Milch und Honig – zwei österreichische Produkte, die nicht immer so nachhaltig erzeugt werden, wie sie uns glauben lassen.
Foto: Reinhard Hunger

Sagen wir so: Das Leben ist kompliziert genug, da muss man sich jetzt wirklich nicht über Dinge den Kopf zerbrechen, über die man sich nicht den Kopf zerbrechen muss. Weil: In Österreich gibt es ja jede Menge Berge und gesunde Almen, auf denen stehen diese Kühe, die geben die gesunde Milch, die von jungen Frauen im Dirndl in Kannen zur Molkerei gebracht wird, wo sie ernsthafte Männer in weißen Mänteln entgegennehmen, kontrollieren und unter hygienischen Bedingungen abfüllen. Fertig. Weiß ein jeder, haben wir schon hunderte Male gesehen. Okay, ja, im Werbefernsehen, aber trotzdem.

Für ein Land, in dem jährlich knapp vier Millionen Tonnen Milch produziert, 70 Kilo pro Kopf konsumiert und Milch im Wert von 300 Millionen Euro exportiert wird, weiß man definitiv erstaunlich wenig über den weißen Saft.

Das ging uns drei in Wirklichkeit auch nicht anders, weshalb der Themenbereich für unsere in diesem Jahr gedrehte Fernsehserie Milch und Honig, bei der es um Kulinarik und Bewusstmachung und dilettantisches Selbstmachen gehen sollte, eigentlich recht bald klar war: Milch. Und Honig auch gleich dazu, erstens wegen des guten Titels und zweitens, weil wir drei – außer Nowak – so wie alle anderen auch von Honig noch weniger Ahnung hatten als von Milch. Und weil diesmal zur Abwechslung einmal kein Tier umgebracht werden sollte, dachten wir uns zumindest. Der nächste Irrtum, aber dazu später.

Vermeintliches Wissen um Milch und Honig und reale Tatsachen in Milchwirtschaft und Imkerei klaffen aber so weit auseinander, dass eine detaillierte Aufarbeitung den Rahmen dieser Ausgabe sprengen würde. Weshalb wir uns den Spaß erlauben, einige der gängigsten Gewissheiten zum Thema Milch und Honig ein wenig zu relativieren.

Kühe geben Milch

Kann man jetzt so nicht sagen, zumindest nicht freiwillig. Kühe sind keine Hühner, die ihre Eier einfach so legen. Denn damit eine Kuh Milch gibt, muss sie erst einmal geschwängert werden und ein Kalb zur Welt bringen, das passiert in der Regel einmal pro Jahr pro Milchkuh. Das Kalb nehmen wir ihr aber gleich wieder weg, melken die Kuh und halten damit die Milchproduktion aufrecht. Die sogenannte Laktationsperiode, also die Dauer der Milchproduktion im Euter der Kuh, dauert etwa 300 Tage (und lässt mit der Zeit nach), weshalb die Kuh rechtzeitig wieder besamt wird. Übrigens per Sonde vom Tierarzt, nicht vom Stier. Klingt das fair?

Kühe fressen Gras

Idealerweise schon. Der Anteil der sogenannten Heumilch, also Milch, die aus den Eutern von Kühen stammt, die nachweislich nur frisches Gras auf der Wiese, gemähtes Gras im Stall oder getrocknetes Gras im Winter fressen, liegt in Österreich allerdings nur bei rund 15 Prozent. Was fressen die restlichen Kühe? Die fressen Silofutter. Silage ist jetzt nicht unbedingt schlecht, sie ist haltbar und damit praktisch, durch Fermentationsprozesse fallweise sogar leichter verdaulich als Grünfutter. Aber halt etwas ganz anderes als das, was Kühe natürlicherweise fressen. Und es ist wegen der potenziellen Beherbergung von erhöhten Keimzahlen (Clostridien, Listerien) für die Herstellung einiger Käse ungeeignet.

Das Autorenteam auf einem Oldtimer-Traktor.
Foto: Ingo Pertramer

Milch ist ein Naturprodukt

Rohmilch – also Milch, die nicht erhitzt oder in ihren Bestandteilen verändert wurde – kann als solches durchaus bezeichnet werden. Blöd, dass Rohmilch am Markt aber quasi nicht existiert.

Warum? Weil seit Jahrzehnten eine regelrechte Rohmilchparanoia herrscht, Rohmilch nur drei Tage lang und nur mit der Kennzeichnung "Vor dem Verzehr abkochen" verkauft werden darf. Und damit wir uns sicher fühlen, wird Milch also pasteurisiert, außerdem wird sie homogenisiert – unter Hochdruck (bis zu 300 bar) werden die Fettbestandteile der Milch zertrümmert, sodass die Milch nicht mehr "aufrahmen" kann, es setzt sich also kein Rahm mehr ab – und dann praktischerweise noch ultrahocherhitzt. Dann ist sie ESL, nein, nicht vom Esel, sondern hat "extended shelf life", ist also eigentlich Haltbarmilch.

Es wäre natürlich frivol zu behaupten, die milchverarbeitende Industrie hätte ein Interesse, die Gefahr von Rohmilch ein bisschen drastischer darzustellen, als sie wirklich ist. Und an den Geschmack der haltbaren milchähnlichen Getränke aus den Tetrapaks haben wir uns ja auch schon gewöhnt, klappt ja.

Schmeckt ESL-Milch wie Rohmilch?

Nein.

Die Kälber werden zu Kühen

Nur die wenigsten. Kälber sind das Abfallprodukt der Milchindustrie. Jede der etwa 530.000 österreichischen Kühe bringt jährlich ein Kalb zur Welt. Am Hof bleiben zur Aufzucht und Verjüngung oder Vergrößerung der Herde nur die wenigsten, Stierkälber sowieso nicht. Kälber werden etwa 22 Wochen lang gemästet, und da vor allem mit Milchaustauscher, einem künstlich hergestellten Muttermilchersatz, und natürlich Futter mit möglichst geringem Eisenanteil. Denn der Markt will helles Kalbfleisch.

Na gut, dann halt keine Milch mehr

Ist leider auch keine Lösung. Denn abgesehen davon, dass Milch ein extrem wertvolles (vor allem in seiner besten Ausformung, also frischer/roher Bioheumilch von Höfen, bei denen Tierwohl und Fairness eine große Rolle spielen) und unpackbar vielseitiges Lebensmittel ist und wirtschaftlich nicht gerade vernachlässigt werden kann, spielt sie auch ökologisch eine ziemlich wichtige Rolle.

Warum das? Weil sich große Teile der landwirtschaftlichen Nutzfläche Österreichs im alpinen Gebiet befinden, also entweder hoch oben oder mit ziemlicher Hanglage oder beides gleichzeitig. Das heißt: Dort wächst halt nur Gras. Wir können Gras aber nicht essen. Kühe schon, und sie "veredeln" Gras zu Milch – und Fleisch.

Und wenn wir die Almen einfach nicht mehr bewirtschaften? Dann verwalden sie, die Biodiversität geht zurück, die Gefahr von Bodenerosion nimmt zu.

Gerhard Wagner ist Milchbauer und Geschäftsführer einer kleinen Molkerei: Die Waldviertler Bauernmilch. Um nicht vom Milchpreis und den Produktionsanforderungen der großen Molkereien abhängig zu sein, hat er sich vor 25 Jahren mit anderen Bauernfamilien zusammengeschlossen und eine Molkerei gegründet.
DER STANDARD

Butter ist easy: Einfach Schlagobers schütteln

Eh, ist vielen von uns schon einmal passiert: Schlagobers einmal ein bisschen zu lang geschlagen, schon klebt die Butter am Mixer. Weshalb auch handliche, kleine Kurbelgeräte angeboten werden, mit denen man aus Schlagobers zu Hause die eigene Butter herstellen kann, ganz einfach, ganz natürlich.

Mitnichten natürlich. Denn das, was sich bei der Milch natürlich absetzt, der Rahm, hat einen Fettgehalt von etwa 15 Prozent. Eh viel, nur liegen wir bei Schlagobers halt bei einem Gehalt von 36 Prozent, den man erhält, indem Milch zuerst völlig entfettet und dann auf den gewünschten Fettgehalt "einstellt". Schlagobers ist somit ein Molkereiindustrielles Designerprodukt – das sich allerdings prachtvoll in kleinen Haushaltsgeräten mit Kurbel zu Schlagobersbutter verarbeiten lässt.

Kleiner Hinweis: Nach etwa einer Stunde Kurbeln und Mixen wird auch aus natürlichem Rahm irgendwann einmal Butter, wenn man alles richtig macht …

Ein journalistischer Selbstversuch, um die österreichische Lebensmittelbranche besser zu verstehen.
Foto: Ingo Pertramer

Bienen machen Honig aus Blütennektar

Sehr frustrierend, das alles. Aber das stimmt doch zumindest, oder? Bienen sammeln den Nektar der bunten Blumen und Blüten, den sie dann mit ein bisschen Insektenspucke voller Enzyme in ihrem Magen zu einer Honigvorstufe machen, an andere Bienen "abgeben", die noch noch einmal verdauen, bis das Zeug also endlich süßer und wahnsinnig gesunder Honig ist.

Beim meisten Honig geht dieser eh schon ein bisserl grausliche Vorgang definitiv so vonstatten. Nicht aber bei "Waldhonig". Weil für den sammeln die Bienen keinen unschuldigen Nektar, sondern "Honigtau". Und das wiederum sind zuckersüße Tröpfchen, die Schild- oder Rindenläuse nach hintenraus absondern.

Honig ist die Nahrung der Bienen

Oida! Können wir uns wenigstens darauf einigen?

Im Prinzip ja. Honig wird von den Bienen in ihren Waben eingelagert, damit sie über den Winter genügend Reserven haben, um den Stock auf Temperatur halten und somit überleben zu können. Nur sind moderne Honigbienen halt auch schon auf Massenertrag gezüchtete Nutztiere, mit dem Effekt, dass sie ihren eigenen Honig nicht mehr vertragen, also den Stock vollkacken und damit verunreinigen oder verhungern.

Das Land aus Milch und Honig, in Wirklichkeit also ein Orkus aus Tierqual, Geschäftemacherei, industrieller Hochverarbeitung und Marketinglügen?

Für Kunden, die das mit sich machen lassen, leider ja. Wenn man sich aber ein bisschen mit dem beschäftigt, was man da oben in sich hineinfüllt und das zwangsläufig zum Teil von einem wird, lässt sich da schon eine ganze Menge verbessern.

Indem man etwa Bioheumilch kauft, nach Rohmilch verlangt, sich Kuhställe anschaut, ein Bewusstsein entwickelt. Österreich produziert 177 Prozent seines Milchbedarfs, ein enormer Anteil davon wird unter Aufwand von Subventionen exportiert, womit neben dem natürlichen Methanausstoß rülpsender Kühe auch noch energieintensive Kühlung, Verarbeitung und der Transport dazukommen.

Reichen nicht 100 Prozent Eigenversorgung, da dann aber unter besten Voraussetzungen? Nur so eine Idee …

(Florian Holzer, Ingo Pertramer, Thomas Nowak, 26.11.2022)