Nun könnte es doch geschehen. Noch letztes Jahr wollte die australische Regierung unter Premier Scott Morrison mit allen Mitteln verhindern, dass das Great Barrier Reef in die rote Liste des bedrohten Erbes aufgenommen wird. Eine Kommission der Unesco hatte im Juli letzten Jahres eine Rückstufung des Zustandes des Riffs von "schlecht" auf "sehr schlecht" und eine Aufnahme in die rote Liste empfohlen.

Australiens Politik reagierte heftig: Zuerst kritisierte die australische Umweltministerin Sussan Ley, nicht vorab informiert worden zu sein, später nannte der Senator James Paterson die Empfehlung der Rückstufung einen Racheakt Chinas wegen des damals schwelenden Handelskonflikts. Dabei waren die von den Fachleuten präsentierten Zahlen alarmierend: Etwa die Hälfte der Korallen des 2.400 Kilometer langen Riffs sei bereits abgestorben, bis 2050 könne ein Großteil der Korallen tot sein. Die australische Regierung reagierte, indem sie Botschafterinnen und Botschafter aus 13 Ländern auf Schnorcheltrips zum Riff einlud – um zu beweisen, dass alles in Ordnung sei.

Wirtschaftsfaktor

Für Australien ging es um viel: Einerseits ist das Riff mit über 60.000 Arbeitsplätzen im Tourismus und darüber generierte jährliche Einnahmen von fünf Milliarden Dollar in Zeiten vor der Pandemie ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Andererseits trieb Morrison den Ausbau der australischen Kohleindustrie voran und zeigte sich bei Klimaschutzmaßnahmen mehr als zurückhaltend. Hier liegt das vielleicht größere Problem: Ein Schutz des Riffs wäre nicht allein durch lokale Schutzmaßnahmen zu erreichen, denn Korallen reagieren sensibel auf Temperaturveränderungen. Ohne ein Aufhalten des Klimawandels sind andere Schutzmaßnahmen wenig erfolgversprechend.

Die Regierung Morrison versuchte, eine Diskussion über den Klimawandel im Sinn der Kohleindustrie zu vermeiden, und das mit Erfolg. Die Unesco folgte der Empfehlung 2021 nicht, dem Riff blieb eine Aufnahme in die rote Liste verwahrt.

Bis 2050 könnte ein Großteil der Korallen des Great Barrier Reef abgestorben sein, warnen Fachleute.
Foto: APA/AFP/SARAH LAI

Klimawandel und Wasserqualität

Inzwischen hat Australien mit Anthony Albanese einen neuen Ministerpräsidenten und eine neue Klimapolitik, und das Great Barrier Reef tritt erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Im März unternahmen Expertinnen und Experten eine zehntägige Expedition zum Riff, deren Bericht nun veröffentlicht wurde. Das Fazit: Der Klimawandel stelle eine "ernsthafte Bedrohung" für die Werte dar, die zur Eintragung des Riffs als Naturerbe im Jahr 1981 führten, wie Eleanor Carter von der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) und der Unesco-Vertreter Hans Thulstrup nun erklärten. Doch nicht nur das Klima wurde als Problem identifiziert, auch die Wasserqualität wurde bemängelt. Zwar wurden die von der neuen Regierung auf den Weg gebrachten Anstrengungen zum Schutz des Riffs und zur Verbesserung der Wasserqualität, für die immerhin eine Milliarde australische Dollar, umgerechnet fast 650 Millionen Euro, aufgewendet werden, begrüßt, doch die Reduktion von Dünger aus der Landwirtschaft gehe zu langsam.

In dem Bericht empfehlen deshalb die Expertinnen und Experten, das Great Barrier Reef als gefährdet einzustufen. Zugleich wurde der australischen Regierung eine Liste von zehn Maßnahmen übergeben, die besonders dringend seien.

Klimaschutzmaßnahmen reichen nicht

Deren Klimapolitik ist im internationalen Vergleich durchaus ehrgeizig: Bis 2030 soll der CO2-Ausstroß gegenüber dem Jahr 2005 um 43 Prozent reduziert werden, mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Doch das 1,5-Grad-Ziel wird auch so verfehlt werden. Selbst zwei Grad Erderwärmung wären für das Riff ein Problem, weshalb der Bericht stärkere Klimaschutzmaßnahmen einfordert.

Das Great Barrier Reef hat eine Ausdehnung von 2.400 Kilometern und ist aus dem Weltall sichtbar.
Foto: IMAGO/imagebroker

Der Bericht hätte eigentlich schon im Mai erscheinen sollen und als Grundlage für eine offizielle Einschätzung der Unesco dienen, die um Stellungnahmen der australischen Regierung ergänzt wird – gemäß der Forderung der inzwischen aus dem Amt geschiedenen australischen Umweltministerin Ley, die sich ja eine Einbindung in die Prozesse gewünscht und die Expedition selbst angeregt hatte. Das in Russland geplante Treffen des Naturerbekomitees, bei dem auf Basis des neuen Berichts erneut über die Aufnahme des Riffs in die rote Liste entschieden werden sollte, wurde wegen des Ukraine-Krieges abgesagt. Es soll nun in der ersten Hälfte des nächsten Jahres stattfinden.

Korallenbleiche

Der Bericht bestätigt nun den besorgniserregenden Zustand des Riffs. Vor allem die Korallenbleiche ist ein Problem, auch wenn sich Korallenriffe davon bei günstigen Bedingungen wieder erholen können. Kürzlich gab es positive Nachrichten vom Great Barrier Reef, nachdem ein Rekordwachstum an Korallen beobachtet worden war. Doch gerade die sich nun stark vermehrende Koralle gilt als besonders temperaturempfindlich. (Reinhard Kleindl, 28.11.2022)