Die langjährige AHS-Direktorin Heidi Schrodt zeigt im Gastblog, wieso eine Förderung von Autonomie der Bildungseinrichtungen dringend notwendig ist.

Österreich gehen die Lehrerinnen und Lehrer aus. Das ist zwar nicht neu, doch hat der Lehrermangel inzwischen alarmierende Ausmaße angenommen. Der Bildungsminister hat auf diesem Hintergrund jüngst eine 600.000 Euro teure Werbekampagne gestartet, mit dem Ziel, den Beruf attraktiver zu gestalten und auch Quereinsteigende dafür zu begeistern. "Klasse Job" nennt sich das Unterfangen. Der Initiative sei Erfolg gewünscht, doch ob sich dieser ohne grundlegende Änderungen im System, das schwerwiegende strukturelle Mängel aufweist, einstellen wird, muss bezweifelt werden.

Sorgt die von Bildungsminister Polaschek angekündigte Job-Initiative für eine langfristige Lösung?
APA/ROLAND SCHLAGER

Doch nicht nur an Lehrenden mangelt es. Seit Jahren finden sich immer weniger Bewerberinnen und Bewerber für Schulleitungen, an manchen Schulen gab und gibt es keine einzige Bewerbung. Nun soll eine Dienstrechtsnovelle Abhilfe schaffen, indem auch Personen ohne explizite Lehrbefähigung die Funktion der Schulleitung übernehmen können. Voraussetzung dafür ist, dass die Bewerberin oder der Bewerber mindestens zehn Jahre "erfolgreich" (so in den Erläuterungen zum Gesetz) im Schuldienst tätig war und ein einschlägiges Lehramt für die betreffende Schulart aufweisen kann. Mit dieser Änderung sollen vor allem engagierte Lehrpersonen mit abgeschlossenem Studium, die seit Jahren in der Schule tätig sind, aber keine Lehrbefähigung haben, motiviert werden, sich für einen Direktorsposten zu bewerben.

Gegen diese Neuerung ist nichts einzuwenden. Management- und Führungsqualitäten sind für die Leitung einer Schule als Voraussetzung wichtiger als eine Lehrbefähigung. Allerdings: Der Andrang wird sich trotz dieser Änderung auch künftig in Grenzen halten, davon kann man mit Sicherheit ausgehen. Die Gründe dafür sind im System zu suchen. Österreichs Schule ist seit jeher zentralistisch ausgerichtet, mit einer Verordnungs-,  Regulierungs- und Kontroll(un)kultur, die im internationalen Vergleich ihresgleichen sucht. Mit dieser systemisch bedingten Regulierungsdichte hängt zusammen, dass die Bürokratie immer noch wächst und im schulischen Alltag oft kaum noch zu bewältigen ist.

Wie in anderen Bereichen auch wurde dieser Missstand im Zusammenhang mit Covid einer breiteren Öffentlichkeit sichtbar gemacht, und das Personal in unseren Schulen wurde an seine Grenzen gebracht. Besonders betroffen waren – und sind – die Schulleiterinnen und Schulleiter. Dazu muss man wissen, dass im Bereich der Pflichtschulen in Österreich administratives Personal standardmäßig gar nicht vorgesehen ist, also auch keine Sekretariate. Das gibt es in kaum einem vergleichbaren (OECD) Land. Zwar versuchen einige Bundesländer inzwischen, diesen Missstand zu beheben, doch sind wir noch weit davon entfernt, dass jede Pflichtschule Österreichs über eine Sekretariatskraft verfügt.

Fehlender Handlungsspielraum in der Schulleitung

In den Bundesschulen gibt es zwar diese Sekretariatskräfte ebenso wie administrative Kräfte mit Lehrpflichtermäßigung, doch sind dies einerseits viel zu wenige und andererseits haben sie keine Führungskompetenz. Die liegt nach wie vor bei den Schulleiterinnen und Schulleitern, etwa hinsichtlich der Lehrerbeurteilung, was dazu führt, dass an großen Bundesschulen die Führungsspanne nicht selten 100 ist und sogar mehr. Mitarbeitergespräche können da natürlich nur sehr selektiv stattfinden, ebenso wie etwa Teamsitzungen. Jahrzehntelange Bemühungen seitens der österreichischen Schuldirektorenverbände haben bislang zu keinen erheblichen Veränderungen geführt, mit dem Resultat, dass angesichts der überbordenden Bürokratie zur eigentlichen Aufgabe, der Führung einer Schule, oft kaum noch Zeit bleibt. 

Dabei ist sich die Bildungsforschung einig, dass der Erfolg einer Schule ganz wesentlich von ihrer Führungskraft abhängt. Gute Schulen bestehen idealerweise aus guten Pädagoginnen und Pädagogen sowie guten Führungskräften, welche motivieren, Vertrauen schaffen und klare Ziele vorgeben. Die oberste Führungskraft, der Direktor oder die Direktorin, sollte aber nicht die einzige Person mit Führungskompetenz innerhalb einer Schule sein. Große Schulen brauchen nicht nur erheblich mehr administratives Personal als jetzt, sondern auch mehr Personen mit Führungs- und Entscheidungskompetenz. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist auch, dass unsere Schulen endlich eine Schulautonomie erhalten, die diesen Namen verdient. Wenn, wie vor wenigen Jahren geschehen, die Einführung von einigen kleineren, weiteren schulautonomen Handlungsmöglichkeiten mit einer 100-seitigen Umsetzungsbroschüre des Ministeriums einhergeht, wird deutlich, dass wir noch weit von einem Kulturwandel entfernt sind.

Mehr Personal, weniger Bürokratie

Ein Kulturwandel ist Voraussetzung für gelingende Schulen, die den enormen Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden können. Was also tun?  Die politisch Verantwortlichen sind gefragt, allem voran der Bildungsminister. Zuallererst gilt es, die Schulen von der überbordenden Bürokratie zu befreien und endlich auch das administrative Personal erheblich aufzustocken. Ebenso braucht es mehr Management- und Führungskräfte innerhalb der Schulen als jetzt. Mittelfristig muss der Weg zur echten Schulautonomie gehen, mit hoher Verantwortungskompetenz an den einzelnen Standorten, bei gleichzeitiger Dezentralisierung und Verzicht auf Regulierungen bis in den kleinsten Bereich.  

Der erste und notwendige Schritt könnte und sollte ein Leitbild für Schuldirektorinnen und Schuldirektoren sein, und zwar für alle Schultypen, Pflichtschulen (Landesschulen) und Bundesschulen. An dessen Erarbeitung sind Schulleiterinnen und Schulleiter aus der Praxis einzubeziehen, wo viel Wissen darüber vorhanden ist, was es braucht. Und auf der Grundlage eines Leitbilds kann dann ein Systemwechsel in die Wege geleitet werden.

Die in der aktuellen Dienstrechtsnovelle vorgesehene Erleichterung hingegen ist nichts als ein Tropfen auf den heißen Stein. Er wird nichts bewirken, außer vielleicht  ein paar zusätzliche Bewerbungen von engagierten Personen. (Heidi Schrodt, 30.11.2022)

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