Der griechische Journalist Thanasis Koukakis wurde vom Geheimdienst und mit der Spionagesoftware Predator abgehört.

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Sein Handy wurde immer heißer, der Akku war immer gleich leer. Es rauschte und knackste, wenn er einen Anruf tätigte. Der griechische Journalist Thanasis Koukakis, ein Mann mit elegantem Anzug und randlosen Brillen, der griechische Finanzpolitik für Medien wie die "Financial Times" oder CNBC analysiert, fragte einen Abhörexperten, und dieser holte Erkundigungen ein. Schließlich bekam Koukakis von dem Bekannten ein Transkript eines seiner Telefongespräche. Koukakis sagt heute, er sei von 1. Juni bis 12. August 2020 auf Geheiß des Inlandsgeheimdiensts EYP und auf Anordnung der Staatsanwaltschaft abgehört worden.

Er reichte eine Beschwerde bei der zuständigen Behörde für Kommunikationssicherheit (ADAE) ein. Das Abhören wurde sofort beendet. Aber dann geschah etwas Seltsames: Obwohl er laut Gesetz ein Anrecht auf Auskunft hatte, wurde ihm diese nicht zuteil. "Stattdessen haben sie so schnell wie möglich das Gesetz geändert, und so wurde mir bis heute keine Auskunft gegeben, weshalb ich abgehört wurde", erzählt Koukakis dem STANDARD.

Spionagesoftware

Zudem blieb es nicht bei einem Observationsangriff. Im März 2021 bekam Koukakis auf sein Handy einen Link geschickt. Er klickte darauf, weil es um Finanzthemen ging. Erst ein paar Monate später, als er einen Artikel des Citizen Lab las, eines Labors der Universität von Toronto in Kanada, das sich auf Methoden, die die Sicherheit von Onlinekommunikation beeinträchtigen und die Menschenrechte gefährden, spezialisiert hat, wurde ihm klar, dass er durch das Anklicken des Links die Spionagesoftware Predator auf sein Handy geladen hatte und monatelang abgehört worden war.

Fachleute von Citizen Lab untersuchten seine Handykommunikation und bestätigten dies. Im Gegensatz zu der Telefonbeschattung durch die griechischen Behörden ist die Verwendung von Spionagesoftwares wie Predator in Griechenland illegal. Doch auch die Observation von Telefonen durch den Geheimdienst EYP ist nur dann rechtmäßig, wenn es einen sicherheitsrelevanten Grund dafür gibt. Koukakis hat ein Verfahren angestrengt. Doch der Journalist ist nicht der Einzige, der gehackt wurde.

Vergangenen Juli wurde publik, dass auch der Chef der drittgrößten Parlamentspartei Pasok-Kinal, Nikos Androulakis ausgespäht wurde, auch bei ihm wurde die Handyobservation vom Staatsanwalt genehmigt. Aber auch bei seinem Handy wurde – so wie bei Koukakis – der Versuch unternommen, es mit der Spionagesoftware Predator zu verwanzen.

Ziel eines Abhörversuchs

Die staatsanwaltlich angeordnete Abhörung des Oppositionellen begann im September 2021, just zu dem Zeitpunkt als dieser zum aussichtsreichen Kandidaten für Pasok-Kinal wurde, und dauerte bis Dezember 2021, als er schließlich zum Parteichef gewählt wurde. Die Sache wurde aber erst publik, als der Cybersicherheitsdienst des Europäischen Parlaments ihn im Juni dieses Jahres darüber informierte, dass er das Ziel eines Abhörversuchs durch Predator-Spyware gewesen sei. Androulakis legte eine Beschwerde ein.

Der Skandal hatte Folgen. Geheimdienstchef Panagiotis Kontoleon wurde gefeuert. Und Premierminister Kyriakos Mitsotakis sprach von "irrtümlichen Handlungen". Der Oppositionspolitiker Androulakis sei zwar "legal" abgehört worden, aber er selbst habe davon nichts gewusst, und die Aktion sei auch falsch gewesen.

Das politisch Heikle daran ist, dass der konservative Mitsotakis von der Partei Nea Dimokratia, als er 2019 sein Amt antrat, den Geheimdienst EYP zur Chefsache erklärte. Mitsotakis ist also direkt politisch verantwortlich für die Vorgänge in der Organisation. Interessant ist auch, dass sein Neffe Grigoris Dimitriadis – er war Generalsekretär des Büros des Premierministers – im Sommer das Feld räumen musste.

Zusammenhang nicht bestätigt

Unklar ist, ob die Abhöraktionen durch den Geheimdienst und jene durch Predator zusammenhängen. Pasok-Sprecher Dimitris Mantzos spricht von zwei "Beinen" eines Körpers. Einerseits habe man über die Handyprovider die Leute angezapft, andererseits aber über die illegale Software. "Die Frage ist grundsätzlich: Wer hat den Auftrag gegeben, Androulakis abzuhören?", sagt Mantzos zum STANDARD.

Seine Partei habe alle institutionellen Wege begangen, um dies herauszufinden, allerdings sei man wegen Geheimhaltungsverordnungen bisher nicht sehr weit gekommen. Denn auch der griechische parlamentarische Untersuchungsausschuss zu dem Thema durfte aus "Sicherheitsgründen" den Medien keinen Zugang geben. Mantzos verweist darauf, dass wichtige Zeugen wie Mitsotakis' Neffe Dimitriadis oder jener Beamte, der den Auftrag gab, den Parlamentarier zu überwachen, nicht geladen wurden.

"Das Parlament hat auch nicht herausgefunden, wer die Software Predator eigentlich gekauft hat und vor allem wozu", kritisiert Mantzos. "Die Zeugen haben nur beteuert, alles sei streng geheim, und sie könnten dies dem Parlament nicht erklären. Aber das ist gegen unsere Verfassung." Androulakis will nun auch eine Klage gegen den griechischen Staat einreichen.

Leaks

Aus dem Abhörskandal ist mittlerweile ohnehin ein Thriller geworden. Denn je weniger von den Behörden und von der Regierung transparent gemacht wird, desto dubioser erscheint das Vorgehen, und desto mehr wird geleakt.

Das linke Magazin "Documento" hat kürzlich die Namen von 33 Personen veröffentlicht, die mittels Predator abgehört worden sein sollen. Es handelt sich um Journalisten, Diplomaten, Militärs, Unternehmer, aber auch Politiker, vor allem aus der Regierung selbst, darunter sogar Minister. Es ging offenbar um die Abklärung von Loyalitäten zur Regierungsspitze, aber auch öffentliche Auftragsvergabe und Sicherheit. Geheimdienstleute hätten eine Art Parallelsystem errichtet, das für die Predator-Angriffe zuständig gewesen sei, so "Documento".

Mitsotakis spricht angesichts des Berichts von einer Lüge: "Es ist beschämend und widerlich, wenn jemand andeutet, dass der Premierminister seinen Außenminister überwacht. Und äußerst gefährlich." Die Regierung weist auch strikt zurück, dass Predator vom Geheimdienst oder irgendeiner staatlichen Stelle verwendet worden sei. Dass Koukakis und Androulakis gleichzeitig vom Geheimdienst und von Predator belangt worden seien, sei ein Zufall. Auch der Hersteller von Predator, das Unternehmen Intellexa, das seinen Hauptsitz 2021 von Zypern nach Griechenland verlegte, wurde bisher nicht zur Verantwortung gezogen.

Flucht nach vorn

Das Europäische Parlament schickte eine Delegation nach Athen, denn das Abhören eines EU-Parlamentariers ist auch ein Vergehen gegen seine Immunität. Doch die Aufklärung ist schwierig. Die niederländische Europaabgeordnete Sophie Helena in 't Veld, die Teil des Pega-Komitees zur Aufklärung von Abhöraffären ist, sagte nach ihrer Reise nach Athen, dass man nun mehr Fragen habe als bei der Ankunft. Alles deute darauf hin, dass Leute aus Regierungskreisen beteiligt gewesen seien.

Die Regierung Mitsotakis ist die Flucht nach vorn angetreten. Kürzlich wurde ein Gesetzesentwurf veröffentlicht, wonach auch die Verwendung von Spionagesoftware verboten werden soll. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass Leute, die aus "Sicherheitsgründen" vom staatlichen Geheimdienst abgehört wurden, erst drei Jahre danach davon erfahren dürfen. Personen, die in der Vergangenheit abgehört wurden, werden gar nicht erwähnt, und die Definition, welche "Sicherheitsgründe" für eine Abhörung rechtmäßig erscheinen, ist manchen zu unklar.

Mitsotakis versucht indes, das Gesetz als fortschrittlich zu verkaufen: "Wir werden das erste Land sein, das dieses Problem angeht und Gesetze erlässt, die den Verkauf solcher Software in unserem Land ausdrücklich verbieten. Kein anderes Land hat das geschafft." Kommendes Jahr im Sommer tritt er zur Wiederwahl an. Doch der Wahlkampf der Opposition hat mit dem Abhörskandal bereits jetzt begonnen. (Adelheid Wölfl, 28.11.2022)