Im dichtbesiedelten Gazastreifen leben laut Schätzungen zwei Million Menschen unter miserablen Bedingungen.

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Am Dienstag wird der Uno-Teilungsplan für Palästina 75 Jahre alt. Er sollte einst den blutigen Konflikt zwischen den Palästinensern und der wachsenden jüdischen Bevölkerung im britischen Mandat mit einer Zweistaatenlösung beenden – doch das scheiterte, Kriege folgten. Nur Israel begeht im Mai seinen 75. Geburtstag. Die Palästinenser, die den Teilungsplan 1947 boykottiert hatten, haben bekanntlich bis heute keinen Staat. Daran erinnert jedes Jahr am 29. November der von der Uno ausgerufene Tag der Solidarität.

Die Aussichten auf eine Lösung sind verschwindend gering. Der Arzt Izzeldin Abuelaish glaubt dennoch fest daran – und das, obwohl es israelische Granaten waren, die 2009 seine drei Töchter und auch seine Nichte im gemeinsamen Zuhause in Gaza töteten. "Ich werde nicht hassen" (Verlag Langen Müller) heißen seine Memoiren, die nun auf Deutsch neu aufgelegt wurden. Abuelaish, der mehrfach für den Nobelpreis nominiert wurde, hat sie in Wien vorgestellt.

STANDARD: Sie sind in Israel und unter Palästinensern als Brückenbauer bekannt. Sie haben sich zum ersten palästinensischen Arzt in einem Krankenhaus in Israel hochgekämpft. Woher rührt die Bereitschaft, auf die andere Seite zuzugehen?

Abuelaish: Mein Leben war von Geburt an von Flucht und Krieg gezeichnet. Im Flüchtlingscamp im Gazastreifen war es der reine Überlebenskampf – voller Erniedrigung, Armut und Leid. Erstmals Kontakt mit Israelis hatte ich mit 14 Jahren, weil ich die Hühner einer Familie fütterte, um die meine durchzubringen. Als ich eines Tages nach Hause kehrte, hatte die israelische Armee unser Haus dem Erdboden gleichgemacht. Trotzdem trug ich die israelische Familie in meinem Herzen, sie hatten mich gut behandelt. Ich generalisiere nicht. Als Arzt ist für mich jeder in erster Linie Mensch.

Der Arzt Izzeldin Abuelaish trotzt dem Hass.
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STANDARD: Das hat sich nach dem Tod Ihrer Töchter nicht geändert. Sie waren live ins Studio eines israelischen TV-Senders zugeschaltet, als es passierte.

Abuelaish: Alle haben erwartet, dass ich danach in Hass verfallen würde. Ich wollte aber keinesfalls, dass meine Töchter – drei Friedensaktivistinnen – nur Opferzahlen bleiben. Und ich wollte, dass kein weiteres Blut vergossen wird. Kurz darauf wurde von Israel der Waffenstillstand ausgerufen – ein kleiner Trost. Ich bin Arzt. Ich denke immer daran, wie man Tod verhindern kann. Dieses Leid ist menschengemacht, wie der Klimawandel. Es lässt sich verhindern – darum sollte es jedem Einzelnen von uns gehen. Auch im Hinblick auf Russlands Krieg in der Ukraine. Hass ist eine Krankheit, die uns auffrisst.

STANDARD: Und doch ist der Hass in Israel und den besetzten Gebieten weit verbreitet: Etliche Israelis wurden 2022 bei Anschlägen getötet, Israel griff jüngst den Gazastreifen an, und künftig regieren Rechtsextreme mit.

Abuelaish: Ich verurteile Gewalt. Doch für mich sind dies Symptome eines zugrundeliegenden Übels: die gewaltsame Besatzung der Palästinensergebiete. Das Leben im Gazastreifen ist hoffnungs- und würdelos. Die Menschen wurden ihrer Freiheit beraubt – sie sind Menschen zweiter Klasse. Gerechtigkeit ist aber die Grundlage für Versöhnung, und die sieht nun einmal anders aus: Ich lebe seit 2011 in Kanada. Dort habe ich die gleichen Rechte wie jene, deren Familien seit Jahrtausenden dort leben.

STANDARD: Dennoch glauben Sie an Versöhnung?

Abuelaish: Natürlich. Solange ein Patient lebt, muss alles versucht werden: Israelis und Palästinenser sind noch da. Viele hielten den Mauerfall oder die US-Präsidentschaft von Donald Trump für unwahrscheinlich. Passiert ist es trotzdem.

STANDARD: Der vor 29 Jahren initiierte Oslo-Friedensprozess ist aber tot. Wohl auch die Zweistaatenlösung.

Abuelaish: Letzteres haben die israelischen Regierungen mit ihrer Siedlungspolitik zu verantworten. Egal ob Ein- oder Zweistaatenlösung: Mir ist wichtig, dass die Palästinenser in Recht und Würde leben können. Israel ist also am Zug – der künftige und alte Premier Benjamin Netanjahu hat jedoch nichts anzubieten. (Flora Mory, 29.11.2022)