Nichts schadet einer Partei mehr als der Eindruck bei den Mitgliedern und noch stärker in der Öffentlichkeit, dass in den Führungsgremien ein Machtkampf um die Spitzenpositionen auf Biegen und Brechen tobt.

Dass die ÖVP 1966 die absolute Mehrheit im Nationalrat errang, wäre ohne die Spaltung der SPÖ durch den von Machthunger getriebenen früheren Gewerkschaftschef und Innenminister Franz Olah kaum möglich gewesen. Dass heute – in einer innen- und außenpolitisch unvergleichlich gefährlicheren Situation und noch dazu in der Opposition – die SPÖ von einer ähnlichen Gefahr bedroht wird, ist auch diesmal vor allem das Verdienst eines einzigen vom Machtrausch getriebenen Genossen: Hans Peter Doskozil.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) ist auch nach vier Jahren der Intrigen zäh und kämpferisch geblieben.
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Der vom Polizisten zum Verteidigungsminister und zum Landeshauptmann des Burgenlandes rasant aufgestiegene Politiker will auch nach der fünften Kehlkopfoperation, aber mit ungebrochener Ambition, Pamela Rendi-Wagner als Parteivorsitzende noch vor den nächsten Nationalratswahlen stürzen.

Diesem Ziel diente das in der Geschichte der Zweiten Republik einmalige Projekt: durch eine von der burgenländischen SPÖ bestellte und bezahlte Umfrage zu beweisen, dass Doskozil als fiktiver SPÖ-Spitzenkandidat um fünf Prozent mehr Stimmen als Rendi-Wagner erhalten würde. Mit dieser Taktik ("Beinschab-Tool") hatte ja Sebastian Kurz mit seiner Mannschaft Reinhold Mitterlehner überrumpelt und die Kanzlerschaft erobert.

Aber Doskozil ist nicht Kurz. Wie ein SPÖ-Grande im Gespräch mit mir bemerkte, sei es ein schwerer handwerklicher Fehler des Doskozil-Teams gewesen, die Umfrage selbst zu veröffentlichen. Außerdem könne Doskozil mit seiner schwachen Stimme und gegen den Widerstand der Wiener Partei und die Gewerkschaften kaum eine bundesweite Karriere als Kanzlerkandidat aufbauen.

Gewaltiges Medienecho

Seine offene Illoyalität, nicht nur gegenüber der ersten weiblichen SPÖ-Parteivorsitzenden, sondern vor allem gegenüber der eigenen Partei am Vorabend wichtiger Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg und Kärnten, ist ein beispielloser Vorgang. Die letzten Umfragen und auch das gewaltige Medienecho zeigen, dass dieser Weg nur zur weiteren Selbstzerfleischung der Partei führt und den Boden für den ersten Platz der FPÖ nach den Nationalratswahlen vorbereitet.

Und Rendi-Wagner ist nicht Mitterlehner. Sie ist auch nach vier Jahren der Intrigen aus dem Doskozil-Lager zäh und kämpferisch geblieben. Die persönlich makellose und gebildete Quereinsteigerin hatte Politik ohne Unterstützung in der Schlangengrube der SPÖ-Zentrale und auf dem verminten Schlachtfeld gegen einen jungen "Supermann" lernen müssen. Rendi-Wagner ist wohl auch deshalb bisher unfähig gewesen, in vier Jahren ein verlässliches und kompetentes Team um sich aufzubauen.

Doskozils Trick mit der Umfrage scheint sich als ein Pyrrhussieg zu erweisen.

Rendi-Wagner kann allerdings ihre Chancen in der Bundespolitik nur durch einen konsequenten und glaubhaften Kurs in der Migrations- und Außenpolitik nützen –und sie muss den für die SPÖ selbstmörderischen innerparteilichen Intrigen (nicht nur aus dem Burgenland!) ein Ende setzen. (Paul Lendvai, 29.11.2022)