Eine große Zahl an Filmarbeitern und -arbeiterinnen wünscht sich endlich familienfreundliche Arbeitszeiten, faire Bezahlung und diskriminierungsfreie Zusammenarbeit.

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Vor etwas mehr als vierzig Jahren machte sich Österreichs Filmbranche für internationale Produktionen wettbewerbsfit, indem die 60-Stunden-Woche kollektivvertraglich festgelegt wurde. Nun wurden mit demselben Ziel im Ministerrat eine neue Standortförderung (Fisa+) und eine Novelle des bisherigen Kinofördermodells (Öfi+) beschlossen, was der heimischen Bewegtbildbranche, die in jüngster Zeit oft in der Kritik stand, frischen Wind und viel Arbeit verspricht.

Von der "modernsten Filmfinanzierung Europas" schwärmt Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Obmann des Fachverbands Film- und Musikwirtschaft der WKO im Gespräch. Die Standortförderung inkludiert einen "Green Producing"-Klimabonus sowie einen Bonus für Projekte mit hohem Frauenanteil für alle Bereiche der Industrie – von Kino über TV und Streaming bis hin zu Virtual Reality. Ein Plus von bis zu 60 Millionen Euro an jährlicher Finanzierung erwartet Dumreicher-Ivanceanu ab 2023.

Viele Problembereiche

Angesichts dieser Wachstumsaussichten wäre es an der Zeit, die bestehenden Arbeitsbedingungen zu überdenken. Denn nicht nur die langen Arbeitszeiten plagen Angestellte der Branche, auch prekäre Anstellungsverhältnisse sowie die durch #MeToo und die Debatte um Ulrich Seidl aufgezeigten Missstände an Filmsets: autoritäre Strukturen, Diskriminierung, Probleme bei der Einhaltung der Aufsichtspflicht. Eine aktuelle Studie aus der deutschen Filmbranche beklagt zudem den Personalmangel im Nachbarland und aufgrund dessen ein hohes Frustrationspotenzial. Und die BBC berichtete jüngst darüber, dass die britische Filmbranche für Arbeiterkinder quasi unerreichbar sei, da viele Jobs "in der Familie" bleiben würden und es an niederschwelligen Ausbildungsangeboten mangle.

Gleiches ist auch in Österreich zu konstatieren. Vor diesem Hintergrund hat DER STANDARD bei Vertreterinnen und Vertretern der Branche nachgefragt, welche Initiativen gesetzt werden müssten, um die Branche nachhaltig zu stärken.

Posten per Absprache

Der Jungproduzent Chris Dohr zeichnet kein rosiges Bild der Verhältnisse, in denen er während der letzten zehn Jahre beruflich Fuß gefasst hat. Ohne strukturelle oder familiäre Beziehungen zur Branche sei es schwer gewesen, Anschluss zu finden, sagt der 34-Jährige. Ist man dann drin, würden Posten fast ausschließlich per Absprache vergeben. Die Freunderlwirtschaft ziehe sich durch sämtliche Gremien, was notwendige Veränderungen bremse.

Produzent Alexander Glehr sieht die wiederholte Zusammenarbeit von eingespielten Teams positiver, doch er muss Dohr in einem Punkt zustimmen: Filmjobs würden oft nicht ausgeschrieben, was den Einstieg für manche erschwere. Gerade Frauen hätten es schwer gehabt vor der Einführung diverser Frauenförderungen 2017 in die männerdominierten Crews hineinzukommen, denn diese blieben gerne unter sich, ergänzt Ebba Sinzinger vom Frauenvernetzungsverein FC Gloria.

#MeToo: Aufklärung und Sensibilisierung

In streng hierarchisch organisierten Filmteams, oft Filmfamilien genannt, die von einer hohen gegenseitigen Abhängigkeit geprägt sind, kann es ebenso schnell zu kreativen Höhenflügen wie zu Grenzverletzungen kommen. Gegen Letztere traut sich aus Angst vor Jobverlust oder Drehverzögerungen kaum jemand etwas zu sagen, meint Daniel Sanin, Berater und Psychologe bei der Anlaufstelle #we_do! Oft herrsche Unwissen über Begriffe, Rechte und Pflichten.

Eine Schulung zu Drehbeginn kann hier Sensibilisierung schaffen. Dringend notwendig seien zudem Evaluationen nach Filmabschluss, denn sie sind für die Produktionsfirmen und die Förderstellen eine Möglichkeit, die Einhaltung des seit 2021 an die Fördermittel für Kinofilme gebundenen "Code of Ethics" vom Österreichischen Filminstitut (Öfi) zu kontrollieren. Bislang wurde dies nicht geprüft, laut Iris Zappe-Heller vom Öfi wird dies aber kommen. Im Zuge der Diskussionen über Grenzverletzungen setzt das Öfi auf Prävention und fördert neue Stellen: Intimacy-Coaches für Intimdrehs und externe Ansprechpersonen, die in rechtlichen Fragen aufklären und im Umgang sensibilisieren, sind geplant. Auch das angestrebte klimaneutrale Arbeiten braucht Expertise und damit Aus- und Fortbildungen.

Aus- und Weiterbildungsoffensive

Und der Fachkräftemangel? Dem soll entgegengewirkt werden, ohne die Zielsetzungen in Geschlechterparität und Diversität zu vernachlässigen. Hier existieren verschiedene Ideen. Die Gewerkschaft für Filmarbeiter und -arbeiterinnen Younion schlägt Lehrberufe vor, um jüngere Menschen mit diversen Hintergründen für die Filmarbeit zu begeistern. Das Öfi votiert für bezahlte Praktika im Filmbereich.

In der Schweiz gibt es etwa mit Focal ein Weiterbildungsinstitut für verschiedenste Filmberufe, in Österreich fehlt Derartiges bislang. Die heimischen Film- und Fachhochschulen decken bei weitem nicht alle Berufssparten ab, es mangelt an Ausbildungen im technischen und ökonomischen Bereich. Der Produzent Heinrich Ambrosch von Satelfilm hat deshalb gemeinsam mit Terra Mater das International Screen Institute initiiert, ein Weiterbildungsprogramm für ökonomische Filmberufe. Eine wirtschaftliche Vorbildung sei hier wichtig, doch an Wirtschaftsuniversitäten müsse die Filmbranche noch präsenter werden, sagt Ambrosch.

FC Gloria hält bereits Infoveranstaltungen an Schulen ab, um junge Frauen für den Film zu begeistern, denn in vielen Filmberufen überwiegen Männer: Derzeit liegt der Frauenanteil in der Regie bei etwa 30 Prozent, in der Produktion bei 20 Prozent. Ton, Kamera und Licht sind männer-, Maske und Kostüm frauendominiert. Dies zeigt sich auch im kollektivvertraglich geregelten geringeren Gehalt (was jedoch auch die Beleuchter betrifft) und der hohen Zahl an Übergriffen in körpernahen, weiblichen Berufssparten.

Aus für "Cowboy-Vereine"

"Die Riesenrevolution wäre", sagt Sinzinger, "die Verbindung von Sorge- und Filmarbeit." Dass die Branche familienfreundlicher werden muss, darin sind sich alle Befragten einig. Früher sei die Filmszene, so ein Befragter, ein "Cowboy-Verein" gewesen: vielbeschäftigt, ausgelassen, männlich und nur befristet und projektbezogen angemeldet. Innerhalb der letzten 20 Jahre hätten sich die Befindlichkeiten geändert: Geregelte Arbeitszeiten, Planbarkeit, Familienfreundlichkeit, faire Bezahlung und Behandlung würden nun mehrheitlich gefordert.

Die Änderung des Kollektivvertrags steht auf der Agenda des Fachverbands und der Gewerkschaft, denn nicht nur die hiesigen Filmarbeiter und -arbeiterinnen, auch internationale Produktionen, die ins Land geholt werden sollen, erwarten Professionalität in der Zusammenarbeit. (Valerie Dirk, 29.11.2022)