Der private Konsum soll auch die nächsten zwei Jahre etwas zulegen und dadurch die Wirtschaft stabilisieren.

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An Kassandra-Rufern hat es dem heurigen Jahr bisher nicht gemangelt, seit sich mit dem Beginn des Ukraine-Krieges die wirtschaftlichen Aussichten massiv eingetrübt haben. Eine schmerzhafte Rezession galt angesichts des enormen Anstiegs der Energiepreise und der starken Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) beinahe als ausgemachte Sache. Doch nun mehren sich die Lichtschimmer, wonach es doch gar nicht so schlimm werden sollte, wie zuvor befürchtet wurde.

"Wir werden im Winter eine milde Rezession in Österreich erleben, die durch die Industrie mitverursacht wird", sagt Bank-Austria-Ökonom Walter Pudschedl. Denn die Wirtschaftsleistung der heimischen Industrie schrumpfe bereits, eine baldige Trendwende sei nicht absehbar. Allerdings werde dies durch die "relativ stabile Entwicklung der Dienstleistungen, unterstützt vom Tourismus" abgefedert. Für das gesamte Jahr 2023 erwartet Pudschedl ein Miniwachstum um 0,3 Prozent – womit die Aussichten ihm zufolge nicht so trübe ausfallen wie von vielen ursprünglich erwartet.

Keine ausgemachte Sache

Auch in der gesamten Eurozone soll es der Bank Austria zufolge zu einer sogenannten technischen Rezession kommen, also zwei Quartale mit negativem Wachstum in Folge. Davon ist wiederum Klaas Knot nicht überzeugt. Er ist als niederländischer Notenbankchef im Rat der EZB und sagt: "Es ist noch keine ausgemachte Sache, dass wir eine Rezession bekommen werden."

Zuletzt habe es auch positive Signale gegeben, etwa aus Deutschland, dem größten Land der Eurozone. Trotz Rekordinflation und Lieferengpässen ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland im Sommer mit 0,4 Prozent etwas stärker ausgefallen, als zuvor prognostiziert wurde. Vor allem die Verbraucher kurbelten das Wirtschaftswachstum zuletzt spürbar an. Die Konsumlaune scheint trotz hoher Energiekosten und gestiegener Inflation also noch intakt zu sein.

Anlass zur Hoffnung gibt auch der vielbeachtete monatliche Ifo-Geschäftsklimaindex, der zum zweiten Mal in Folge angestiegen ist. "Die deutsche Wirtschaft sendet Hoffnungssignale aus", sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe, "sie schlägt sich besser als erwartet." Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren hat sich im November trotz globaler Rezessionssorgen merklich aufgehellt. Das entsprechende Barometer stieg im Oktober wieder in den leicht positiven Bereich – höchster Stand seit Juni. Die Rezession dürfte laut dem Ifo-Institut weniger tief als befürchtet ausfallen.

Zuwächse in Autoindustrie

Nach einem zwischenzeitlichen Dämpfer rechnet etwa die Automobilindustrie wieder mit Exportzuwächsen. Zuletzt hatten Lieferengpässe die Wertschöpfung in dem Sektor gedrückt. Doch eine Verbesserung auf breiter Front ist bereits in Sicht. Die weltweit größten Autobauer werden laut der Beratungsgesellschaft EY weiter Rekordgewinne einfahren. "Unterm Strich war das dritte Quartal trotz der abflauenden Konjunktur und einer sehr schwierigen geopolitischen Lage für die Autoindustrie ein Traumquartal", sagt Constantin Gall, Leiter der Mobilitätssparte. Die Versorgung mit Halbleitern verbessere sich langsam, und gerade die Nachfrage nach Premiumfahrzeugen sei weiter hoch.

Doch nicht in jedem Sektor sind die Probleme ausgestanden. "Die Maschinenbauer und die Elektroindustrie erwarten kaum noch Impulse vom Auslandsgeschäft", fügt Ifo-Präsident Clemens Fuest hinzu. Mit rückläufigen Umsätzen rechnen die Getränkehersteller, die Möbelindustrie und die Chemie. "Gerade für energieintensive Branchen ist das Exportumfeld gegenwärtig schwierig", ergänzt Fuest mit Blick auf die hohen Kosten.

Weitere Zinsschritte

"Wir werden ein schwächeres Wachstum bekommen, das ist sicher", räumt EZB-Ratsmitglied Knot ein. "Aber wir brauchen auch schwächeres Wachstum, um die Inflation zurück zum Ziel zu bewegen." Davon ist die EZB mit einer 10,6-prozentigen Inflation im Oktober meilenweit entfernt, denn die Zentralbank peilt eine jährliche Teuerung von bloß zwei Prozent an. "Meine Sorge ist immer noch: Inflation, Inflation, Inflation", betont Knot und fügt mahnend hinzu: "Wir dürfen nicht zu früh aufgeben und dürfen nicht zu früh den Sieg ausrufen." Soll heißen, es werden noch weitere Zinsschritte folgen, um die Inflation, aber auch die Wachstumsaussichten zu dämpfen.

Die sukzessive Entspannung der zuvor gestörten Lieferketten ist jedoch ein Grund zur Zuversicht. Denn diese hatten die westliche Industrie stark getroffen. Alleine in Deutschland konnten von Anfang 2021 bis Mitte 2022 wegen fehlender Güter und Vorprodukte Waren im Wert von knapp 64 Milliarden Euro nicht hergestellt werden, ergab eine Studie der deutschen Hans-Böckler-Stiftung.

Ein weiterer Hoffnungsschimmer ist die Kreditvergabe in der Eurozone, die zuletzt von einem starken Wachstum geprägt war. Im Oktober vergaben die Geldhäuser im Währungsgebiet um fast neun Prozent mehr Darlehen an Unternehmen als vor Jahresfrist, teilte die EZB mit. Auch im September hatte es ein Plus in dieser Höhe gegeben – der stärkste Zuwachs seit Anfang 2009. An die Privathaushalte vergaben die Institute um vier Prozent mehr Darlehen als ein Jahr zuvor.

Viele Fragezeichen

Allerdings dürfte im Jahr 2024 dafür die Erholung auch nicht allzu stürmisch ausfallen. Laut der Bank-Austria-Prognose sollen es in Österreich 1,2 Prozent Wachstum werden, die vor allem vom privaten Konsum erzeugt werden. Bis dahin soll sich auch die Inflationsrate, nach erwarteten 6,5 Prozent im nächsten Jahr, langsam wieder der zweiprozentigen Zielmarke annähern.

Aber über den Prognosen hängen viele Fragezeichen. Die Konjunkturaussichten seien durch "ungewöhnlich hohe Risiken" und geopolitische Unsicherheiten wie den Ukraine-Krieg gekennzeichnet. "Die Wachstumserwartungen sind stark von den geopolitischen Entwicklungen vor allem des Konflikts in der Ukraine und dessen Folgen für Energie- und sonstige Rohstoffpreise abhängig", betont Chefökonom Stefan Bruckbauer. Diese könnten sich rasch auflösen, aber auch eskalieren. (Alexander Hahn, Bettina Pfluger, 29.11.2022)