Hält den Messe-Gedanken unbeirrt hoch: Die Gartenstadt Tulln punktet noch heute mit zauberhaften Rosenarrangements.

Foto: Friedrich Michael Jansenberger

Wer jemals Borges‘ Die Bibliothek von Babel gelesen hat, den muss der Besuch der eben beendeten Buch Wien tief befriedigt haben. In der Kathedrale der Messe-Halle wurden, manchmal sogar zeitgleich, lauter kleine Andachten abgehalten. Die Verursacher vieler schöner Lesestunden entpuppten sich als meist zugängliche Wesen aus Fleisch und Blut. Wieder einmal fand ich mich in meiner Vorliebe bestätigt: Messen sind auch dann herrlich, wenn auf ihnen keine Fangsäcke für die Getreideernte gezeigt werden.

Für mich als kleinen, behäbigen Babyboomer verging in der Ära Kreisky kaum eine Woche, in der nicht von einer "Messe" die Rede war. Zum einen versuchte meine fromme Mutter mich für den Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes zu gewinnen. Gott der Herr mag – wie es bereits das Schöpfungskapitel in der Heiligen Schrift nahelegt – von äußerster Beredsamkeit gewesen sein. Leider sprach er zu mir, dem Dreikäsehoch, in keinem der mir damals geläufigen Dialekte.

Der zuständige Pfarrer, ein redlicher Mann, geißelte wüst die Gottlosigkeit der modernen Zeiten. Er machte ausgerechnet uns dafür verantwortlich: die Schäfchen, die ohnedies zu seiner Messfeier gekommen waren! Fortan mied ich den Gottesdienst, liebte aber stattdessen die vielen Grünmessen: zum Beispiel die WIG 74 auf dem ehemaligen Laaer Mistabladeplatz. Unvergesslich auch die Leistungsschauen der Blumen in der Gartenstadt Tulln.

Russlands Leistungsschau

Es sollten viele Jahrzehnte vergehen, ehe ich über die Dimension von Messen sachgerecht aufgeklärt wurde. In Tschechows Die Möwe wird eine Schauspieldiva dadurch charakterisiert, dass sie, im Herbst ihrer Karriere stehend, auf einer russischen Landwirtschaftsmesse aufgetreten sei. Was für ein trauriges Ende einer Laufbahn, dachte ich kopfschüttelnd.

Weit gefehlt. Regisseurin Andrea Breth, die Klügste ihrer Zunft, erklärte mir eindringlich, dass eine Landwirtschaftsmesse im Zarenreich das größte überhaupt gewesen sei: "Eine gigantische Weltausstellung!" Ich dachte sofort: Wie schade, dass die große Paula Wessely niemals auf der Tullner Gartenbaumesse aufgetreten ist! (Ronald Pohl, 30.11.2022)