Die jüngsten Erfolge der ukrainischen Armee haben für die Zivilbevölkerung entsetzliche Folgen: Durch die systematische Zerstörung der Energieversorgung des Landes durch russische Raketen und Drohnen droht Millionen von Menschen ein lebensgefährlich kalter Winter ohne Heizung und Strom. Wladimir Putins Terrorkampagne – und anders lässt sich diese Taktik nicht beschreiben – ist ein Zeichen der Schwäche: Weil seine Truppen auf dem Schlachtfeld den Krieg nicht gewinnen können, versucht er, den Widerstandswillen der Ukrainerinnen und Ukrainer auf diese Weise zu brechen.

Seit Wochen bombardieren die russischen Streitkräfte gezielt ukrainische Infrastruktur und zerstören die Wasser- und Energieversorgung.
Foto: EPA/ROMAN PILIPEY

Bombenterror hat schon im Zweiten Weltkrieg keinen militärischen Nutzen gezeigt – weder für das NS-Regime noch für die Alliierten. Auch diesmal nicht: Bisher konnten die ukrainischen Behörden die Versorgung nach den Bombardements immer wieder herstellen. Sie erhalten viel technische Hilfe von Europa, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der Kampfgeist der Bevölkerung nachlässt.

Auch die Ukraine ist zu einer psychologischen Kriegsführung gezwungen. Die russische Armee hat sich an den neuen Frontlinien eingegraben und kann mit konventionellen Methoden nur schwer aus den immer noch besetzten Gebieten vertrieben werden. Aber die Moral ihrer miserabel ausgerüsteten Soldaten ist am Boden, und im eigenen Land wird die Unterstützung für Putins Krieg zunehmend brüchig. Es sind deshalb Rückschläge mit großer Symbolkraft wie die Explosion auf der Krim-Brücke oder der erzwungene Abzug aus der Provinzhauptstadt Cherson, die den Kreml am meisten schmerzen – wie der Bombenterror zeigt.

Gerade die USA haben – von Vietnam bis Afghanistan – gelernt, dass selbst das mächtigste Militär der Welt einem Volk mit Kampfgeist unterlegen ist. Und Russlands Armee ist im Vergleich marod, womöglich gehen ihr bald die Raketen und selbst die Drohnen aus. Schafft es die Ukraine durch den kommenden Winter, dann geht sie politisch gestärkt ins Frühjahr.

Aber auch Diktaturen haben ein Durchhaltevermögen, das man nicht unterschätzen darf; das zeigt sich derzeit etwa im Iran. Es würde dramatische Entwicklungen verlangen, um Putin von seinem Kriegskurs abzubringen oder gar zu stürzen. Diesem Härtewinter könnte in der Ukraine daher ein weiterer folgen. Und während die Menschen dort ihr Leid stoisch erdulden, hat es in Europa schon politische Sprengkraft, wenn die Heizungen um ein oder zwei Grad gedrosselt werden müssen. (Eric Frey, 26.11.2022)