Im Gastblog zeigt Bruno De Nicola, dass sich die über die Mongolen entstandenen Narrative durch historische Analysen als unzulänglich erweisen.

Geschichte wird von den Siegern geschrieben – oder, vielleicht sollte man besser sagen, von denen, die ihre Eroberung überlebt haben. Dies trifft auch auf das Mongolenreich zu, das aus den Eroberungen von Dschingis Khan hervorging und sich unter seinen Nachfolgern weiter ausdehnte, um das größte zusammenhängende Imperium der Geschichte zu bilden, das sich schließlich von China bis nach Osteuropa erstreckte. Die Geschichte des mongolischen Reiches wurde hauptsächlich von den gebildeten Eliten der eroberten Gesellschaften in China, Zentralasien und Iran oder von den Eliten der mit den Mongolen verfeindeten Staaten wie Ägypten, Osteuropa oder Indien geschrieben. Den Schriften einiger dieser – durchwegs männlichen – Autoren verdanken wir das Bild von "Barbaren", "blutdürstigen" und "rücksichtslosen Eroberern", das uns oft in den Sinn kommt, wenn wir an die Mongolen denken.

Eine Schlachtszene mit mongolischen Heeren.
Foto: STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN - Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms. Diez A. Fol. 70 S26. Bild 2

Während die meisten Menschen die Mongolen mit Pferden, Pfeil und Bogen oder Krieg in Verbindung bringen, ist es ungewöhnlich, an das Mongolenreich als einen kultivierten Ort des Lesens, Schreibens und der Wissensproduktion zu denken – alles Aktivitäten, die in der allgemeinen Vorstellung mit der Eroberung durch die Mongolen zu existieren aufgehört haben sollten. Während ihres militärischen Vormarsches richteten die mongolischen Heere in einigen Teilen der islamischen Welt zweifellos Verwüstung und Zerstörung an. In Zentralasien plünderten sie zum Beispiel Buchara und im Iran zerstörten sie Nishapur. Diejenigen, die über die mongolische Gesellschaft geschrieben haben, erwähnen oft, dass diese Nomaden eine allgemeine Verachtung für Wissen, Religion und vor allem für Bücher hatten. So heißt es zum Beispiel, dass die Mongolen bei der Eroberung von Buchara "die ganze Stadt und alle Bibliotheken mit Büchern verbrannten und zerstörten"¹ und dass sie, wann immer sie ein religiöses Gebäude betraten, dieses in einen Pferdestall umwandelten und die heiligen Bücher "mit Füßen traten".² Spätere Autoren berichteten auch, dass die Mongolen nach der Eroberung von Bagdad im Jahr 1258 den Kalifenpalast einnahmen und "alle Bücher des Wissens, die sich in der Schatzkammer befanden, in den Tigris geworfen wurden".³

Manuskripte als historischer Schlüssel

Dies ist jedoch möglicherweise ein unvollständiges Bild. Gegen diese Darstellung mittelalterlicher Geschichtsschreiber spricht die schiere Anzahl handgeschriebener Bücher, die während der Mongolenzeit hergestellt wurden und die bis in unsere Tage überlebt haben. Sie weisen auf eine ganz andere Entwicklung hin: In der Zeit der mongolischen Herrschaft über den Iran und Zentralasien während des 13. und 14. Jahrhundert kam es zu einem beispiellosen Aufschwung bei der Herstellung von Manuskripten in arabischer und persischer Sprache. Das am Institut für Iranistik der ÖAW angesiedelte und von mir geleitete "Nomads' Manuscripts Landscape" hat bereits die Existenz von Tausenden von Manuskripten dokumentiert, die aus dieser Zeit erhalten sind und sich heute in verschiedenen Sammlungen in Europa, Iran und Zentralasien befinden. Sie wurden von Hunderten von Autoren verfasst und repräsentieren insgesamt Dutzende von Literaturgattungen.

Im Gegensatz zu gedruckten Büchern sind Manuskripte nicht nur Kopien bestehender Texte, sondern einzigartige Artefakte. Im mittelalterlichen Eurasien, als Bücher teure Produkte waren, die in Einzelanfertigung hergestellt wurden, wurde jedes dieser Bücher zu einem einzigartigen Objekt, das seine eigene Geschichte zu erzählen hatte. Da es sich um kostbare Gegenstände handelte, wurden sie über Generationen hinweg von Hand zu Hand weitergegeben, und in vielen Fällen hinterließen diejenigen, die sie kopierten, lasen oder besaßen, Spuren ihres Besitzes in den Blättern der Handschrift. In nicht wenigen Fällen enthalten die Manuskripte nicht nur die Abschrift eines Textes, sondern auch einzigartige historische Informationen, die an den Rändern, am Anfang oder am Ende des Buches hinterlassen wurden und uns etwas über den historischen Werdegang des Buches selbst verraten. Diese Anmerkungen, die gemeinhin als Paratext bezeichnet werden, sind für Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Epoche befassen, eine fruchtbare Informationsquelle, da sie nicht nur über den Text, sondern auch über den Kontext, in dem dieser produziert und/oder verwendet wurde, Auskunft geben.

Zwei Notizen (eine auf Persisch und eine auf Hebräisch) über den Erwerb dieses Astronomiebuchs für 19 Dinar durch den Astronomen Khwāja Yūsuf von dem jüdischen Besitzer Yeshu'a ben Barakāt. Die Transaktion fand am 18. Rabīʿ I 710 AH. (16. August 1310) statt, was dem Jahr 1621 der seleukidischen Ära entspricht (ein von mittelalterlichen jüdischen Gemeinden häufig verwendeter Kalender). Das Buch wurde am 20. Dhu al-Qa'dah 702 AH (14. Juli 1303) kopiert.
Foto: BNF, Persan 173, f. 144

Paratexte enthalten oft Informationen über die Zeit und den Ort, an dem diese Bücher zirkulierten, einschließlich Daten über die Menschen, Orte und Gewohnheiten derer, die sie benutzten, Informationen, die anderswo oft nur schwer zu finden sind. Kolophone, der letzte Teil eines Textes, in dem erklärt wird, wann und wo das Buch abgeschrieben wurde, verraten uns nicht nur Zeit und Ort, sondern oft auch die Namen der Schreiber, die sie abgeschrieben haben. Diese Namen geben zudem Auskunft über Herkunft, familiäre Verbindungen und sogar religiöse Zugehörigkeit der Schreiber. Ebenso bieten "Besitzvermerke" und Siegel, die in der Regel auf der Titelseite des Buches von denjenigen angebracht werden, die es gekauft, verkauft oder geerbt haben, einzigartige Hinweise darauf, wie diese Manuskripte im Reich zirkulierten; denn sie verraten uns, wann und wo jemand das Manuskript erworben hat oder wo und an wen ein bestimmtes Exemplar verkauft wurde. Außerdem finden sich an den Rändern von Texten häufig Notizen der Leser – Reaktionen und Erläuterungen zu den im Text enthaltenen Ideen, die wertvolle Einblicke geben, wie diese Texte verwendet, interpretiert und weitergegeben wurden.

Ein Kolophon, das die Kopie eines Werks (eine persische Übersetzung des klassischen Werks Kalīlah va Dimnah) erwähnt, die am 23. Jumada I 736 AH (16. Januar 1336 n. Chr.) von einem Schreiber aus der Stadt Andukan (modernes Andischan, Usbekistan) angefertigt wurde.
Foto: Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Ms. Orient. P 85, fol. 172v.

Für sich genommen mag eine dieser Markierungen, Kolophone oder Anmerkungen nicht viel aussagen. Wenn es jedoch gelingt, eine beträchtliche Anzahl von ihnen zu sammeln, miteinander in Verbindung zu bringen und gemeinsam zu studieren, bieten sie einen umfassenderen Blick auf die literarische Aktivität dieser Zeit. So ergeben sich Einsichten in die reiche Kulturgeschichte der Mongolenzeit, die man aus dem Studium narrativer Quellen alleine nicht erhalten kann. Genau dies ist die Aufgabe des NoMansLand-Teams, das textliche und paratextliche Informationen von mehr als 5.000 überwiegend persischen und arabischen Manuskripten aus der Mongolenzeit gesammelt hat und nun auswertet. Durch den Abgleich der Informationen aus diesen Manuskripten entdecken wir nicht nur, dass das Kopieren von Manuskripten unter der mongolischen Herrschaft zunahm, sondern auch, dass die literarische Welt Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften umfasste – mit einer aktiven Beteiligung unterschiedlicher Segmente der Gesellschaft an Produktion, Verbreitung und Konsum von Wissen in den Gesellschaften des Irans und Zentralasiens während dieser Zeit.

Zwei Mongolen lesen den Koran.
Foto: STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN - Preussischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms. Diez A. Fol. 71 S30

Veränderte Erzählung der Mongolen

Die Geschichte des Mongolenreichs mag von den Siegern oder den Überlebenden geschrieben worden sein, aber das kulturelle, wissenschaftliche und literarische Erbe ihrer Herrschaft ist noch lange nicht vollständig verstanden. Überlebende Manuskripte bieten einen seltenen und einzigartigen Einblick in das Geschehen der Vergangenheit. Diese Texte geben Aufschluss über die kulturellen Aktivitäten, die mit ihnen einhergingen, darüber, was die Menschen lasen, aber auch wann und oft auch wie sie lasen. Die Mongolen haben keine Bücher verbrannt oder in den Fluss geworfen. Stattdessen sollte man vielleicht eher sagen, dass sie als Herrscher über eine riesige Kulturlandschaft integraler Bestandteil einer kulturellen Revolution waren, die den Iran und Zentralasien im 13. und 14. Jahrhundert erfasste. (Bruno De Nicola, 30.11.2022)