Am Freitag traf Wladimir Putin nahe Moskau Soldatenmütter, fotografiert von der russischen Staatspresse. Jene mit kritischen Fragen an den Kreml-Chef waren nicht eingeladen.

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Der Muttertag am Sonntag in Russland war in diesem Jahr ein ganz besonderer. Mütter in vielen Städten des Landes fordern Aufklärung über das Schicksal ihrer Söhne, die in der Ukraine kämpfen. Olga Tsukanowa zum Beispiel. Ihr 20-jähriger Sohn aus Samara wurde im Juni zum Militärdienst einberufen, so erzählt sie es online. Am 31. Juli legte er seinen Eid ab, den Eltern sei versichert worden, ihre Söhne würden nicht in die Ukraine geschickt. Doch kurze Zeit später sei ihr Sohn überredet worden, "freiwillig" einen Vertrag zu unterschreiben für die "Spezialoperation". Seitdem habe sie keinen Kontakt mehr zu ihm, sagt sie.

Geschichten wie diese gibt es viele. Wohl auch deshalb empfing Russlands Präsident Wladimir Putin bereits am Freitag einen sorgsam ausgewählten Kreis von Soldatenmüttern aus verschiedenen Regionen in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo bei Moskau. "Wichtig ist, dass wir alle sterblich sind, dass wir in Gottes Hand sind und irgendwann aus dieser Welt scheiden. Die Frage ist, wie wir gelebt haben", sagte Präsident Putin zu einer Mutter, deren Sohn bereits 2019 in der Ostukraine gefallen war. "Und ihr Sohn hat gelebt. Er hat sein Ziel erreicht." Russische Staatsmedien veröffentlichten ein kurzes Video seiner Ansprache. "Ich möchte, dass Sie wissen, dass wir diesen Schmerz mit Ihnen teilen und dass wir natürlich alles dafür tun werden, damit Sie sich nicht vergessen fühlen."

Echter Dialog gefordert

Auch Olga Tsukanowa veröffentlichte im Internet ein Video. Es ist ein flammender Appell an den russischen Präsidenten. Tsukanowa ist Vorsitzende des Rats der Mütter und Ehefrauen, einer sozialen Bewegung von Angehörigen mobilisierter Reservisten, die die Rückkehr ihrer Söhne und Männer von der Front fordern. Olga Tsukanowa und ihre Mitstreiterinnen waren nicht erwünscht beim Treffen mit dem Präsidenten. In ihrem Video fordert Olga Tsukanowa eine echte Begegnung, eingeladen gewesen seien doch nur Mütter, die dem Staat nahestehen. "Wir sind hier in Moskau und bereit, uns mit Ihnen zu treffen. Wir warten auf Ihre Antwort! Nun, Leute, werdet ihr einen Dialog beginnen, oder werdet ihr euch verstecken?"

Gemeinsam mit anderen gründete Olga Tsukanowa den Rat der Mütter und Ehefrauen, Frauen aus fast 90 russischen Städten gehören ihm inzwischen an. Sie kritisieren Verstöße des Militärs bei der Mobilisierung und fordern die Einrichtung von "Mütterräten" in jeder russischen Stadt. Diese Räte sollten prüfen, wie die mobilisierten Reservisten ausgebildet und versorgt werden.

Olga Tsukanowa bewegen Geschichten, wie sie Sinaida Kurbatowa erzählt, die sich dem Rat der Mütter und Ehefrauen inzwischen angeschlossen hat. Deren Sohn Alexej leistete 2011 seinen Wehrdienst als Fahrer ab. Kampferfahrung hätte er keine gehabt, so seine Mutter. Trotzdem hätte man ihn, ein Jahrzehnt später, am 21. September einberufen.

An die Front

Eine medizinische Untersuchung oder eine Ausbildung hätte es nicht gegeben, sagt Sinaida Kurbatowa. Nach zwei Tagen in einer Einheit in der Region Woronesch sei er in die Region Belgorod verlegt und dann an die Front geschickt worden. Die Familie erstattete Anzeige bei der Militärstaatsanwaltschaft, wurde aufgefordert, auf eine Prüfung zu warten. Doch bereits acht Tage nach der Mobilisierung starb der 31-jährige Alexej.

Nachprüfen kann man Geschichten wie diese, vielfach veröffentlicht im Netz, nicht. Doch der Rat der Mütter und Ehefrauen fordert Aufklärung. Wie viele der russischen Mobilisierten bereits an der Front gestorben sind, darüber gibt es keine offiziellen Zahlen.

Der Rat der Mütter und Ehefrauen ist nur Teil einer Protestbewegung in Russland, die größer und größer wird. Zumal Kritikerinnen und Kritiker vermuten, dass das Ende der Teilmobilisierung russischer Reservisten nur vorläufig ist.

Es sind Frauen, die sich nicht mit dem zufriedengeben, was Präsident Putin den Soldatenmüttern beim offiziellen Treffen am Freitag mitgab: "Es ist klar, dass das Leben schwieriger und vielfältiger ist als das, was auf Fernsehbildschirmen oder sogar im Internet gezeigt wird, da kann man auf überhaupt nichts vertrauen, es gibt viele Fakes, Täuschungen, Lügen." (Jo Angerer aus Moskau, 27.11.2022)