Durchschnittlich kommt es alle vier bis fünf Wochen zu einem Fenstersturz eines Kindes, heißt es vom Kuratorium für Verkehrssicherheit.

Foto: imago images/Fotostand

Linz – Den Morgen des 25. Mai wird Nevruz S. wohl nie vergessen. Die 31-jährige gebürtige Türkin mit österreichischer Staatsbürgerschaft ist gerade mit Zwillingen schwanger – Schmerzen lassen die junge Frau kaum schlafen. An dem besagten Tag fiebert auch noch die zweieinhalbjährige Tochter Zara.

Nevruz S. beschließt, sich noch einmal im Schlafzimmer kurz auszurasten und nimmt ihre Tochter mit. Zaras Papa gönnt sich eine Auszeit auf der Couch im Wohnzimmer. Als die Mutter einschläft, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Zara verliert das Interesse an den Comic-Videos am Handy, klettert über ein Nachtkästchen auf die Fensterbank – und stürzt aus dem vierten Stock 13 Meter in die Tiefe. Ein Nachbar findet das schwer verletzte Kleinkind – Zara erlitt einen Schädelbasisbruch und Mehrfachfrakturen der Arme – und weckt die Eltern.

Mutter angeklagt

Am Dienstag musste das Ehepaar am Landesgericht Linz vor Richter Oliver Schoiswohl Platz nehmen. Nevruz S. als Angeklagte, ihr Mann als Zeuge. Die Staatsanwältin sah eine fahrlässige Körperverletzung gegeben.

Nicht gänzlich klären ließ sich aber, ob das Fenster im Schlafzimmer geöffnet war. Die Angeklagte und ihr Mann beteuern vor Gericht, es sei geschlossen gewesen. Die Zweijährige dürfte zumindest früher schon versucht haben, selbst ein Fenster zu öffnen, es aber noch nie geschafft haben. Weshalb die Mutter am 25. Mai wohl auch vorsichtshalber Küchen- und Badtür versperrt, ehe sie sich ins Schlafzimmer zurückzieht. "Dennoch war es unser Fehler, wir haben nicht gut genug aufgepasst", sagt der Vater. Nevruz S. stimmt zu.

Todesfalle Fenster

"Ob Sie immer ausreichend aufgepasst haben, weiß ich nicht. Das müssen Sie mit sich selbst ausmachen", mahnt Richter Schoiswohl. Kommt aber zu dem Schluss, dass keine grobe Fahrlässigkeit vorliege, und spricht die Mutter frei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, weil die Staatsanwältin keine Erklärung abgab. Bei einer Verurteilung hätten bis zu zwei Jahre Haft gedroht.

Unter Tränen, aber sichtlich erleichtert erzählt Nevruz S. dann nach der Verhandlung im STANDARD-Gespräch, dass es Zara heute wieder gut gehe und die Kleine "eigentlich wieder völlig gesund ist". Eine kleinere Operation, bei der Schrauben aus dem Handgelenk entfernt werden müssen, stehe dem Mädchen noch bevor. Im Sommer ist die Familie übrigens in dem Haus in Linz in eine Wohnung im Erdgeschoß gezogen. "Die Angst, dass wieder etwas passiert, war einfach zu groß", erzählt der Vater.

Heuer 17 Fensterstürze

Heuer sind, laut Aufzeichnungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV), bereits 17 Kinder in Österreich aus dem Fenster gestürzt. Sieben davon allein in Oberösterreich. Im Durchschnitt ereigne sich alle vier bis fünf Wochen ein Fenstersturz eines Kindes, 13 seien in den vergangenen zehn Jahren in der Folge gestorben, so das KFV. (Markus Rohrhofer, 29.11.2022)