In dem Becken des Hallenbads schwamm nie ein Gast.

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Eigentlich sollte hier wohltemperiertes Wasser plätschern; sollten Kurgäste die Treppe nach oben aufs Sonnendeck wandeln; sollte der Geruch von Chlor die hellen Räume erfüllen. Doch das Schwimmbecken ist trocken, und nur der Schutt von Jahrzehnten bedeckt die himmelblauen Kacheln. Die Treppen führen ins Nirgendwo. Nur wenige Sonnenstrahlen, die durch den dichten Laubwald dringen, tanzen auf den letzten Scherben der Fenster. Und es riecht nicht nach Thermalwasser, sondern nach feuchtem Mauerwerk. In diesem Hallenbad auf der oststeirischen Laßnitzhöhe schwamm nie ein Gast. Dafür versanken Millionen an Schilling für immer.

Das war vor fünfzig Jahren. Seitdem modert die Ruine vor sich hin. Dabei ist der Ort Laßnitzhöhe um sein Äußeres bemüht. Touristen und die Gäste eines privaten Reha-Zentrums und einer Schönheitsklinik bringen Geld in die Gemeinde. Vor kaum mehr als zehn Jahren wurde das Ortszentrum neu gestaltet, mit Café, Raiffeisenbank und blumenreichen Verkehrsinseln. Das alte Hallenbad versteckt sich nur wenige hundert Meter davon im Wald, und niemand scheint sich mehr darum zu kümmern. Warum? Das ist eine lange Geschichte.

Der Kurbetrieb hat auf der Laßnitzhöhe eine lange Geschichte. Das Hallenbad sollte diese Tradition wiederaufleben lassen.
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Geld für gute Luft

Diese Geschichte beginnt mit einer Legende. Ein Grazer Arzt vertritt sich in den 1880er-Jahren bei einem ungeplanten Stopp seines Zuges auf der Laßnitzhöhe die Beine. Angetan von der guten Luft auf 530 Meter Seehöhe entscheidet er sich prompt, in mehrere Villen für gut situierte Sommerfrischler zu investieren. Die Eisenbahn – erst ein Jahrzehnt zuvor gebaut – bringt fortan Fremde in das Dorf. Fremde mit Geld. Um die Jahrhundertwende belegen die Quellen etwa Besucherinnen und Besucher aus Ungarn, Kroatien, Russland, Schlesien und Malta.

Das Geld ruft die Investoren. Der Arzt Eduard Miglitz etabliert ab 1898 einen hochmodernen Kurbetrieb im Ort. Wer es sich leisten kann, kommt und lässt sich von dem ausgebildeten Nervenfacharzt gegen neurologische Erkrankungen, Anämie, Rachitis, Herzkrankheiten, Gicht und Rheuma behandeln. Mast- und Milchkuren stehen ebenso auf dem Programm wie Fango- und Elektrotherapien. Abgerechnet wird nicht pauschal, sondern jede Behandlung einzeln.

Verfall und Neubeginn

Doch der Glanz der Laßnitzhöhe verblasst bald. Nach dem Ersten Weltkrieg bleiben internationale Gäste aus. Die Wirtschaftskrise bremst das Geschäft zusätzlich. Die offizielle Erhebung zum Kurort 1928 ist nicht viel mehr als ein verzweifeltes Aufbäumen. Der Zweite Weltkrieg tut sein Übriges. Die Wehrmacht beschlagnahmt die Heilanstalt, die in der Zwischenzeit Eduard Miglitz' gleichnamiger Sohn übernommen hat. In die Räume der Anstalt zieht ein Lazarett.

Partylocation, Sektentreffpunkt? Die Gerüchte über das Hallenbad halten sich.
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In der Konjunkturphase nach dem Zweiten Weltkrieg geht es langsam wieder bergauf mit dem Kurort und der Heilanstalt. Die Zahl der Übernachtungen verdoppelt sich von 1950 bis 1970 von 37.600 auf 83.800. Das lässt Hoffnungen aufkommen. Auch bei dem Grazer Neurologen und Psychiater Franz Merli. Er will auf den fahrenden Zug aufspringen, beginnt 1971, ein Kurzentrum zu errichten – dessen Herzstück ein Hallenbad sein soll.

Aus 18 Millionen Schilling werden 36 Millionen

Was dann passiert, ist nur bruchstückhaft überliefert. Details kennt auf der Laßnitzhöhe kaum jemand mehr. Ein Lokalhistoriker, den DER STANDARD für ein Gespräch kontaktiert, winkt ab – zu viel Halbwissen, das kursiert, zu wenig Fakten. Fest steht: Merli und seine Investoren stecken 18 Millionen Schilling in das Projekt. Es soll Tagesgästen dienen, die in der gleich angrenzenden Heilanstalt oder den Hotels und Pensionen übernachten – eine Win-win-Situation.

Doch es kommt anders. Die Baukosten laufen aus dem Ruder, sind mit 36 Millionen Schilling bald doppelt so hoch wie veranschlagt. Merli setzt auf einen Kredit bei der ATS-Bank, geht aber letztlich pleite – und wenige Jahre später auch die Bank.

Statt 18 Millionen Schilling verschlang das geplante Kurzentrum 36 Millionen – und wurde trotzdem nie fertiggestellt.
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Der Konkurs bedeutet einen Knick im Aufschwung der Laßnitzhöhe. Potenzielle Gäste assoziieren die – wirtschaftlich nicht verbundene – Heilanstalt des Ortes mit dem verwaisten Rohbau, der jetzt nur wenige Schritte vom Ortszentrum langsam verfällt. Die Gästezahlen sinken. Wegen Problemen in der Wasserversorgung werden populäre Kneippkuren 1984 eingestellt, auch andere Therapieformen nur eingeschränkt angeboten.

Sektentreffpunkt oder Anlageobjekt?

Heute ist der Kurbetrieb auf der Laßnitzhöhe lange Geschichte. Die ehemalige Heilanstalt ist eine Privatklinik, die sich auf orthopädische und neurologische Rehabilitation spezialisiert hat. Auf ihren Spaziergängen kommen die Patientinnen und Patienten oft an der Ruine des alten Hallenbads vorbei. Die Verwegenen unter ihnen steigen durch die immer größer werdenden Löcher im Zaun, um das alte Schwimmbecken genauer zu besichtigen. Ob sie es sind, die die unzähligen Graffiti an den Wänden, die Lagerfeuer und die leeren Schnapsflaschen hinterlassen haben, mag man bezweifeln. Die Gerüchte von Sekten, die hier geheime Treffen abhalten, haben sich aber auch nie bestätigt.

Die Privatklinik und das Gelände des nie eröffneten Kurzentrums gehören – über verschiedene Gesellschaftsstrukturen – dem Mediziner und Unternehmer Günther Nebel, der sie 1984 kaufte, um in den folgenden Jahrzehnten einen privaten Krankenhauskonzern aufzubauen, zu dem heute Häuser in der ganzen Steiermark, in Niederösterreich, und ein Wellnesshotel in Ungarn gehören. Eine Klinik für ästhetische Chirurgie auf der Laßnitzhöhe kam vor ein paar Jahren dazu. Die Sanlas Holding, wie das Unternehmen heißt, ist der größte Arbeitgeber im Ort.

Pläne für die Nachnutzung wurden aufgestellt und wieder verworfen: Die Zukunftsaussichten sind unklar.
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Zukunft offen

Für die Ästhetik des alten Hallenbads interessiert sich heute vor allem die Lost-Places-Community. Aus dem Büro Günther Nebels gibt es keine Auskünfte, ob und welche Pläne mit dem Gelände verfolgt werden. Laut Bürgermeister Bernhard Liebmann gab es einst Bestrebungen, hier eine Ausbildungsstätte für Zimmerer- und Tischlerlehrlinge zu errichten. Doch daraus wurde nichts.

Erst vor rund einem Jahr bewarben sich Gemeinde und Privatklinik um einen Fachhochschulstandort für Pflegeberufe. Dafür hätte das Areal des Hallenbads dienen können, den Zuschlag bekam aber das obersteirische Kapfenberg. Und so bleibt das alte Hallenbad des Dr. Merli auch nach einem halben Jahrhundert ein Teil der Laßnitzhöhe. (Michael Windisch, 29.11.2022)