Harry Maguire bekommt laufend sein Fett ab.

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Auch Iran-Fans machten sich im WM-Auftaktspiel über Maguire lustig.

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Rund 7000 Kilometer trennen Manchester und Doha. Aber die Dämonen folgten Harry Maguire auch zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar. Bereits im Auftaktspiel präsentierten Iran-Fans ein Plakat, wonach England den WM-Titel vergessen könne – "wegen Harry Maguire". Seine Abwehrarbeit verbreite Angst – im eigenen Team. Manchester Uniteds Innenverteidiger hat sich zum Gespött der Fußballwelt entwickelt. Auf dem Spielfeld, online, einfach überall.

Fanliebling 2018

Vor vier Jahren war das noch undenkbar. Maguire hatte maßgeblichen Anteil daran, die Three Lions bis ins WM-Semifinale zu führen. Im Viertelfinale gegen Schweden (2:0) köpfelte er das Führungstor. Der Schnappschuss, als er sich nach dem Spiel locker-lässig mit seiner Freundin Fern Hawkins unterhielt und diese ihn verliebt anblickte, wurde zum Meme-Klassiker. Teamkollege Kyle Walker scherzte, dass er ihr wohl die Kunst des Kopfballspiels erklärt habe.

England war wieder wer und Maguire ein Kultkicker. 2019 wechselte er für kolportierte 87 Millionen Euro zu Manchester United und mutierte zum teuersten Verteidiger der Welt. 2021 folgte das EM-Finale, Maguire wurde ins Team des Turniers gewählt.

Wann die Stimmung kippte, ist schwer zu rekonstruieren. Im Sommerurlaub 2020 wurde er auf der griechischen Insel Mykonos wegen einer mutmaßlich tätlichen Auseinandersetzung festgenommen. Er wiederum dachte, entführt zu werden. "Ich hatte Angst um mein Leben. Sie haben mir auf die Beine geschlagen und gesagt, dass meine Karriere vorbei sei", kritisierte er die Polizei. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten und zehn Tagen verurteilt, legte dagegen aber Berufung ein.

Krise mit United

Sportlich ging es nach der EM bergab. Der Vizemeister quälte sich durch die Premier League, hinkte seinen Ansprüchen als Weltklub hinterher. Und damit auch Maguire. Das Datenportal WhoScored listet ihn mit der Durchschnittsnote 6,65 nur als zwölftbesten United-Spieler der vergangenen Saison auf, das Spieljahr davor beendete er noch auf Rang fünf (7,05).

Also ja, der Engländer glänzte nicht mit seinen Leistungen, ihm fehlte es wie vielen seiner Teamkollegen an der nötigen Konstanz. Er hatte Probleme, sich auf Ralf Rangnicks Spielweise umzustellen. Die hohe Ablösesumme schürte hohe Erwartungen, die er als Kapitän nicht dauerhaft erfüllen konnte. Dementsprechend stand er zunehmend in der Kritik.

In den sozialen Medien verbreitete sich in dieser Zeit ein Trend: Gezeigt wird ein Video, in dem Maguire tollpatschig agiert. Der Moment des Scheiterns wird durch einen schrillen "Harry Maguire"-Kommentar und ironisch mit Coolios "Gangsta’s Paradise" untermalt. Bald war ein Hype ausgebrochen, um jeden Fehler Maguires online zu verhöhnen. Egal ob schlechtes Stellungsspiel, schlechter Pass oder schlechtes Dribbling: Man konnte und kann bis heute sicher sein, die Szene noch am selben Tag auf Tiktok zu finden.

Grenzüberschreitung

Um klarzustellen: Natürlich muss sich ein Fußballprofi nach schlechten Leistungen Kritik gefallen lassen. Das ist Part of the Game. Aber im Falle Maguires artete es zunehmend aus. Als sich der Innenverteidiger nach der 0:2-Niederlage gegen den Stadtrivalen und späteren Meister Manchester City auf Twitter entschuldigte, erhielt er 2.903 Tweets mit Beschimpfungen.

Im April erhielt er eine Bombendrohung. Die Polizei durchsuchte sein Haus. "Da ist eine Grenze erreicht", sagt Maguire. Er könne mit Kritik nach Fehlern leben, aber "wir sind auch nur Menschen. Ich habe eine Familie." Arsenal-Legende Martin Keown bekrittelte den zusehends "respektlosen" Tonfall von Anhängern und TV-Experten gegenüber Maguire. "Manche Kommentare fallen in die Kategorie Missbrauch."

Auch im Nationalteam geriet Maguire in die Schusslinie. Vor dem Test gegen die Elfenbeinküste (3:0) wurde er im Wembley von eigenen Fans ausgebuht. Teamchef Gareth Southgate bezeichnete das Verhalten als "absoluten Witz. Er hat viel für uns geleistet."

In der Nations-League-Partie gegen Deutschland (3:3) verschuldete Maguire einen Elfmeter, bei United verlor er seinen Stammplatz. Southgate setzt trotz zunehmenden Drucks aber weiterhin auf seinen Schützling. "Er wird erst geschätzt werden, nachdem er seine Karriere beendet hat." Gegen die USA war Maguire der am besten bewertete Spieler (7,57). Am Dienstag (20 Uhr, live ORF 1) spielt England gegen Wales. (Andreas Gstaltmeyr, 29.11.2022)