Die Frage kam nicht überraschend. Ebenso wenig wie die mitschwingende Hoffnung auf eine affirmative Antwort. Wenn jemand nicht fragt, "ob" ein 22-Grad-Temperatursturz zwischen zwei Läufen schlimm ist, sondern "wie schlimm" so was ist, ist klar: Der Fragende will nicht "Eigentlich laufe ich am liebsten bei Temperaturen zwischen fünf und zehn Grad" hören. Zum Trost: Ja eh, Radfahren und (Freiwasser-)Schwimmen machen im Wiener November sogar mir dann weniger Spaß. Das gilt auch für Yoga im Freien.

Foto: Tom Rottenberg

Aber Laufen geht. Gut, sehr gut, für mich. Doch der Chat mit dem Fragesteller ging weiter: "Außer elend isses nur elend." Hm. "Kalt. Windig. Nass. Dunkel. Gleichzeitig! Ich prangere an!" Und was schlägst du vor? "Im Ernst: Wie geht laufen jetzt?" Wenn du willst, tust du es. Wenn nicht, nicht.

"Du, ich mein das wörtlich: Ich schau ausm Fenster und aufs Thermometer – und aus. Außerdem: Bei fünf Grad erfrier ich ohne Anorak. Ich hab auch keine Goretex-Schuhe. Ich will nicht krank werden …"

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Eh: Viele erfahrene Läuferinnen, etliche versierte Läufer verdrehen jetzt die Augen. Und kommen mit jener Standard-Antwort, die ich früher auch gegeben habe. "Wenn dir am Anfang ein bisserl kalt ist, wird es dann, wenn du aufgewärmt bist, gerade passen."

Nicht, dass das falsch wäre. Mitnichten! Nur: Wer so fragt, hat keinen Erfahrungswert zu "ein bisserl".

Wie auch?

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Er oder sie rennt dann entweder mit zu wenig an los und friert sich die Freude am Draußensein aus dem Leib. Oder packt sich viel häufiger viel zu warm ein. Schwitzt früh und stark. Reißt sich Jacke, Gilet und Co vom Leib. Stopft Mütze, Halstuch und Handschuh irgendwohin.

Freut sich zunächst über die Abkühlung und friert dann erst recht, weil die Kombi von nasser Grundkleidungsschicht auf der Haut (das "Base Layer") plus kalte Luft eine sichere Bank dafür ist, dass die Übung misslingt. Denn man friert, packt sich wieder ein, nass-fröstelt trotzdem und zieht beim nächsten Mal wieder oder noch mehr an: weil es beim letzten Mal ja auch kalt war. Die "Beweisführung" ist schlüssig: Sport draußen geht jetzt echt nicht. Der "Bonustrack" kommt meist auch noch: eine satte Verkühlung.

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Umso schlimmer ist es dann, wenn man auf eindeutige Fragen ("Was genau soll ich tun?") schwammige Antworten bekommt.

Aber: Sorry, auf "Ab wie viel Grad eine lange Hose?" kann es keine "objektive" Antwort geben: Ich persönlich laufe bis etwa sieben oder acht Grad gerne "kurz" und mit Nano-Socken. Bis etwa null Grad wärmt die Dreiviertelhose meine Knie, und der Socken geht knapp über den Knöchel.

Wenn der Wind pfeift, nehme ich eine uralte Windstopper-Dreiviertelhose (Gore Running) – weil meine Waden beim Laufen kalt-frische Luft lieben. Manchmal auch bei Regen. Aber ziemlich sicher bei längeren Läufen.

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So geht es weiter: streng subjektiv. Ob Sie so ticken wie ich und sich sogar bei starkem Wind mit einem leichten Gilet (hier: Skinfit, vorne leicht wattiert), aber dicken Handschuhen wohler fühlen als mit einer Langarm-Jacke, können Sie nur auf eine Art herausfinden: selbst probieren.

Denn die "Runners-World"-Faustregel, sich fürs Laufen "so anzuziehen wie für einen Spaziergang bei zehn Grad mehr", sagt im Grunde auch nichts Allgemeingültiges.

Und die aufseiten des österreichischen Frauenlaufes irgendwo postulierte Devise "Zweistellige Plusgrade? Kurz!" klingt zwar schlüssig, der Umkehrschluss wäre aber bei flotteren Herbstläufen mein Tod. Aber Männer haben (statistisch wohlgemerkt) ja auch ein anderes Temperaturempfinden als Frauen.

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Aber natürlich gibt es Grundaussagen, auf die sich alle einigen können.

Erstens: Wichtig ist, was mir am nächsten ist, die Base Layer also. Ein Merinoleiberl (hier: Velocio) oder ein Rad-Thermoleiberl mit einer leichten Windstopper-Membran (hier: Löffler) wirken oft Wunder. Oder ein ärmelloses und ein langärmliges Nicht-bloß-das-billige-Finisher-Shirt-Plastik-Laufshirt übereinander (hier: Fe226).

Denn: Passt das "Fundament", wird Feuchtigkeit vom Körper wegtransportiert. Wenn die Schicht drüber mitspielt, also Dampf und überschüssige Wärme nach außen abgibt, Wind und Wetter aber nicht reinlässt, ist das Match schon fast gewonnen.

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Wobei "zweitens" da nicht unwichtig ist: Wer billig kauft, kauft oft auch teuer. Ja, auch ich habe schon bei Tchibo, Hofer und Co und auf Wühltischen geniale Teile gefunden. Aber mindestens doppelt so oft Ausrüstung, die mich vakuumverpackt einlaminierte, obwohl "atmungsaktiv" draufstand. Wo der Stoff zwar "wasserdicht" war, durch Nähte und Aufnäher aber Wasser floss. Wo durch Reißverschlüsse der Wind pfiff und Schnitte vor dem Spiegel, aber nicht in Bewegung passten.

Große, namhafte Marken können sich all das nicht leisten – falsch machen kann man mit ihnen aber dennoch einiges.

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Hier im Bild geschieht das aber mit Absicht: Diese Jacke (Löffler) ist eines meiner langjährigen Lieblingsteile. Im Winter: drunter die oben angesprochene Base Layer – und wenn es wirklich kalt ist, eventuell noch eine warme Zwischenschicht. Aber sogar da wickle ich mir die Jacke oder die mittlere Lage oft um die Hüften, sobald ich warmgelaufen bin. Dass die Jacke bei fünf oder sieben Grad Plus zu warm und zu dicht sein würde, war mir klar.

Nur: Ich kenne Leute, denen solche Jacken jetzt gerade noch reichen und die angesichts der ersten Schneewölkchen dann etwas wirklich "Fettes" brauchen.

Foto: Tom Rottenberg

Wovon man auch ausgehen kann: dass Laschen und Knöpfe Funktion haben, oft aber niemand fragt, welche genau.

Der "Klassiker" ist hier das oberste Schnürungsloch bei Laufschuhen. Mehr als die Hälfte "meiner" Laufgruppen-Nasen hat keine Ahnung, wozu es dient, aber noch nie gefragt. Zeigt man den Leuten alternative Schnürungen, beginnen sie zu experimentieren.

Ähnlich verhält es sich mit diesem Druckknopf. Dass der anderswo gängige Zwei-Wege-Zipp tatsächlich dazu verwendet wird, aus einer Jacke ein Cape zu machen, habe ich noch nie gesehen. Diese Jacke (Asics) reichte ich auch an Freunde weiter: Ausnahmslos alle machten den Knopf zu und meinten: "Oh, eigentlich praktisch!"

Bei starkem Wind oder leichtem Regen eine echte Option.

Foto: Tom Rottenberg

Wobei ich bei starkem Regen oder Wind am liebsten dann auf meine schon einige Jahre alte "Shakedry"-Jacke (Gore) zurückgreife. Die hält nämlich noch trocken, wo andere schon lange Feuchtigkeit oder Wind durchlassen: Das US-Unternehmen, dessen Name als Genre-Bezeichnung für "wasserundurchlässig und doch atmungsaktiv" (immer: bis zu einem gewissen Grad!) steht, hat da nämlich ein kleines Kunststück geschafft: Früher war die Gore-Membran (oder ihr Pendant von jemand anderem) eine eigene "Stoff"-Schicht im Kleidungsstück, die aufgrund des Temperaturunterschiedes zwischen innen und außen Wasser nicht rein-, Wasserdampf aber rausließ.

Vorteil: dicht und solide.

Nachteil: je dichter, desto schwerer und klobiger.

Doch dann wurden die Membrane dünner. Und irgendwann war sie sogar gleich der "Stoff".

Vorteil: leicht, flexibel und trotzdem dicht.

Nachteil: Richtig teuer und verletzlich.

Sollten Sie so ein Teil mit einem Trailrucksack verwenden, tragen Sie den Rucksack drunter, wenn Sie sich dann noch bewegen können.

Foto: Tom Rottenberg

Der Nachteil meiner "Shakedry" ist anderswo: Sie ist aus der ersten Produktionsgeneration, mattschwarz und hat kaum reflektierende Applikationen. Schon in der Dämmerung werde ich mit ihr unsichtbar.

Reflektierende Elemente, die den Menschen im schlecht ausgeleuchteten Umfeld "skizzieren" ,sind heute eigentlich Standard. Gut so. Allerdings brauchen Reflektoren Licht, das sie zurückwerfen können.

Darum sind Signal- oder Leuchtfarben (hier: Skinfit) keine modischen, sondern sicherheitsrelevante Assets: Dass ich schon als "lebender Textmarker" verlacht wurde, trifft zu, ist mir aber herzlich egal. Der Spötter saß im Auto. Es war damals regnerisch-trüb. Aber er hat mich ge- und nicht übersehen – fertig.

Foto: Tom Rottenberg

Die supersichtbare Skinfit-Jacke von oben hat aber einen Nachteil: Sie ist so leicht, dass sie als Über-drüber-Jacke perfekt, als eigenständige Wind- oder Regenjacke aber für Kalt- und Schlechtwetterläufe zu dünn ist. Dafür ist sie auch nicht konzipiert.

An einem durchschnittlich kalten, windig-feuchten Herbstabend wäre daher diese Jacke (Underarmour) im Dunkeln praktischer: Ihr Muster reflektiert so, als würden Bilder des Hubble-Teleskops auf der Donauinsel spazieren laufen.

Foto: Tom Rottenberg

Ein bisserl Regen hält sie gut aus, aber für echtes Schlechtwetter taugt sie nicht: Ihre Nähte sind (im Gegensatz zu allen anderen hier gezeigten Jacken) nicht oder kaum verklebt, gelasert oder verschweißt: Wo Nadel und Faden durchkommen, findet irgendwann auch Wasser einen Weg.

Diese Form der Dichtheit beschreibt die Angabe der "Wassersäule", die bei manchen Funktionskleidungsstücken extra angeführt wird: Die Höhe der Säule sagt, bei wie viel Druck das Teil zu lecken beginnt. Und: Auch Wind ist Druck …

Foto: Tom Rottenberg

Und der Kopf? Am Rennrad ist es mittlerweile fast Standard, dass wetterfeste Jacken keine Kapuze, sondern einen eng abschließenden Kragen haben. Aber auch wo es Kapuzen gibt, hat sie am Rennrad kaum jemand auf: Man hört und sieht damit zu wenig. Außerdem "sammelt" man Wind und Wasser für den Rücken

Beim Laufen ist es ähnlich: Mit aufgesetzter Kapuze sieht man kaum je jemanden rennen. Stattdessen wärmen Buffs, also Schlauchmützen, Ohren und Stirn oder verhindern, dass kalte Luft über den Hals den Körper erwischt. Mützen sind ein No-na-Ding, saugen sich bei Regen aber rasch voll.

Ich persönlich liebe deshalb diese uralte Schirmkappe: Der Schirm hält mir das Wasser aus den Augen – und die Gore-Membran meinen Kopf trocken. Also warm.

Foto: Tom Rottenberg

Fehlt noch was? Ja, die Antwort zur Frage nach der Unverzichtbarkeit von Allwetterschuhen. Meine Antwort lautet Jein. Dieses Jein spiegelt auch der hier eingesetzte Saucony Endorphine Pro 2 Run-Shield (ein Testschuh aus dem Vorjahr) wieder: Sauconys "Run-Shield" ist eine Art Goretex-Light, die Endorphine-Serie steht für Tempo: Die Schnittmenge jener Läuferinnen und Läufer, die bei hohem Tempo großen Wert auf trockene Füße legt, dürfte aber eher gering sein.

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Ich selbst zähle mich auch nicht wirklich dazu: Im nasskalten Herbst ist das erste Läufer-Ziel eine Betriebstemperatur, bei der man über "nass und kalt" erst nachdenkt, wenn man wieder daheim unter der heißen Dusche steht. Das gilt ganzheitlich. Also auch für die Füße.

Nur gibt es dafür halt kein Patentrezept.

Leider. Oder eigentlich: Gott sei Dank:

Denn auch wenn dann vieles einfacher wäre, wäre eine Welt, in der alle genau gleich ticken, vor allem eines: ziemlich langweilig. Nicht nur beim Laufen.

(Tom Rottenberg, 29.11.2022)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Wäsche, Handschuhe, Hosen, etc sind selbst gekauft. Die Jacken wurden im Laufe der letzten Jahre von Herstellern zur Verfügung gestellt (und werden, einmal verwendet, nicht zurückgenommen). Die Teile von Asics und Under Armour stammen aus der aktuellen Kollektion.


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