Die Regierung hat einen schlechten Ruf.

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Der Glauben an die Demokratie im Land ist auf Talfahrt: Dachten noch vor fünf Jahren zwei Drittel aller Menschen, dass das politische System Österreichs gut funktioniert (64 Prozent), so ist es mittlerweile nur mehr ein Drittel (34 Prozent). Zu diesem Ergebnis kommt das Meinungsforschungsinstitut Sora in seinem jährlich erhobenen "Demokratiemonitor". Mehr Menschen denn je wünschen sich auch einen "starken Führer".

Auch mit dem Institutionenvertrauen ging es im Jahresvergleich weiter bergab: Der Bundesregierung vertrauen derzeit 33 Prozent (minus neun Prozentpunkte), dem Parlament 38 Prozent (minus acht Prozentpunkte) und dem Bundespräsidenten 53 Prozent (minus sechs Prozentpunkte).

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Im Gegenzug ist das Vertrauen in Justiz, Polizei und Behörden in etwa gleich hoch geblieben. Daher spreche man eher von einer "Krise der Repräsentation", sagt Martina Zandonella von Sora. Vor allem die demokratisch gewählten Vertretungsorgane haben an Vertrauen verloren. Das betrifft auch die Parteien selbst: 38 Prozent der Befragten finden derzeit keine politische Partei, die ihre Anliegen vertritt, 2018 waren es nur 13 Prozent.

Keine Zuversicht

Ein Grund für den Vertrauensverlust laut Sora: Bei besonders wichtigen Themen gelingt es den politischen Akteuren nicht, sie in einer Art und Weise aufzugreifen, die zuversichtlich stimmt. Als ihr derzeit dringendstes politisches Anliegen nennen die meisten Menschen die Teuerung (42 Prozent), gefolgt von ökonomischer Ungleichheit (20 Prozent), dem Klimawandel (15 Prozent), dem Krieg in der Ukraine (14 Prozent) sowie Zuwanderung und Integration (13 Prozent). Die Befragten sind vor allem besorgt, zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch verärgert.

Zwar wurde die Erhebung kurz nach Bekanntwerden des Antrags auf Kronzeugenstatus von Thomas Schmid abgeschlossen, weswegen Auswirkungen der jüngsten Debatten über die Chatprotokolle nicht im "Demokratiemonitor" abgebildet sind. Jedoch stimmte bereits zum Zeitpunkt der Befragung eine Mehrheit von 59 Prozent der Aussage zu, dass "Politik und Medien unter einer Decke stecken".

"Starker Führer" gewünscht

Was bedenklich stimmt: Die klassische Frage nach dem "starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss", wird erstmals seit Erhebungsbeginn nicht mehr mehrheitlich abgelehnt – derzeit stimmen 46 Prozent gar nicht zu, vor einem Jahr waren es noch 56 Prozent. Gleichzeitig hat die Demokratie aber nicht an Zustimmung verloren: Über die fünf Erhebungsjahre hinweg denken jeweils knapp neun von zehn Menschen, dass sie – trotz mancher Probleme – die beste Staatsform ist.

Immer mehr Libertäre

Doch gerade die "Zwischentöne" würden sich ändern, sagt Zandonella. Mehr werden die Demokratinnen und Demokraten mit autoritären Demokratievorstellungen, ähnlich zu Ungarn oder Polen: So können sich 37 Prozent vorstellen, dass die Unabhängigkeit von Medien oder Gerichten eingeschränkt wird, im Vorjahr waren es 32 Prozent. Auch die Gruppe der Libertären werde größer (15 Prozent der Bevölkerung): Für sie steht Freiheit im Sinne der persönlichen Autonomie und abseits von gesellschaftlichen Abhängigkeiten im Vordergrund. Staatliche Eingriffe in individuelle Handlungen werden abgelehnt, darunter etwa der Sozialstaat selbst.

Kaum repräsentiert

Jene, deren ökonomische Lage sich im unteren Drittel befindet, haben besonders wenig Vertrauen in die bestehenden Institutionen und sehen sich kaum repräsentiert. Das ist seit 2018 konstant so geblieben – doch gerade in der Mittelschicht hat sich die Zufriedenheit innerhalb der letzten Jahre halbiert. Waren 2018 noch 66 Prozent davon überzeugt, dass das politische System gut funktioniert, sind es derzeit nur mehr 34 Prozent.

Neben den ökonomischen Merkmalen gibt es auch andere Faktoren, an denen sich eine größere Unzufriedenheit erkennen lässt: So vertrauen Frauen, Personen ohne Matura, arbeitslose Menschen, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Personen auf dem Land dem bestehenden System weniger als andere Gesellschaftsgruppen.

Selbstbedienungsladen Politik

Ein Grund für die starke Unzufriedenheit ist Sora zufolge, dass vor allem Menschen in niedrigeren Einkommensgruppen das Gefühl haben, wie Personen zweiter Klasse behandelt zu werden (73 Prozent), im Parlament nicht vertreten zu werden (68 Prozent) und mit politischer Beteiligung nichts ändern zu können (60 Prozent).

Die Mittelschicht hat hingegen zunehmend das Gefühl, dass jene, die gut situiert sind, sich "untereinander ausmachen, was im Land passieren soll" – immer mehr stelle sich die Frage, ob das politische System noch ein Gemeingut oder eher ein Selbstbedienungsladen ist. Im finanziell obersten Drittel wird hingegen im Zuge der Pandemie eine erhöhte Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrgenommen. Das führt dazu, dass ihr Vertrauen ins System sinkt, weil sie sich unter anderem "vom Staat stärker bevormundet fühlen".

Arme werden ärmer

Auch die ökonomischen Entwicklungen selbst erschüttern das Vertrauen ins System: So hat sich die finanzielle Lage jener, die sowieso schwächergestellt sind, im Zuge der Krise weiter verschlechtert. Das geben 73 Prozent an. Der überwiegende Teil muss sich im Alltag aufgrund der Teuerung einschränken. Bei den besser Situierten sind es hingegen nur 20 Prozent, die mit ökonomischen Einschränkungen konfrontiert sind, im mittleren Drittel 51 Prozent.

Kritik der Opposition

SPÖ, FPÖ und NEOS sahen angesichts der Ergebnisse die türkis-grüne Regierung in der Verantwortung. Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ist es "kein Wunder, dass das Vertrauen der Menschen in diese Bundesregierung ins Bodenlose sinkt – denn gerade beim Thema Teuerung, wo die Bevölkerung am dringendsten politische Lösungen einfordert, bringt Türkis-Grün nichts zustande", sagte er in einer Aussendung. "Die Preise müssen runter, das senkt auch die Inflation", wies Deutsch einmal mehr auf die Forderungen seiner Partei hin.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz fand den Wunsch nach einem "starken Führer" "bezeichnend" – "denn bei den derzeitigen Akteuren von ÖVP und Grünen kann man wohl kaum von 'stark' und geschweige denn von 'Führungspersönlichkeiten' sprechen", sagte er in einer Aussendung. "Die aktuelle Umfrage belegt mit diesem niederschmetternden Ergebnis auch eindeutig das Versagen von ÖVP und Grünen in den vorherrschenden Krisen."

Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist es "erschütternd und alarmierend", dass das Vertrauen der Menschen in Politik, Institutionen und Medien immer weiter sinkt. "Besonders bedenklich stimmt mich, dass der Wunsch nach einem 'starken Führer' steigt", sagte sie in einer Aussendung. "Es liegt am völligen Versagen von ÖVP und Grünen, dass das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen im Keller ist. Die Zahlen sind das Ergebnis der strukturellen Korruption und der ewigen Skandale in unserem Land – und sie sind ein klares Zeichen für den großen Handlungsbedarf." Um Vertrauen wieder aufzubauen, müssen man jeden Tag beweisen, "dass Politik auch anders geht", es brauche schärfere Antikorruptionsgesetze und ein "echtes Informationsfreiheitsgesetz".

Die diesjährige repräsentative Befragung von 2.164 Menschen fand zwischen dem 7. September und dem 21. Oktober mittels Telefon- und Online-Interviews statt. (muz, APA, 28.11.2022)