Der Glaube an die Barcode-Verschwörung ist noch nicht vorbei. In den Strichcodes wirke eine diabolische Zahlenmystik, die damit etikettierte Lebensmittel vergiftet, so die bereits in den 1990er-Jahren verbreitete These. Damit war nicht nur die Geschäftsidee von Aufklebern mit Symbolen geboren, die die teuflische Wirkung neutralisieren sollen. Die Lebensmittelanbieter selbst sprangen teils auf den Zug auf.

Sie modifizierten den Barcode mit Querstrichen oder anderen Grafikelementen, um den esoterischen Kundenkreis zu befriedigen. Eigentlich würde man die bösen Barcodes heute eher als Auswuchs der Vergangenheit betrachten.

Doch weit gefehlt: Die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Politik- und Wirtschaftswissenschafterin Katharina Nocun hielten Nachschau in einem Berliner Biosupermarkt und fanden auf einem Viertel der Mineralwasserprodukte nach wie vor diverse Entstörungszeichen vor.

DER STANDARD

Okkultismus und Pseudowissenschaft

Diese und andere Erkenntnisse zu esoterischen Welterklärungsmodellen haben die beiden in einem neuen Buch zusammengefasst, das auf der Longlist des Wissenschaftsministeriums für das Wissenschaftsbuch des Jahres steht. Die Barcode-Verschwörung mag besonders absurd anmuten. Liest man Nocuns und Lambertys Sachbuch "Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik", wird aber schnell klar, dass Kategorien wie Absurdität, Rationalität oder auch nur Common Sense in diesem Umfeld keine Rolle spielen. Viele der esoterischen Thesen sind neu durchmischte Versatzstücke aus Religionen, okkulten Traditionen, landläufigem Aberglauben und Pseudowissenschaften.

Spirituelle Heiler, Engel, Karma, Schutzamulette und Kristalle: In ihrer heutigen Ausprägung vereint die Esoterik ein Sammelsurium aus okkulten Traditionen, alten Mythenwelten und alternativen Welterklärungsmodellen.
Bild: Fatih Aydogdu

Was aber – für alle Menschen – eine Rolle spielt, sind die weitreichenden Auswirkungen der Esoterik – nicht nur auf den Einzelnen, der Geld, Zeit und Hoffnungen vergeudet, sondern auf ganze Gesellschaften. Diesen Einflüssen sind die Autorinnen auf der Spur. Spätestens wenn in Krisensituationen wissenschaftliche Lösungen abgelehnt werden, werden alternative Heilslehren ein Problem. Siehe Corona. Siehe Klimawandel.

Feindbild Schulmedizin

Von Homöopathen, die Hochwassergeschädigten helfen wollen, über Reiki-Handaufleger, die Tschernobyl-Opfer behandeln, bis zu Wunderheilern, die Krebs und andere Krankheiten als Resultat psychischer Problematiken qualifizieren und die Schulmedizin als Teil einer jüdischen Verschwörung betrachten.

Der Rundgang durch das Gruselkabinett der erfundenen Lehren entfaltet gerade im medizinischen Bereich eine besondere Tragik. Hier sei an den Fall Muriel in Graz erinnert, der 2010 durch die Medien ging. Die Behörden mussten dabei die Behandlung eines kleinen Mädchens durchsetzen, das mit dem HI-Virus infiziert ist – gegen den Willen der Eltern, die die Existenz von Aids abstreiten.

Wie schon beim Fall Olivia von 1995, bei der die Eltern mit ihrer krebskranken Tochter ins Ausland flohen, gehörte der 2017 verstorbene "Wunderheiler" Ryke Geerd Hamer, Begründer der "Germanischen Neuen Medizin", zu den Unterstützern. Die Lehre des Esoterikers, der bereits mehrere Haftstrafen verbüßte, hat mutmaßlich tausende Menschen geschädigt.

Lamberty und Nocun fassen aktuelle Forschungsansätze über die Anfälligkeit von Menschen gegenüber Esoterik zusammen, zeigen, wo Esoteriktrends ihren Ursprung haben, und analysieren gefährliche Versatzstücke in den Gedankenwelten – Bereiche, die auch die Stärken des Buchs ausmachen.

Ursprung in der Mythenwelt

Ein Ausgangspunkt des Glaubens an die satanischen Barcodes liegt etwa in den Thesen des Japaners Masaru Emoto, der die Ansicht vertrat, dass Wasser oder Eiskristalle durch Emotionen und Sprache beeinflussbar seien. Für die Barcode-Gläubigen ist dieser Einfluss auch mit dunkler Zahlenmystik zu erreichen.

Aufschlussreich ist auch das Nachzeichnen einer traditionellen Verbindung zwischen rassistischem und okkultistischem Gedankengut, die bereits im 19. Jahrhundert besonders durch Helena Blavatsky und ihre "Theosophische Gesellschaft" wirkmächtig wurde. Auch heute gibt es ideologische Bereiche, in denen die Esoterik in rechtsradikale Sphären überschwappt.

Verbindungen entstehen unter anderem, wenn im Neuheidentum die nordische Mythenwelt neu gedeutet, wenn die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg mit dem Karma-Gedanken verbunden oder wenn Antiglobalisierung völkisch verstanden wird.

Rechtsextreme Ideologien

"Auch wenn Esoterik nicht automatisch rechtsextrem ist, finden sich doch viele ideologische Anknüpfungspunkte für menschenverachtende Ideologien", resümieren die Autorinnen. In der öffentlichen Debatte wird die Anfälligkeit gegenüber Esoterik oft allein mit einem niedrigen Bildungsgrad und einer Flucht hin zu einfachen Antworten in Zusammenhang gebracht. Doch so einfach ist es nicht.

Die Autorinnen arbeiten Kernelemente des Esoterikbegriffs heraus, die eine Ahnung von den inhärenten Triebkräften vermitteln. Beispielsweise sind esoterische Lehren oft auf Selbstoptimierung gerichtet. Das altruistische Moment der Religionen fehlt meist, es geht um das Selbst als höchste Instanz und um eine Befriedigung des eigenen, vernachlässigten Egos.

Unsummen für Wunderheilung

Die Angebote der Esoterik versprechen damit auch, narzisstische Bedürfnisse zu befriedigen, wie Lamberty und Nocun schreiben. Was bleibt, ist die Frage, wie Menschen vor gefährlichen Esoterikauswüchsen besser gewappnet werden können. Denn wer sich an Wunderheiler wendet oder Unsummen für wirkungslose Präparate ausgibt, wird letzten Endes bei der Suche nach Hilfe in die Irre geleitet. In Krisen zeigt sich die Gefahr, die von der Esoterik ausgeht. Die Corona-Pandemie führte sie drastisch vor Augen.

Doch die Menschen, die sich in der Krise gegen evidenzbasierte Methoden stellen, kommen nicht aus dem Nichts. Wenn man esoterische Lehren toleriert, sie zum Teil des Gesundheitssystems macht, zum Teil öffentlich fördert, hat das Folgen. Oder wie es die Ärztin, frühere Homöopathie-Anwenderin und nunmehrige Kritikerin Natalie Grams-Nobmann, die im Buch zitiert wird, formuliert: "Wer Globuli sät, wird Impfgegnertum ernten." (Alois Pumhösel, 30.11.2022)