Am Sitz der ÖBB-Infrastruktur am Wiener Praterstern wurden vier Verhandlungsrunden gedreht. Auf eine Lohnerhöhung einigte man sich nicht. Ab Sonntagmitternacht stehen die Räder still.

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Wien – Ab Dienstag sind die Sozialpartnerspitzen am Zug. Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer und ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian werden den Karren vom Abstellgleis holen müssen, denn bei den Verhandlern des Eisenbahner-Kollektivvertrags geht nichts mehr.

Sie haben fast bis ins Morgengrauen des ersten Adventsonntags um einen Abschluss gerungen – ohne Erfolg, wie Bahnpendlerinnen und Bahnpendler nun leidvoll erfahren. Sie müssen Umwege und Kosten in Kauf nehmen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen oder von zu Hause aus arbeiten. Dies jedenfalls am Montag, wahrscheinlich aber auch am Dienstag. Denn bis sich Schnellbahn, Fern-, Nacht- und Güterzüge wieder im Taktfahrplan einfinden, werden Tage vergehen. Mit einzelnen Zugausfällen rechnen Bahnauskenner deshalb bis Donnerstag.

Ultimatum zum Debakel

Besiegelt war das Debakel, als Sonntagmittag eine Art Ultimatum der Arbeitgeber ablief. Da war ein in der Nacht von den im Fachverband Schienenbahnen versammelten Eisenbahnverkehrsunternehmen (ÖBB und Privatbahnen) marginal verbessertes Angebot verstrichen. Es sah eine durchschnittliche Erhöhung der Löhne und Gehälter um 8,0 Prozent vor, mindestens aber um 208 Euro statt zuletzt mindestens 200 Euro. Die Differenz von acht Euro wurde von den Arbeitnehmerverhandlern rund um den Vorsitzenden der Eisenbahn-Sektion in der Gewerkschaft Vida, Gerhard Tauchner, am späten Sonntagvormittag als ungenügend zurückgewiesen.

Die abgeschmetterte Erhöhung der Bezüge um mindestens 208 Euro (statt um 200 Euro) könnte tatsächlich als Provokation verstanden werden. Sie hat allerdings sachliche Gründe. Denn für Bahnbedienstete mit 40-Stunden-Woche sind die 208 Euro das Äquivalent der zuvor angebotenen 200 Euro für Eisenbahner mit 38,5 Wochenstunden. In der Sache gab es also keine echte Bewegung.

Zurückgeschraubt

Die Gewerkschaft gab sich generös, man habe die Forderung ohnehin bereits um zwanzig Prozent auf eine Mindesterhöhung um 400 Euro zurückgeschraubt. "Die Verantwortung für diesen Warnstreik, für die Auswirkungen auf Pendlerinnen und Pendler sowie für den wirtschaftlichen Schaden liegt damit ausschließlich bei der Wirtschaftskammer. Hätte sie sich in den letzten zwei Monaten bewegt und ernsthaft verhandelt, hätten wir schon lange einen Abschluss", tönte Tauchner via Austria Presse Agentur. Solang es bei der Eisenbahn noch 40-Stunden-Jobs mit Einstiegsgehältern von 1356 Euro gebe wie im Nachtzug, bestehe Aufholbedarf.

Diese Tür freilich war von ÖBB-Generaldirektor Andreas Matthä ein Stück weit geschlossen worden, in dem er am Montag die Anhebung der Bezüge für rund 400 verbliebene ÖBB-Mitarbeiter ankündigte, deren Mindestlohn noch unter 2000 Euro liegt, etwa im Sicherheits- und Reinigungsdienst.

Öffentliches Geld

"Ginge es der Gewerkschaft tatsächlich um die Aufbesserung in den untersten Beschäftigungsgruppen, dann hätte sie hier eingelenkt", sagt ein Betreiber einer Privatbahn, der anonym bleiben will. Man habe sich mit tausend Euro Einmalzahlung bereits aus dem Fenster gelehnt. Denn anders als prozentuelle Lohnerhöhungen, die vom Staat über die gemeinwirtschaftlichen Leistungsbestellungen abgegolten werden, können Schienenpersonenverkehrsunternehmen bei Einmalzahlungen nicht automatisch mit der Übernahme durch die öffentliche Hand rechnen.

Apropos öffentliche Hand: Auch dort steigt das Unverständnis für einen 24-stündigen Warnstreik auf Kosten der Allgemeinheit. Vor allem die Junktimierung der Vida, mehr umweltfreundlichen Bahnverkehr könne es nur mit ausreichend Personal und attraktiven Löhnen und Gehältern geben, führt zu Irritation und Verärgerung. Kaum eine Regierung habe die Bahn so schadlos gehalten und Millionen reingepumpt wie Türkis-Grün.

ÖBB-Chef verärgert

Sauer ist auch ÖBB-Chef Matthä. "Mir fehlt jedes Verständnis für diesen Streik", übte er via Aussendung offen Kritik. Die Bahnbranche habe mit 8,44 Prozent das höchste Angebot aller Branchen gestellt. "Es ist ganz klar ein mutwilliger Streik der Gewerkschaft." Die ÖBB werde alles daran setzen, den Betrieb so rasch wie möglich hochzufahren. Ein Gespräch mit dem ÖBB-Konzernbetriebsratschef Roman Hebenstreit scheint angezeigt, er ist zugleich Vida-Chef. Am Dienstagnachmittag beraten die Bahnbetreiber über die weitere Vorgangsweise.

"Das Wesen von Streik ist dass es wehtut"

Rechtsanwältin und Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak rät in der ORF "ZIB 2" Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern morgen mögliche Staus und längere Arbeitswege entsprechend einzuplanen. Verspätungen durch Streiks seien arbeitsrechtlich nämlich nicht gerechtfertigt. Auch müsse der Arbeitgeber nicht für etwaige Kosten eines Leihwagen oder Taxi aufkommen.

Kinder, die aufgrund der morgigen Ausfälle keine Möglichkeit haben am Unterricht teilzunehmen, seien entschuldigt. Eltern, denen dadurch Betreuungspflichten entwachsen hätten allerdings keinen automatischen Anspruch auf Sonderbetreuungszeit. Körber-Risak rät hier im Ernstfall auf Kulanz des Arbeitgebers zu setzen und sich in der Früh mit diesem abzusprechen. Dass das in vielen Fällen so kurzfristig nicht möglich sein wird gibt Körber-Risak zu, allerdings sagt sie auch: "Das Wesen von Streik ist, dass es wehtut, sonst wäre es sinnlos." (Luise Ungerboeck, red, 27.11.2022)