Sechs Wissenschafterinnen und Wissenschafter schreiben in ihrem Gastkommentar über ihren Arbeitsalltag und was in diesem Bereich geändert gehört.

Illustration: Fatih Aydogdu

Die Teuerungs- und Energiekrise der letzten Monate und die zögerlichen und bei weitem unzureichenden finanziellen Unterstützungszusagen der Bundesregierung haben wieder einmal eines drastisch vor Augen geführt: Österreichs Universitäten sind chronisch unterfinanziert! So wird zwar in politischen Sonntagsreden, wie zuletzt im Zuge der Zuerkennung des Nobelpreises an Anton Zeilinger oder auch angesichts einer jüngst publizierten Wifo-Studie, die eine überproportionale Wertschöpfung österreichischer Universitäten nachgewiesen hat, die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung der Wissenschaft betont. Der Arbeits- und Lebensalltag vieler österreichischer Wissenschafterinnen und Wissenschafter zeigt aber ein gänzlich anderes Bild.

Serie: Österreich braucht dringend eine Kurskorrektur. Korruption sowie Freunderl- und Parteienwirtschaft widern die Menschen zunehmend an. Was müsste geschehen, wer muss aktiv werden und wie? In einer Serie widmet sich DER STANDARD drängenden Fragen zur Zukunft unseres Landes.
Fo: Der Standard

Die ersten Ankündigungen von Universitäten als Reaktion auf die Finanzierungskrise reichen von einem Nachbesetzungs- und Aufnahmestopp über temporäre Universitätsschließungen bis zu Kündigungen und treffen damit vor allem die Gruppe der Mitarbeitenden mit prekären Dienstverhältnissen. Seit Inkrafttreten des Universitätsgesetzes (UG) 2002 ist der Anteil befristet beschäftigter Wissenschafterinnen und Wissenschafter immer weiter gestiegen und beträgt aktuell etwa 80 Prozent! Im Umkehrschluss ist also nur etwa jede fünfte Forscherin und jeder fünfte Forscher an österreichischen Universitäten dauerhaft beschäftigt, davon etwa die Hälfte als Professorin und Professor – ein trauriger Spitzenplatz im internationalen Vergleich.

Die aktuell gängige Praxis an vielen Universitäten, Vollzeitleistung zu fordern, aber nur Teilzeit anzustellen, hat viele in prekäre Lebenssituationen gebracht. Forschende und Lehrende mit Betreuungspflichten sowie im Wissenschaftsbetrieb unterrepräsentierte und strukturell diskriminierte Gruppen (etwa aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Migrationserfahrung oder sozioökonomischem Status) werden dadurch besonders stark benachteiligt und in vielen Fällen zum Ausstieg aus dem Wissenschaftssystem gedrängt.

Sozialer Filter

Die Prekarisierung wirkt als gläserne Decke und sozialer Filter für wissenschaftliche Karrieren an österreichischen Universitäten. Der enorme und innovationshemmende individuelle Konkurrenzdruck führt zu einer im Vergleich zu anderen Berufsgruppen überproportional hohen psychischen und physischen Belastung der Betroffenen. Zudem wird dadurch letztlich auch der österreichische Wissenschaftsstandort gefährdet, wie kürzlich in einer Wifo-Studie gezeigt wurde.

Dass Forschung und Lehre in Österreich trotzdem noch hohe Qualität aufweisen, ist nur durch den persönlichen Einsatz, die Begeisterung und die Selbstausbeutung vieler erklärbar. Auf solchen Zuständen lässt sich kein gutes Hochschulsystem bauen. Angesichts sich überlagernder ökologischer, sozialer und ökonomischer Problemlagen ist die Frage, wie wir unsere Gesellschaft und Wirtschaft neu denken und gestalten wollen, wichtiger denn je!

Dazu braucht es allerdings Rahmenbedingungen, in denen kritische Perspektiven und zukunftsgerichtete, kreative Herangehensweisen entwickelt werden können. Das beinhaltet zum einen demokratische Strukturen und Gestaltungsmöglichkeiten für alle an Universitäten tätige Personen und zum anderen die Entprekarisierung von Arbeitsverhältnissen des wissenschaftlichen Personals. Die Protestkundgebungen und Protestaktionen der letzten Tage und Wochen an vielen österreichischen Universitäten haben gezeigt, dass das wissenschaftliche Personal höchst unzufrieden mit den vorherrschenden Arbeitsbedingungen ist. Die letzte UG-Novelle im Oktober 2021 hat das Problem nochmals verschärft, da nach maximal acht Jahren eine befristete Wiederanstellung gänzlich verboten wird. Dies hat zur Folge, dass regelmäßig 80 Prozent des Personals ausgetauscht und somit kostengünstig verjüngt werden.

Wichtiges Signal

Die Forderungen nach angemessenen Gehaltsabschlüssen im Rahmen der laufenden Kollektivvertragsverhandlungen sind gerade in der momentanen Situation ein wichtiges Signal, um zu verhindern, dass die Kosten der Teuerungs- und Energiekrise auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgewälzt werden. Gleichzeitig darf das Thema Gehaltserhöhungen keinesfalls das noch viel dringlichere und schwerwiegendere Problem der prekären und perspektivlosen Anstellungsverhältnisse überlagern. Kurzfristige Arbeitsverhältnisse dürfen – wie auch im allgemeinen österreichischen Arbeitsrecht festgelegt – auch an Universitäten nur mehr die Ausnahme und nicht länger der Normalfall sein! Die "Kettenvertragsregel" im UG gehört gestrichen und eine Beschäftigungskultur mit unbefristeten Verträgen etabliert. (Leoni Breth, Florian Part, Stephan Pühringer, Nicolas Schlitz, Philipp Sperner, Yvonne Völkl, 27.11.2022)