Laut dem Obersten Gerichtshof (OGH) gebührt Streikenden Arbeitnehmern für die Dauer des Streiks kein Entgelt.

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Am Montag streikten die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in der vorweihnachtlichen Kollektivvertragsverhandlungszeit, andere Branchen könnten bald folgen, wenn die Verhandlungen nicht die erwünschten Ergebnisse bringen. Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer der bestreikten Betriebe stellen sich verschiedene arbeitsrechtliche Fragen, die – auch aufgrund der in Österreich generellen Streikzurückhaltung – noch nicht vollständig rechtlich geklärt sind.

Recht auf Streik?

Gemeinhin versteht man unter einem Streik das kollektive Vorenthalten der Arbeitsleistung durch eine Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Erreichung eines bestimmten Zwecks. Nach der überwiegenden Ansicht gibt es in Österreich grundsätzlich ein Streikrecht, das sich insbesondere aus Art 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der einschlägigen jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR; zB vom 15. 9. 2009, 30946/04, Kaya und Seyhan/Türkei) sowie aus Art 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ergibt. In Österreich gibt es aber weder eine gesetzliche Definition des Begriffes "Streik" noch ein einschlägiges Gesetz, das sich mit den damit verbundenen Rechtsfragen beschäftigt.

Streiks können dann als unzulässig qualifiziert werden, wenn sie illegitime Ziele verfolgen oder rechtswidrige Mittel eingesetzt werden. Der systematische Einsatz rechtswidriger Begleitmaßnahmen, wie etwa die Beschädigung von Eigentum, kann einem Streik ebenfalls die Legitimität nehmen.

Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Streikteilnahme?

Eine Kündigung oder Entlassung durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin eines bestreikten Betriebes von am Streik beteiligten Arbeitnehmern scheint nach derzeitiger Rechtslage nicht durchsetzbar. Selbst wenn der Arbeitgeber die Arbeitsverhältnisse auflöst, können die Gekündigten diese Auflösung vor dem Arbeits- und Sozialgericht im Rahmen des Beendigungsschutzes des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) anfechten und eine Motivwidrigkeit der Kündigung geltend machen: In Anknüpfung an die Rechtsprechung des EGMR zum Streikrecht qualifiziert die neuere rechtswissenschaftliche Lehre (in Abkehr von der zuvor vertretenen Meinung) die Teilnahme von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an einem rechtmäßigen Streik nicht als Verletzung der vertraglichen Arbeitspflicht; vielmehr gelten die Hauptpflichten aus dem Vertrag für die Dauer des Streiks als suspendiert.

Aus diesem Grund stellt die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik auch keine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die den Arbeitgeber zur Beendigungshandlung berechtigen würde. Die grundsätzliche Kündigungsfreiheit der Arbeitgeber wird durch einen umfassenden Kündigungsschutz der Arbeitnehmer durchbrochen. Beendet der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers wegen der (auch nur angekündigten) Teilnahme an einem zulässigen Streik, kann das der Gekündigte vor dem Arbeits- und Sozialgericht im Rahmen des ArbVG wegen eines missbilligten Motivs anfechten. Liegt kein zusätzlicher Kündigungsgrund vor, wird der Arbeitnehmer das Anfechtungsverfahren in aller Regel gewinnen.

Bei der Beteiligung an einem unzulässigen Streik kommt eine Entlassung der streikenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Betracht. Da das Entlassungsrecht aber eine "beharrliche" Pflichtverletzung zur Rechtfertigung der fristlosen Beendigung verlangt, wird eine einmalige Teilnahme an einem wenn auch unrechtmäßigen, aber kurzen Streik für eine Entlassung unter Umständen nicht ausreichen. Erlangt der Streik als Mittel des Arbeitskampfes künftig eine wichtigere Rolle, ist davon auszugehen, dass sich auch die Gerichte verstärkt mit den einschlägigen Rechtsfragen auseinandersetzen müssen.

Entgeltansprüche während eines Streiks

Auch wenn die Teilnahme an einem Streik rechtmäßig ist und keinen Kündigungs- oder Entlassungsgrund darstellt, so erbringen streikende Arbeitnehmer doch vorübergehend keine Leistungen für ihren Arbeitgeber. Diese Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof bereits 2005 geklärt. Demnach gebührt streikenden Arbeitnehmern für die Dauer des Streiks kein Entgelt (OGH 8 ObA 23/05y).

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines bestreikten Betriebes, die selbst nicht am Streik teilnehmen, behalten hingegen ihren Entgeltanspruch auch dann, wenn sie während des Streiks nicht beschäftigt werden können. Sie müssen allerdings ihre Arbeitsbereitschaft erklären, und zwar ausdrücklich und ernsthaft; eine reine "Pro-forma-Erklärung", arbeitsbereit zu sein, ist nicht ausreichend und führt zum Verlust des Entgeltanspruchs. Gerade im Streikfall werden an die Erklärung der Arbeitsbereitschaft durch den Arbeitnehmer strenge Anforderungen gestellt. Er muss seine Dienste dem Dienstgeber ausdrücklich anbieten, seine Arbeitsbereitschaft also klar zu erkennen geben. (Barbara Klinger, Martin Lanner 29.11.2022)