Wien – Zwar steht seit Mitternacht der Bahnverkehr in ganz Österreich still, doch das große Verkehrschaos blieb aus. "Rund um die großen Städte dauerten die Morgenspitzen länger als üblich, aber befürchtete kilometerlange Staus bleiben aus. Das Verkehrsaufkommen ist am Montag in der Früh aber generell am höchsten", sagte eine Sprecherin der Asfinag am Montagvormittag. Man habe das Streckenpersonal verstärkt und Tagesbaustellen abgesagt, um Straßen zu entlasten. Im Lauf des Vormittags hätten sich alle Staus größtenteils aufgelöst.

Noch im Jahr 2019 hätte die Situation vermutlich anders ausgesehen, doch während der vergangenen Pandemiejahre haben Menschen und Unternehmen gelernt, spontan auf Homeoffice umzustellen. Zumindest dort, wo es möglich ist. Aber auch dort, wo Anwesenheit unumgänglich ist, wie etwa im größten Krankenhaus des Landes, dem Wiener AKH, kam es laut Klinikum zu keinen nennenswerten Personalausfällen.

Selbst in Bereichen, wo die Menschen auf Mobilität in höchstem Maße angewiesen sind, wie etwa beim Pflegepersonal und in der Betreuung durch mobile Helfer und Helferinnen bei den Klienten und Klientinnen daheim, lief alles wie am Schnürchen heißt es seitens der Caritas. Alle Schützlinge konnten demnach wie gewohnt aufgesucht und versorgt werden – und das quer durch alle Bundesländer. Auch in den Pflegewohnhäusern gab es keine streikbedingten Ausfälle.

Es herrscht sehr wenig Betrieb an Österreichs Bahnhöfen – vor allem am Montag in der Früh ein ungewohntes Bild.
Foto: Christian Fischer

Wirtschaftliche Auswirkungen unklar

Ersten Schätzungen zufolge dürfte sich der direkte Schaden für die Eisenbahnbranche zwischen 20 und 30 Millionen Euro bewegen, Folgeeffekte für Unternehmen sind darin nicht berücksichtigt. Beim Wifo heißt es, dass ein eintägiger Streik meist keine starken zusätzlichen Effekte habe. Im Warenhandel hätten überdies Unternehmen meist einen gewissen Puffer eingeplant, weil Lieferungen immer wieder Verspätung haben.

Immer noch sehr angespannt ob der Situation zeigt sich jedenfalls Arbeitgeber-Chefverhandler Thomas Scheiber im Gespräch mit dem STANDARD: "Die Ausgangslage sieht nicht rosig aus." Wie hart der Streik Unternehmen im ganzen Land treffe, könne er noch nicht sagen. Am Dienstag werde die Situation noch einmal analysiert.

"An den Bahnhöfen hat die Situation vornehmlich Touristen überrascht, Einheimische haben größtenteils Bescheid gewusst", sagt Scheiber. Wie es mit den Verhandlungen weitergehe, sei ebenfalls noch unklar. Man sei von Arbeitgeberseite an die finanzielle Schmerzgrenze gegangen, mehr Geld könne nur noch vom Bund bzw. von Gebietskörperschaften kommen. "Ticketpreise zu erhöhen ist keine Option."

Hintergründe des Streiks

Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter konnten sich am Sonntag in einer fünften Verhandlungsrunde nicht auf einen neuen KV-Abschluss einigen. Angesichts der Inflation von elf Prozent fordern die Eisenbahnmitarbeiter Lohnerhöhungen von durchschnittlich zwölf Prozent. Nachdem die Arbeitgebervertreter bis Sonntag nur 8,4 Prozent angeboten hatten, wurden die Verhandlungen am Wochenende vorerst ohne neuen Gesprächstermin abgebrochen.

Laut ÖBB sind in Österreich normalerweise täglich rund 8.000 Personen- und Güterzüge von verschiedenen Betreibern unterwegs. Etwa eine Million Passagiere werden jeden Tag befördert. Im Güterverkehr ist laut ÖBB-Chef Andreas Matthä vorgesorgt. "Wir haben angesichts der angespannten Lage versucht, für wesentliche Kunden schon im Vorfeld die Züge in die Werke hineinzustellen. Das sollte großflächig gelungen sein, sodass die Großbetriebe normal arbeiten können", sagte Matthä am Montag im ORF-Radio. Überdies betonte er, dass er den Warnstreik "für unverhältnismäßig" halte und "kein Verständnis" dafür habe.

Flixbus profitiert

Der Bahnstreik führt jedenfalls zu einer erhöhten Nachfrage nach alternativen Verbindungen – sprich bei der Konkurrenz läuft das Geschäft auf Hochtouren. "Wir sehen momentan eine gestiegene Nachfrage bei unseren Flixbus-Verbindungen in Österreich", heißt es auf Anfrage aus der deutschen Konzernzentrale des Busbetreibers. Daher habe man mit einer kurzfristigen Aufstockung auf stark nachgefragten Linien wie zwischen Wien und Graz reagiert. Aktuell sei auf der Strecke Wien–Graz eine Verbindung ausgebucht, für einige andere Fahrten sei nur noch ein Restkontingent an Tickets verfügbar.

DER STANDARD

Streik in anderen Branchen

Am Montag streiken auch die Brauerinnen und Brauer, hier fehlt ebenfalls noch eine Einigung bei den Tarifverhandlungen. Im Handel entscheidet die fünfte Verhandlungsrunde am Dienstag, ob es zu Warnstreiks mitten in der Adventzeit kommen wird oder nicht. Eine Streikfreigabe hat sich die Gewerkschaft bereits vom ÖGB geholt. Kommt es zu keiner Einigung, gehen die Handelsangestellten am Freitag und Samstag auf die Straße.

Die Gewerkschaft fordert ein Gehaltsplus von 8,5 Prozent mit einem Mindestbetrag in Höhe von 200 Euro. Die Arbeitgeber schlagen eine steuerfreie Prämie vor, die den Beschäftigten großteils noch heuer ausbezahlt werden soll, und bieten fünf Prozent Erhöhung auf die kollektivvertraglichen Mindestgehälter. Die Gewerkschaft lehnt Einmalzahlungen ab und will angesichts der hohen Inflation ordentliche Gehaltssprünge sehen. (and, aha, rebu, 28.11.2022)