Andreas Achrainer: "Es gibt noch keine neuen Quartiere."

Foto: apa / helmut fohringer

Zwei Zelte für Asylwerbende stehen noch, und zwar in Villach – aber es ist dort niemand mehr untergebracht. An der extremen Wohnraumnot für Asylsuchende habe sich aber nichts geändert, sagt der Geschäftsführer der Bundesbetreuungsagentur des Innenministeriums (BBU) und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Andreas Achrainer. Die meisten Länder würden weiter zögern. Und er verrät, wie sich die BBU auf die zu erwartenden Kälteflüchtlinge aus der Ukraine vorbereitet.

STANDARD: Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler berichtet von Überfüllung des dortigen Erstaufnahmezentrums. Menschen müssten um Essen Schlange stehen, für die Kinder gebe es keine Betreuung. Was sagen Sie dazu?

Achrainer: Die Einrichtung ist ausgelastet, das bringt Herausforderungen für die Abläufe des täglichen Lebens mit sich. Ja, man muss im Speisesaal anstehen, aber das läuft geordnet ab, was den Untergebrachten und dem Team der BBU zu verdanken ist. Auch unsere Kinderbetreuung leistet hervorragende Arbeit.

STANDARD: Auch aus anderen Zentren kommen alarmierende Nachrichten. Auf einem Video aus dem Bundesquartier im oberösterreichischen Frankenburg ist eine riesige, mit Tüchern unterteilte Halle zu sehen. Eine Intimsphäre gibt es nicht. Geht es nicht anders?

Achrainer: Diese Zustände machen mich betroffen. Aber bevor ich jemanden auf die Straße stelle, ist eine Halle immer noch besser als gar nichts. Jede Infrastruktur ist nur für eine gewisse Anzahl von Menschen ausgelegt, im Fall von Überbelegung kommt es zu Einschränkungen. Die BBU tut, was sie kann, schickt, wenn es Missstandsmeldungen gibt, verstärkt Reinigungsfirmen vor Ort. Gleichzeitig muss man bei solchen Bildern aber vorsichtig sein. Es gibt Ortschaften, wo Asylwerberzentren unerwünscht sind und wo diese Bilder hochgepeitscht werden.

Im Bundeserstaufnahmezentrum Traiskirchen ist der Platz extrem knapp. Aus dem Speisesaal etwa wird von langen Warteschlangen berichtet.
Foto: regine hendrich

STANDARD: In Traiskirchen bemühen sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, Asylsuchende unterzubringen, die etwa in der Nacht ankommen und nicht ins Zentrum eingelassen werden. Das klappt derzeit – aber gibt es Ihres Wissens in Österreich woanders bereits Flüchtlingsobdachlosigkeit?

Achrainer: Das kann ich nicht ausschließen, denn die Kapazitätsgrenzen der Bundesgrundversorgung sind erschöpft. Wir haben versucht, uns nach der Decke zu strecken, haben etwa in Wien die alte WU, wo die Stadt jetzt ein Aufnahmezentrum für Ukraine-Vertriebene eröffnet hat, davor als Notquartier für Asylwerbende betrieben. Doch weiterhin leben mehr als 5000 Asylwerbende in der Bundesgrundversorgung, die eigentlich in die Landesbetreuung gehören. Die Länder müssen dringend weitere Quartiere zur Verfügung stellen, und sei es, dass sie Häuser für Ukraine-Vertriebene auch für andere aufmachen.

STANDARD: Könnte das nicht dazu führen, dass es im Winter zu wenige Quartiere für Ukraine-Flüchtlinge gibt?

Achrainer: Da mache ich mir keine Sorgen. Neben der alten WU in der Althanstraße mit 1000 Plätzen gibt es auch die Wiener Geiselbergstraße, die man für bis zu 1000 Menschen ausbauen könnte. Auch in Oberösterreich sind Ukrainer-Quartiere vorbereitet, die innerhalb von 24 Stunden hochgezogen werden können. Diese Plätze werden wir wohl auch brauchen, schon weil viele Zentren in der Ukraine, aber auch in Polen und Rumänien nicht beheizbar sind.

STANDARD: Die aktuelle Asyldiskussion hat mit den Zelten begonnen, die die BBU vor sieben Wochen aufgestellt hat. Wie lautet Ihre Bilanz der Aktion?

Achrainer: In Tirol und Vorarlberg ist ein wenig Bewegung entstanden, es wurden Grundstücke gefunden und Vorbereitungen für neue Quartiere getroffen, die in den nächsten Tagen zur Verfügung gestellt werden sollen – aber ich glaube es erst, wenn es so weit ist. Ähnliches würde ich mir von allen Ländern wünschen, von Wien und dem Burgenland, die die Quoten erfüllen, abgesehen?

STANDARD: Wie viele zusätzliche Länderquartiere sind in den vergangenen Wochen dazugekommen?

Achrainer: Es gibt noch keine neuen Quartiere. Vielmehr wurde in bestehenden Unterkünften Platz gemacht. Es wurden ukrainische Staatsbürger aus mehreren Häusern in je ein Haus zusammengelegt.

STANDARD: Noch keine neuen Quartiere – wie ist das möglich?

Achrainer: Weil das Schaffen neuer Häuser in den Ländern seine Zeit braucht. Für solche Projekte muss es eine Infrastruktur geben, Wasser- und Stromanschlüsse.

STANDARD: Warum haben die Bundesländer nicht schon ein paar Monate früher mit solchen Vorbereitungen begonnen?

Achrainer: Das weiß ich nicht. Hätten sie rechtzeitig auf die Warnungen gehört, wäre vieles leichter gewesen. Die EU hat schon seit dem Frühjahr darauf hingewiesen, dass viele Flüchtlinge zu erwarten sind.

STANDARD: Mit den Zelten hat eine Asyldiskussion begonnen, die über das Infragestellen der Menschenrechtskonvention zu Umfragegewinnen der FPÖ und einem Asylschwenk der SPÖ geführt hat. Wie finden Sie das?

Achrainer: Ich bin kein Politiker und möchte politische Diskussionen nicht kommentieren. Sie sind wahrscheinlich notwendig. Was ich sagen kann: Ohne die Zelte wären die Menschen auf der Straße gestanden.

STANDARD: Es wird jetzt aber auch wieder mehr gegen Asylwerbende gehetzt. Vor dem Lager Traiskirchen etwa haben Rechtsextreme demonstriert. Lässt Sie das kalt?

Achrainer: Nein, im Gegenteil, es bricht mir das Herz. All das müsste in einem Rechtsstaat nicht sein – wenn in der Grundversorgung alle ihre Aufgaben gemacht und die Länder rechtzeitig übernommen hätten.

STANDARD: Neu ist das Quartierproblem aber nicht. Die Bund-Länder-Grundversorgung hält schon seit ihrem Start im Jahr 2004 keinem Stresstest stand, immer wenn mehr Asylwerbende kommen, fehlen Plätze. Ist das System gescheitert?

Achrainer: Ich hoffe nicht, denn ich bin ein großer Fan von solchen föderalen, kooperativen Systemen. Mit mehr Transparenz und Verständnis füreinander sollte es uns gelingen, dass die Quartierbeschaffung wieder funktioniert.

STANDARD: Könnte ein erneutes Durchgriffsrecht des Innenministers gegenüber den Ländern helfen?

Achrainer: Das wäre die letzte Konsequenz. Ich hoffe aber immer noch, dass die Vernunft siegt. Ich glaube an das Gute im Menschen. (Irene Brickner, 29.11.2022)