ORF-General Roland Weißmann prognostizierte eine tiefe Finanzlücke ab 2024.

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Wien – Ungewohnt lange diskutierte der Finanzausschuss des ORF-Stiftungsrats bis in den Montagabend über eine selten dramatische Finanzvorschau für den öffentlich-rechtlichen Milliardenkonzern: 325 Millionen fehlten dem ORF wegen Teuerung, Energiekosten, GIS-Abmeldungen bis 2026, sagt ORF-Chef Roland Weißmann voraus. Ab 2024 drohten Verluste von bis zu 130 Millionen Euro jährlich. Wenn die Republik nicht mit einem neuen GIS-Modell auch die Mittel erhöht.

Mehr als 700 Millionen

Für 2022 budgetierte der ORF 660 Millionen Euro Einnahmen aus den Rundfunkgebühren; die GIS-Erhöhung im März um acht Prozent sollte für die nächsten fünf Jahre reichen – doch die Inflation habe die Erhöhung schon im laufenden Jahr überholt. Nach STANDARD-Informationen berechnet der ORF den öffentlichen Finanzbedarf mit mehr als 700 Millionen Euro, die Angaben schwanken zwischen 720 und 750 Millionen Euro pro Jahr.

Bis 1. Jänner 2024 verlangt der Verfassungsgerichtshof ein neues GIS-Modell, das – im Gegensatz zum bisherigen – auch für Streamingnutzung Gebühren vorsieht. Der ORF-General und die – dem unternehmerischen Wohl des ORF verpflichteten – Stiftungsräte drängen nun die Regierung, insbesondere Medienministerin Susanne Raab (ÖVP), dass der ORF bis März 2023 Klarheit über das neue Finanzierungsmodell brauche, mit höherer Dotierung.

Sondersitzung zu ORF-Finanzierung

Nach STANDARD-Infos schiebt der Finanzausschuss des Stiftungsrats im Februar 2023 eine Sondersitzung zur künftigen ORF-Finanzierung ein. Das bestätigt der Vorsitzende des Finanzausschusses, Thomas Zach, auf Anfrage.

Zur Diskussion stehen laut Raab drei Varianten: eine Erweiterung der GIS um streamingfähige Geräte – die das Gesetz definieren und die GIS bei ihren Nachfragen an der Haustür kontrollieren müsste. Eine Haushaltsabgabe unabhängig von der Nutzung und den vorhandenen Geräten wie in Deutschland und der Schweiz. Oder eine Finanzierung aus dem Bundesbudget. Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger schlug sie zuletzt im STANDARD-Interview vor – verlangte aber eine automatische Inflationsanpassung, abgesichert mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.

Rechtzeitige Lösung

Zach, Ausschussvorsitzender und Sprecher des Freundeskreises der ÖVP-nahen Stiftungsräte, hofft auf eine rasche Entscheidung des Gesetzgebers über das künftige Finanzierungsmodell. Schon im September-Stiftungsrat betonte eine große Mehrheit der Stiftungsräte, diese Entscheidung müsse bis März 2023 fallen.

"Nun geht es vor allem um eine rechtzeitige Lösung", sagt etwa Stiftungsrat Heinz Lederer im Gespräch mit dem STANDARD. Sei eine Zweidrittelmehrheit für die Budgetfinanzierung des ORF nicht bis März 2023 gesichert, werde sich diese Variante nicht mehr ausgehen. Ähnlich zeitkritisch wäre eine Haushaltsabgabe. Mit einer kleinen Reparatur der GIS – also einer Erweiterung der gebührenpflichtigen Geräte – hätte die Politik noch am meisten Zeit.

Lederer ortet dafür "kein echtes Interesse" bei der Medienministerin und Bundeskanzler Karl Nehammer. Im Gegenteil, er beobachtet eine "Kindesweglegung" in Sachen ORF: Die ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat habe 2021 den "angesehenen Finanzfachmann Alexander Wrabetz" nicht als ORF-Chef verlängert und Roland Weißmann an die Spitze des Unternehmens gebracht. Nun lasse sie Weißmann offenbar alleine und wolle den ORF womöglich "aushungern".

"Sanierung in Eigenverantwortung"

Der von der SPÖ entsandte Stiftungsrat forderte in der "sehr ernsten und sehr kritischen" Situation neuerlich einen Plan B der Geschäftsführung, wenn die öffentliche Finanzierung des ORF nicht angepasst werde.

"Der ORF muss dem Gesetzgeber klarmachen, dass die Geschäftsführung bei Verzögerungen über Maßnahmen reden muss, was in dem Umfang noch möglich ist." Könne der ORF künftig noch alle Interessen berücksichtigen, wenn die öffentliche Finanzierung nicht oder nicht rechtzeitig erhöht werde? Lederer verweist beispielhaft auf Länderinteressen und Landesstudios, auf Kooperationen wie die "Langen Nächte" und Filmproduktionen: "Welche Produktionen stellen wir zurück, welche Sendungen können wir nicht mehr finanzieren, wie weit greift man in Kooperationen ein?"

Lederer verlangt einen konkreten Maßnahmenkatalog – man könnte auch von einer Streichliste sprechen – für eine "Sanierung in Eigenverantwortung" des ORF.

Stiftungsrat Zach betont, der ORF habe mit dem vorgelegten ausgeglichenen Budget für 2023 "Handlungsfähigkeit gewonnen" trotz massiver Herausforderungen wie Energiekosten, Teuerungen und GIS-Abmeldungen.

Am Donnerstag tagt das Plenum des ORF-Stiftungsrats. Dieser beschließt etwa den Finanzplan des ORF für 2023 und die Programmschemata für TV, Radio, Online im kommenden Jahr.

"Licht ins Dunkel" im Stiftungsrat

Thema im Stiftungsrat dürfte auch die Diskussion um "Licht ins Dunkel" nach einer kritischen "Andererseits"-Doku über die ORF-Charity sein. Menschen mit Behinderung, Experten und Branchenvertreter verlangen in der Doku die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention, anstatt per "Licht ins Dunkel" als Bittsteller dargestellt zu werden. (fid, 29.11.2022)