Kriszta Székely ist im institutionalisierten Theatersektor Ungarns als Frau allein auf weiter Flur. Nun inszeniert sie erstmals in Österreich.

Judith Horvath

Die rigide Politik der ungarischen Fidesz-Partei hatte im September 2020 der renommierten Theater- und Filmuniversität SZFE den Garaus gemacht. Unter internationalem Medienecho (#freeSZFE) wurde der traditionsreichen und für Absolventen wie die Oscar-Preisträger Michael Curtiz und István Szabó bekannten Ausbildungsstätte die Autonomie entzogen. Auch Kriszta Székely war bis dahin als Lehrende tätig. Wie es um die nächste Generation bestellt ist und warum sie weit und breit die einzige Frau ist, erzählt die Regisseurin im Gespräch.

STANDARD: Sie haben jüngst "Hedda Gabler" inszeniert, weiters stehen Wolfram Lotz und Péter Nádas auf dem Spielplan. Das Katona-József-Theater scheint unbehelligt zu arbeiten.

Székely: Die Arten der Zensur haben sich geändert. Fidesz hat die absolute Macht, und die Orbán-Regierung erzwingt von allen Institutionen Treue zur Partei; diese versteht sich als rein christlich, ist konservativ, künstlerisch altmodisch, sehr männlich und übermäßig alt. Im Theaterbereich hat sich diese Lage in Ungarn sehr verschärft. Wir erleben einen Generationenkampf, weil die Machtpositionen vor allem von sechzig- bis siebzigjährigen Männern besetzt sind, die das Fidesz-Narrativ pushen, d. h. über die Medien einen Kulturkampf erklären.

STANDARD: Was besagt er?

Székely: Er besagt, dass das Theater ein Ort sein soll, der die Fidesz-Werte repräsentiert und an dem Land und Volk gefeiert werden sollen. Wenige Institutionen, die dem widerstreben, sind noch erhalten, dazu gehört Katona József. Und das nur, weil wir in Budapest einen oppositionellen Bürgermeister haben. Den allermeisten Häusern stehen Fidesz-treue Personen vor, die weitgehend keinen fachlich adäquaten Hintergrund haben. Die anderen werden abgedrängt.

STANDARD: Wie wird es mit Katona weitergehen?

Székely: Katona ist eine Insel. Wir wissen aber nicht, wie viel Zeit wir noch haben. Auch Putin hat in Moskau rasch die Kontrolle über die wichtigen Häuser übernommen. Wir versuchen derzeit, so progressiv wie möglich zu sein, um einen Fußabdruck ungarischen Theaterschaffens zu hinterlassen.

STANDARD: Wie finanzieren Sie sich?

Székely: Die Hälfte unseres Budgets kommt von der Stadt, die andere vom Kartenverkauf. Der Bürgermeister ist sehr unterstützend, weniger finanziell als emotional. Die Fidesz-Regierung unternimmt alles, um der Stadt die Gelder zu kürzen. Wir müssen also enorm viel spielen, weil wir schlichtweg das Eintrittsgeld brauchen. Katona ist wie Sauerstoff für Menschen, die unter der rückwärtsgewandten Ausrichtung des Landes leiden. Aber auch diese Bühne wird verschwinden.

STANDARD: Sie sind pessimistisch?

Székely: Ich bin optimistisch, mache mir aber keine Illusionen. Dass es Katona noch gibt, freut mich, und dass viele junge Künstlerinnen und Künstler kommen.

STANDARD: Sie haben auch an der entmachteten Universität SZFE unterrichtet. Was ist aus ihr geworden?

Székely: Viele wurden gefeuert, auch ich, weil meine Arbeit als nicht passend bewertet wurde. Das war ein Tiefschlag, weil es jeder Grundlage entbehrt. Manche sind freiwillig gegangen, haben aber noch ihre Abschlussklassen abgeschlossen. László Bagossy (Regisseur und ehemals Professor an der SZFE, Anm.) und manche andere haben dann im Gebäude der Central European University einen Betrieb aufgebaut, sie kooperieren u. a. mit dem Mozarteum in Salzburg. Das war sozusagen der Emergency Exit für die aus der SZFE verdrängten Lehrenden und Studierenden. Sie haben allerdings keinen Universitätsstatus, was es sehr schwierig macht.

STANDARD: Gibt es in der alten SZFE Betrieb?

Székely: Ja, aber die Atmosphäre hat sich sehr geändert und ist angespannt, was sehr bedauerlich ist, weil diese Universität ein unglaublich toller Ort war für Studierende. Ein großer Schaden. Soweit ich weiß, haben sie Probleme, Lehrpersonal zu finden, weil viele nichts mit dem politischen Durcheinander zu tun haben wollen. Deshalb beschäftigen sie konforme Personen aus anderen Fachbereichen, etwa Linguistik. Schauspielstudierende haben es schwer. Ungarisch ist eine isolierte Sprache, man kann nicht einfach mal nach Berlin wechseln.

STANDARD: Es gibt viele bekannte ungarische Regisseure. Aber wo sind die Frauen?

Székely: Ich will nicht sagen, dass ich als einzige Regisseurin im ungarischen Theater integriert bin, aber fast. Das gilt vor allem für den institutionalisierten Sektor.

STANDARD: Welche Gründe gibt es für das Fehlen von Regisseurinnen?

Székely: Viele. Einerseits gibt es in Ungarn sehr wenig Jobfluktuation. Sechzig- bis Siebzigjährige haben ihre Positionen jahrzehntelang inne. Sie waren auch sehr überrascht, zu sehen, dass eine Frau eine Inszenierung verantworten kann. Der Spalt zwischen den Geschlechtern ist also sehr groß. Ich war nie sauer auf sie, weil es offenbar so außerhalb der Normalität schien. Meine männlichen Kollegen wurden gepusht. Dass ich da mit durchgerutscht bin, grenzt an ein Wunder. Ich hatte aber viele Spielchen zu spielen, noch 2018 konnte ein Techniker keine Instruktionen von einer Frau entgegennehmen.

STANDARD: Wie sieht es mit der jungen Generation aus?

Székely: Wir haben am Katona ein Projekt gestartet, um jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Chance zu geben. Das hat sehr viel in Bewegung gebracht und wird hoffentlich den Anstoß geben für eine neue diversere Regiegeneration. Derzeit wäre die rationale Entscheidung allerdings, in diesem System keinen Platz anzustreben. Es gibt massive Karriereknicke wegen dieses Uni-Skandals. Viele gehen ins Ausland, nach Siebenbürgen zum Beispiel.

STANDARD: Wie sind Sie nun nach St. Pölten gekommen?

Székely: Ich war als Elfjährige bereits einmal am Theater in St. Pölten, als Balletttänzerin. Ich habe die Ballettakademie abgeschlossen und strebte ursprünglich eine klassische Ballettkarriere an. Jetzt bin ich als Regisseurin wiedergekehrt. Marie Rötzer und ihr Dramaturgie-Team haben meine Arbeit bei einem Online-Festival entdeckt.

STANDARD: Sie inszenieren "Drei Schwestern". Was macht dieses Drama für Sie derzeit spannend?

Székely: Zunächst einmal ist es ein umwerfender Text. Besonders interessiert mich das Isolationsgefühl jener Menschen, die eben nicht in den Metropolen leben und die das Gefühl haben, an den Entscheidungen in dieser sich rasant verändernden Welt nicht teilhaben zu können. Auch ist dieses Porträt dreier Frauen faszinierend. In ihnen steckt viel Identifikationsangebot. (Margarete Affenzeller, 28.11.2022)