Im Gerichtsprozess um die getötete 13-jährige Leonie W. dürfte alles gesagt worden sein. Auch wenn die drei Angeklagten Zubaidullah R. (24), Ibraulhaq A. (19) und Ali H. (20) längst nicht alles erzählt haben dürften, was in der Nacht am 26. Juni 2021 genau passiert ist. Gegen Freitagmittag gingen die Geschworenen in Beratung. Sie müssen entscheiden, ob es sich im Fall eines Schuldspruches bei dem Delikt um Vergewaltigung mit Todesfolge und schwerer sexuellen Missbrauch oder um Mord beziehungsweise Mord durch Unterlassung gehandelt hat. Mit einem Urteil wird am Freitagabend gerechnet.

Die drei jungen Afghanen sollen Leonie W. damals Ecstasy-Tabletten in ein Getränk gemischt und sie anschließend vergewaltigt haben. So steht es in der Anklage. Das Mädchen überlebte nicht. Sie starb an einer dreifach tödlichen Überdosis und durch Ersticken. Zugetragen habe sich all das in der Wohnung eines Angeklagten in Wien-Donaustadt.

Damit wollen die Angeklagten aber nichts zu tun haben. Allesamt gaben sie zwar zu, Geschlechtsverkehr mit einer Unmündigen gehabt zu haben. Allerdings sei dieser stets einvernehmlich gewesen. Alle hätten danach geschlafen, und dann hätten alle vorbildlich Erste Hilfe geleistet, so die Staatsanwältin. "So kann es nicht gewesen sein, weil sonst würden wir hier nicht sitzen."

Dreifach letale Dosis

Jeder der drei Angeklagten habe Angst vor den Konsequenzen und "würde sich vom sinkenden Schiff retten", so die Anklägerin. So wie sie die gemeinschaftliche Tat begangen haben, würden sie versuchen, diese gemeinschaftlich zu vertuschen. "Widersprüche hat es in dem Verfahren zahlreiche gegeben", sagte die Staatsanwältin. "Ich war fassungslos, was die Angeklagten von sich gegeben haben", meinte sie.

Die Ankläger gehen von folgendem Tatablauf aus: Die Gruppe war mit der 13-Jährigen in die Wohnung des Zweitangeklagten gegangen, dort wurden Drogen konsumiert und gechillt. Um zwei Uhr hatte das Mädchen noch telefonischen Kontakt mit einem Freund, da klang sie noch nicht beeinträchtigt. Danach soll der Drittangeklagte, der angab, der Freund der 13-Jährigen gewesen zu sein, das Mädchen bedrängt haben. Da haben laut Staatsanwältin die drei begonnen, den Tatplan umzusetzen und mischten ihr das Ecstasy in ein Getränk. Es waren mindestens sechs Tabletten mit dem Wirkstoff MDA, aber wahrscheinlich waren es mehr. Laut toxikologischem Gutachten habe das Mädchen die dreifach letale Dosis im Körper.

Fall in Medien breitgetreten

Dann vergingen sich laut Anklage alle drei an ihr. Gegen 4.57 Uhr entstanden Videos, die prozessgegenständlich waren und unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Geschworenen vorgespielt wurden. Da sei der Todeskampf des Mädchens zu sehen. "Das sind Bilder, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt", sagte die Staatsanwältin. Als sich der Zustand der 13-Jährigen verschlechterte, gaben sie ihr noch zu trinken und duschten sie ab. Doch das nutzte alles nichts mehr. Um die Tat zu verschleiern, brachten sie das Mädchen aus der Wohnung ins Freie und lehnten es an einen Baum. Um 6.56 Uhr erst riefen sie die Rettung, da war das Mädchen bereits tot.

Die Verteidiger der drei Angeklagten, Wolfgang Haas, Thomas Nirk, Andreas Schweitzer und Sebastian Lesigang plädierten an die Geschworenen, sich in ihrer Entscheidung nicht von Emotionen treiben zu lassen. Der Verteidiger des Drittangeklagten, Andreas Schweitzer, machte darauf aufmerksam, dass der Fall in den Medien breitgetreten wurde. "Hier wird versucht, eine ganze Gruppe zu kriminalisieren." Die Geschworenen müssten aber objektiv entscheiden. "Das ist ein bisschen schwer, hier nicht mit Emotionen vorzugehen", so Schweitzer. Auch baten die Rechtsvertreter, sich von jedem einzelnen Angeklagten ein Bild zu machen und anhand der Faktenlage zu entscheiden.

Zubaidullah R. drohen im Fall eines Schuldspruchs zehn, 20 Jahre oder lebenslang. Er war zur Zeit der mutmaßlichen Tat nämlich älter als 21 Jahre. Bei Ibraulhaq A. und Ali H. geht es jeweils um bis zu 20 Jahre.

Mehrfach einschlägig vorbestraft

Bei den ersten beiden Angeklagten kommt erschwerend hinzu, dass sie mehrfach wegen Suchtmitteldelikten vorbestraft sind. Ali H. blieb bisher unbescholten. Aber genau wegen der einschlägigen Vorstrafen wollen die Opferanwälte Florian Höllwarth und Johannes Öhlböck noch einmal der Frage nachgehen, ob es sich tatsächlich um eine mögliche Vergewaltigung mit Todesfolge handeln könnte – wie es in der Anklage steht – oder doch vielmehr um einen mutmaßlichen Mord.

Der Strafrahmen würde zwar gleich bleiben. Aber für die Verteidiger geht es dabei um Grundsätzliches: Aus ihrer Sicht müssten demnach zumindest zwei der Angeklagten gewusst haben, dass eine derartige Menge an Drogen für Leonie W. tödlich sein könne. Diese Frage müssen nun die Geschworenen beantworten.

Einer der Angeklagten anlässlich der Fortsetzung des Prozesses um die getötete 13-Jährige wegen Vergewaltigung mit Todesfolge im Straflandesgericht.
Foto: APA/Eva Manhart

Ansonsten hat sich seit Prozessbeginn Ende September nicht allzu viel verändert. Keiner der drei zeigte im Laufe der bisher sechs Verhandlungstage je Reue im Gerichtssaal. Selbst dann nicht, als ihnen ein kurzer Ausschnitt der mutmaßlichen Tat unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgespielt wurde. Zu sehen sei darin eine nackte Leonie W., die sich da bereits im Todeskampf befunden habe. Und Ali H., nur mit Boxershorts bekleidet, der eine Flüssigkeit von ihrem Oberschenkel wischt. Das Video hatten Ermittler in der iCloud von Zubaidullah R. sichergestellt.

"Ich habe bei Leonie auch Tränen gesehen"

Die Angeklagten blieben aber bei ihren Versionen des Geschehenen, obwohl diese teils stark von den Ermittlungsergebnissen abwichen. Das Dreiergespann belastete sich vor allem gegenseitig. Und manches versuchte man auch ungeschehen zu machen.

So schilderte Ibraulhaq A. noch in seiner Polizeieinvernahme, dass Leonie W. vor seinen Augen vom ältesten Angeklagten vergewaltigt worden sei. "Leonie war zu diesem Zeitpunkt komplett hilflos, hat mich angesehen und meine Hand gehalten", schilderte er. "Ich habe bei Leonie auch Tränen gesehen." Warum er nichts unternommen habe? "Das geht mich nichts an, es war nicht meine Freundin."

Vor Gericht gab der junge Afghane dann allerdings an, dass er das alles bloß im "Schock" erzählt und in jener Nacht in seiner damaligen Einzimmerwohnung vor allem geschlafen und nichts mitbekommen habe.

Belastung durch "Dealer"

Ähnlich verhielt sich auch ein Zeuge, der zwischenzeitlich als vierter Beschuldigter in der Causa galt. Der ebenfalls junge und inhaftierte Afghane Sahel S. hatte Zubaidullah R. knapp vor der mutmaßlichen Tat nicht nur 200 Ecstasy-Tabletten verschafft. Der "Dealer" belastete den besagten Angeklagten obendrein auch massiv.

Sahel S. sagte einmal vor Polizeibeamten aus, dass er in den Morgenstunden rund um Leonie W.s Tod mehrfach von Zubaidullah R. angerufen worden sei. Der Angeklagte sei "sehr nervös und aufgeregt" gewesen, da er dem Mädchen Drogen gegeben habe und "sie jetzt nur mehr dasitzt, nichts redet und ihr Herz nicht mehr klopfen würde", erklärte er. Ihm sei da auch klar gewesen, dass das für das Mädchen zu viel gewesen sei.

Ein versuchter Rückzieher

Im laufenden Prozess wollte Sahel S. davon aber nichts mehr wissen, erzählte, dass er bei seiner Einvernahme unter starkem Drogeneinfluss gestanden sei. Das konnten allerdings die damals anwesenden Beamten sowie auch die Dolmetscherin vor Gericht nicht bestätigen. Insgesamt soll Sahel S. damals einen normalen Eindruck gemacht haben. Dessen Aussagen sind für den Prozess von Bedeutung, da bis heute die zentrale Frage nicht lückenlos aufgeklärt werden konnte, wer Leonie W. die Drogen ins Getränk gemischt und wer von den dreien noch davon gewusst haben könnte.

Alle drei Angeklagten entschuldigten sich in ihren Schlussworten bei Österreich und der Familie des Mädchens. "Hätte ich gewusst, dass ich falsche Freunde habe, hätte ich sie nie dort hingebracht", meinte etwa der Drittangeklagte. (Jan Michael Marchart, red, 2.12.2022)