Als die ersten Ukraine-Vertriebenen nach Österreich kamen, hoffte die Wirtschaft auf viele neue Arbeitskräfte. Doch nur relativ wenige der Angekommenen haben inzwischen einen Job gefunden. Nun erwägt man ihren Transfer in die Sozialhilfe, um Hürden zum Arbeitsmarkt abzubauen.

Foto: Heribert Corn

Mit der Forderung, Ukraine-Vertriebenen in Österreich Sozialhilfe zu gewähren, hat Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) ein heißes Eisen aufgegriffen. Derzeit befinden sich nur rund 7200 der insgesamt etwa 90.000 dem russischen Angriffskrieg entkommenen Menschen in Beschäftigung, weitere 7800 sind beim AMS gemeldet – obwohl sie Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Ihr Abschied aus der einschränkenden Grundversorgung könnte Österreich tausende zusätzliche Arbeitskräfte bringen.

Frage: Warum haben neun Monate nach Beginn des Krieges und der Fluchtbewegung nur so wenige Ukraine-Vertriebene einen Job?

Antwort: Das liegt vor allem an den Regeln der Grundversorgung, die bedürftigen Ukraine-Flüchtlingen offensteht. Die Grundversorgung wurde ursprünglich für Asylwerbende geschaffen und erschwert eine Jobannahme. Wer mehr als 110 Euro monatlich verdient, verliert den Anspruch auf sie. Er oder sie hat dann weder Unterkunft noch Geld. Fachleute kritisieren zudem, dass Geflüchtete, die Grundversorgung beziehen, keinen zwingenden Kontakt zum AMS haben – also zu Jobvermittlung und Beratung. Diese Erschwernisse sind wohl mit ein Grund, dass viele Ukraine-Vertriebene, statt sich in Österreich um einen Job zu bemühen, lieber mit der baldigen Rückkehr spekulieren.

Frage: Was würde der Zugang zur Sozialhilfe für die Ukraine-Vertriebenen ändern?

Antwort: Es würde ihre Jobsuche sehr erleichtern – wäre aber gleichzeitig mit neuen Auflagen für sie verbunden. Wer Sozialhilfe erhält, ist automatisch beim AMS gemeldet. Er oder sie bekommt Jobangebote und ist zu einer Arbeitsaufnahme verpflichtet. Sozialhilfe ist höher als Grundversorgung. In Wien beträgt die Sozialhilfe, hier bedarfsorientierte Mindestsicherung genannt, für eine Einzelperson derzeit 978 Euro monatlich, hinzu kann Wohngeld kommen. Grundversorgte Einzelpersonen, die nicht in organisierten Quartieren, sondern privat wohnen, erhalten in Wien pro Monat knapp mehr als 400 Euro.

Frage: Wo arbeiten jene Ukrainerinnen und Ukrainer, die schon untergekommen sind?

Antwort: Von den aktuell 10.380 aufrechten Beschäftigungsbewilligungen für Ukrainerinnen und Ukrainer gingen die meisten an Gastronomieunternehmen, die Köchinnen und Küchengehilfen suchten. Dahinter kommen landwirtschaftliche Betriebe und Gebäudereiniger. Mit über 3400 Bewilligungen erfolgte der größte Teil in Wien.

Frage: Wie groß ist das ukrainische Arbeitskräftepotenzial?

Antwort: Beim AMS schätzt man, dass zusätzlich noch rund 25.000 Menschen aus der Ukraine vermittelbar wären. Unter den 90.000 Geflüchteten ist das rund jede dritte Person. Kinder, Mütter mit jungen Kindern und ältere Personen stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Arbeitskräftebedarf ist in Österreich auf alle Fälle vorhanden. Derzeit sind 122.000 Jobs als unbesetzt beim AMS gemeldet, ein Rekordwert. 68 Jobs stehen auf der bundesweiten Mangelberufsliste. Gesucht werden Beschäftigte in der Gastronomie ebenso wie am Bau und in der Industrie.

Frage: Wie kommt es, dass Ukraine-Flüchtlinge Zugang zum Arbeitsmarkt haben – während die Regelungen für Asylwerbende hier höchst einschränkend sind?

Antwort: Das hängt damit zusammen, dass Ukraine-Flüchtlinge nicht den internationalen und staatlichen Asylgesetzen und EU-Richtlinien unterliegen – sondern der EU Massenzustromrichtlinie. Diese zielt darauf ab, dass sie zwar erstversorgt werden sollen, aber auch so rasch wie möglich integriert. Während Asylsuchende ein Asylverfahren durchlaufen müssen, um erst nach positivem Ausgang vollen Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen, haben Ukrainerinnen und Ukrainer diese Rechte automatisch. Wie in Friedenszeiten können sie sich dabei das EU-Land ihrer Wahl und eine Arbeit zu suchen.

Frage: War das für Ukrainer und Ukrainerinnen auch schon vor dem Krieg so?

Antwort: Schon damals war die Ukraine ein Drittland, aus dem die Menschen visafrei einreisen, drei Monate bleiben, sich im EU-Raum zwischen den Staaten frei bewegen und sich legal einen Job suchen konnten. Und sie taten das auch in großer Zahl: Zeitweise reisten alljährlich an die 600.000 ukrainische Bürgerinnen und Bürger zum Arbeiten oder Studieren in der EU ein. (Irene Brickner, Thomas Mayer, András Szigetvari, 25.11.2022)