Was würden Sie gerade mit 5600 Euro anfangen? Einen Gebrauchtwagen kaufen oder lieber 600-mal ins Kino gehen? Oder doch fünfeinhalb Jahre mit sämtlichen Öffis in Österreich fahren? Anderer Vorschlag: Warum nicht eine ganze Fußball-WM in einem Wohnwagen verbringen? Oder auf einem steinharten Bett in einem dreckigen Baucontainer? Mit Glück kriegen Sie vielleicht noch ein Exemplar in der "Fan Village Free Zone". Was klingt wie eine Anarcho-Gegend in der Wüste, ist eine Unterkunft-Notlösung, die zahllosen Fans die WM verhagelt hat.

Als es im Laufe des Jahres schien, als würden die verfügbaren Hotelzimmer in Doha nicht reichen, sollten einige dieser Fan Villages Abhilfe schaffen: in unterschiedlichen Improvisationsgraden aus dem Boden gestampfte Unterkünfte, minimaler Komfort zu einem verhältnismäßig geringen Preis. Das hieß in den meisten Fällen zwar immer noch rund 200 Euro pro Nacht, doch die Alternativen waren deutlich happiger. Buchte man gestern über die offizielle WM-Plattform ein Zimmer für die Nacht, kostete das mindestens 325 Euro.

"Als wir angekommen sind, waren noch Werkzeuge im Zimmer", erzählt der Argentinier Gino. Er verbringt einige Nächte in der Containerstadt in der Free Zone, es sind nicht seine schönsten. Gino zeigt Fotos und Videos von seinem völlig verdreckten Zimmer, im Regal liegen Silikonspritze, Lampenschirm und Handschuhe. Bis vor kurzem lebten hier offenbar Arbeiter. "Zumindest haben die Sachen funktioniert, das Areal ist nett. Aber ich habe noch niemanden gehört, der superhappy war", sagt Gino. Vielmehr würden sich die meisten Gäste beschweren: "Die Angestellten waren freundlich, aber offensichtlich von der Situation überfordert."

Sollten Sie einmal zu gut gelaunt sein und einen Dämpfer brauchen: Lesen Sie ein paar Horrorgeschichten auf einem der gängigen Bewertungsportale. Fußballfans erzählen von achtstündigen Check-in-Wartezeiten, Neuankömmlinge erhalten falsche Schlüssel und spazieren nächtens in das Zimmer nichtsahnender Gäste, Duschen überfluten den ganzen Container. Viele Gäste bekamen trotz Reservierung keinen Container – oder einen, in dem WC und Badezimmerarmaturen noch nicht installiert waren. Das WM-Organisationskomitee verweist auf den privaten Betreiber und hat zugesagt, Fans ihre Ausgaben zurückzuerstatten und Alternativquartiere gratis zur Verfügung zu stellen.

Die "Caravan City", ein fader Hort der Zweckmäßigkeit.
Foto: Privat

Ortswechsel. Die Fan Village Caravan City liegt einigermaßen zentral westlich des Stadtzentrums, die Umzäunung ist mit idyllischen Sujets bespannt: bunte Wohnwägen, Bäume, Briefkästen, Campingtischchen. Die Realität ist deutlich desolater. Wo Google Maps noch ein Umzugsunternehmen und eine Mall vermutet, stehen nun endlose Reihen von Wohnwagen in Weiß, Hellgrau und Hellbeige. Es sind nicht die neuen Zigtausend-Euro-Raumschiffe, eher die Ausgabe "Trailerpark, ländliches Alabama".

Entlang der Schotterstraßen sieht es aus wie rund um den GP von Spielberg, nur mit deutlich weniger Orange, Alkohol und Charakter. Im Hintergrund brummen Klimaanlagen. Am Sonntagnachmittag ist die Caravan City eine Geisterstadt. Es ist kein Ort zum Verweilen. Wilson aus Brasilien stapft einsam über eine riesige Betonfläche. "Es ist gut", sagt er, er habe Handtücher und ein Bett. Wilson ist froh, einen Wohnwagen nahe beim Ausgang zu haben. "Die, die einen weiter hinten erwischt haben, müssen immer per App ein Tuktuk bestellen, um rauszukommen." Wie in allen Fan Villages gibt es einen großen Public-Viewing-Bereich. Ein paar Gäste sitzen an den knapp 20 Essensständen, die nur einen kleinen Bruchteil von dem verkaufen, was auf der Karte steht. Verhungern muss trotzdem niemand, das Gelände hat sogar einen Supermarkt. Es gibt internationale Süßigkeiten und Snacks, diverse Antialkoholika und bemerkenswert viele Kondome.

Tagsüber sind die Gemeinschaftsbereiche und Essensstände auch während Matches verlassen.
Foto: Privat

Nicht alle sind hier so happy wie Wilson, der auch seinen dreistündigen Check-in entspannt hingenommen hat. Online beklagen sich Entrüstete hier aber eher über das Management als über die Wohnwagen-Interieurs. Auch in den bunten Containerreihen der Fan Village Rawdat al Jahhaniya bei der riesigen Mall of Qatar und dem WM-Stadium Ahmed bin Ali ist die Versorgung ein Problem. "Um ein Uhr früh hat jemand angeklopft und meine Frau gefragt, warum sie hier ist", erzählt der Kanadier Adrian. In fünf Tagen habe noch niemand geputzt, sogar Klopapier müsse er selber organisieren. Das Bett ist eher ein Brett, Adrian hat schon zusätzliche Polsterung gekauft. Sein erstes Zimmer in den endlosen Containerreihen war überflutet, den Kühlschrank musste er selbst installieren, Handtücher werden nicht gewechselt, und und und. "Die meisten versuchen, die Mängel zu ignorieren, sonst wäre das hier ein sehr trauriger Ort", sagt Adrian. Immerhin: Drei Stück Wäsche pro Tag werden gratis gewaschen, es gibt Fußballplätze.

Das wirklich Bittere an der Sache: Der vermeintliche Hotelzimmermangel hat sich mittlerweile als Schimäre herausgestellt, es gäbe derzeit hunderte freie Zimmer – bis nach der Gruppenphase aber nur zu völligen Mondpreisen. (Martin Schauhuber aus Ras Abu Fontas, 28.11.2022)