Eigentlich hat Rishi Sunak genug zu tun. An diesem Montag soll der Premierminister den Bankern der City of London die Außenpolitik Großbritanniens erklären. Die höchste Nettoeinwanderung seit Beginn verlässlicher Zählungen bringt die Brexiteers auf die Palme, die menschenunwürdige Behandlung von Asylwerbern trägt dem Regierungschef den Tadel der Kirchen ein. Ökonomische Stabilität immerhin haben Sunak und sein Finanzminister Jeremy Hunt zurückgewonnen, freilich auf niedrigem Niveau: geringere Staatsausgaben, weniger Hilfe für die Bürger, ein weiterhin sinkender Lebensstandard.

Aufgaben ohne Ende also. Doch vergangene Woche opferte der Vorsitzende der Konservativen auch erheblich Zeit, um Parteifreunden gut zuzureden. Weil die 650 Sitze im Unterhaus wegen veränderter Wählerzahlen neu zugeschnitten werden, hat die Partei den Abgeordneten die Pistole an die Brust gesetzt: Bis Anfang nächster Woche müssen sie mitteilen, ob sie zur nächsten Wahl – wohl im Frühjahr 2024 – wieder antreten wollen. Wenn zu viele von ihnen die Flinte ins Korn werfen, wirft das kein gutes Licht auf Sunak. Denn die Politikflüchtlinge signalisieren indirekt, dass sie den Verlust ihres Mandats erwarten – und für die Tories den Machtverlust.

Neun Rückzüge, teils von aufstrebenden Köpfen

Bis Sonntagabend hatten bereits neun Männer und Frauen ihren Rückzug angekündigt. Dass Veteranen nach 25 Jahren Parlamentszugehörigkeit diesen Schritt gehen, würde unter normalen Umständen kaum jemandem auffallen. Doch zu den Fliehenden zählen auch aufstrebende Leute wie der 34-jährige William Wragg oder Dehenna Davison, 29 Jahre jung. Beide galten in der Partei als Hoffnungsträger der neuen Generation.

Dieses Label trug einst auch Chloe Smith. Die heute 40-Jährige zog 2009 als damals jüngste Abgeordnete ins Unterhaus ein, ehe sie unter Sunaks vier Vorgängern im Amt stetig Karriere machte, gekrönt von einem Sitz im Kabinett als Arbeitsministerin unter Liz Truss. Auf die Hinterbänke der Fraktion zurückgekehrt, hat sie offenkundig die Lust am Wahlkämpfen verloren.

Chloe Smith hat keine Lust mehr auf die Politik.
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Gemeinsam ist sämtlichen Ausscheidenden die Angst vor der drohenden Niederlage. Im britischen Mehrheitswahlrecht wird in jedem Wahlkreis separat abgestimmt, einigermaßen populäre Mandatsinhaber genießen traditionell ein wenig mehr Unterstützung als ihre Partei landesweit. Doch die Tories liegen seit Monaten um bis zu 30 Prozentpunkte hinter der Labour Party unter Oppositionsführer Keir Starmer. Wer da nicht über eine grundsolide Mehrheit verfügt, kann sich auch auf den Amtsbonus nicht verlassen.

Ex-Minister im Dschungelcamp

Und so schwebt über der ohnehin dauernd zerstrittenen Tory-Fraktion "ein Gefühl von fin de siècle", wie der Partei-Intellektuelle Robert Colvile, 2019 immerhin Mitautor des erfolgreichen Wahlprogramms, beobachtet hat. Immer mehr Abgeordnete würden ihre eigenen Interessen vor jene von Partei oder Nation setzen.

Matt Hancock ging ins Dschungelcamp.
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Zu diesen zählt gewiss Matt Hancock. Der frühere Medien- und Gesundheitsminister treibt längst seine zukünftige Karriereplanung voran: Zu Monatsbeginn, mitten in der parlamentarischen Session, reiste der 44-Jährige nach Australien, um an der jüngsten Staffel des britischen "Dschungelcamps" teilzunehmen, was den sofortigen Rauswurf aus der konservativen Fraktion zur Folge hatte.

Das scheint den "sehr ehrenwerten" Abgeordneten nicht zu scheren. Nicht nur erhält der Politiker für den Verzehr von Kängurupenissen und Bäder in ekligen Insekten das stolze Honorar von 400.000 Pfund (rund 464.000 Euro); offenbar ist dem einst wegen der verpfuschten Corona-Politik Gescholtenen auch so etwas wie ein Comeback in der Publikumsgunst geglückt. Jedenfalls schlug Hancock unter anderem einen früheren Rugby-Nationalspieler aus dem Rennen und erreichte das Dschungelcamp-Finale am Sonntagabend.

Auch wenn er dort dann am Ende nur Dritter wurde – Hancock hat, so scheint es, auf jeden Fall gewonnen. Ein Siegertyp, davon träumen die Tories. Vielleicht muss der Premier den Dschungelstar doch wieder ins Kabinett berufen. (Sebastian Borger aus London, 28.11.2022)