oder Geschmäcker aus einer ähnlichen Richtung wie Kuchen oder Schokolade gehen immer. Heuer gibt es Goldbären mit dem Geschmack der liebsten Kuchen der Deutschen, wie etwa Schwarzwälder Kirschtorte. Es wäre kein Problem, Goldbären mit Sushi-, Brokkoli- oder Schnitzelgeschmack herzustellen, passt aber nicht. Exotische Sondereditionen funktionieren selten dauerhaft, sie sind aber oft anlassbezogen. Das kann Weihnachten sein oder das Metal-Festival Wacken. Unterm Strich sind und bleiben die originalen Goldbären am beliebtesten.

STANDARD: Was kommt danach?

Maier: In Österreich stehen auf Platz zwei Tropifrutti, danach Pfirsiche, Happy-Cola und Happy Cherries.

STANDARD: Essen Sie Fruchtgummi anderer Hersteller?

Maier: Produkte von der Konkurrenz koste ich nur aus beruflichen Gründen. Privat greife ich auch gerne mal zu Schokolade.

Exotische Spezialeditionen halten sich meist nicht lang – am beliebtesten sind und bleiben Goldbären.
Foto: Ina FASSBENDER / AFP

STANDARD: Ihr Geschmackssinn ist gewissermaßen Ihr Kapital. Kann man besser schmecken lernen?

Maier: Jeder hat bestimmte genetische Voraussetzungen, die sind trainierbar. Man kann aber nur schmecken, was man kennt. Aromen lassen sich in Einzelteile zerlegen, man kann versuchen, diese im Kopf abzuspeichern und später wiederzuerkennen. Beurteilungen zu neuen Produkten gibt ein Sensorikpanel ab. Um dabei mitzumachen, muss man einen Schwellenwerttest bestehen, dabei wird ein Aroma so lang verdünnt, bis man nichts mehr schmeckt. Nur wer gewisse Werte erreicht, ist geeignet. Zu dem Panel gehören 50 Leute – bunt gemischt aus allen Abteilungen der Firma.

STANDARD: Einmal angefangen, ist es schwer, Goldbären wieder wegzulegen. Liegt das an einem bestimmten Inhaltsstoff?

Maier: Es ist nichts drin, was das Verlangen verstärkt, aber das ganze Produkt ist schon gut durchdacht. Die Mischung aus Größe, elastischer Textur und fruchtigem Geschmack führt dazu, dass man nicht aufhören kann.

STANDARD: Gibt es einen Schlüssel, wie viele Goldbären welcher Farbe ins Sackerl kommen?

Maier: Nein. Auf die gesamte Produktionsmenge gesehen, bleibt das Verhältnis immer konstant, in der einzelnen Tüte ist die Zusammensetzung aber zufällig. (Andreas Danzer, 26.11.2022)