Da der bestellte Fotograf nicht fotografierte, erinnern nur einige Stiche an das Match.

Foto: Illustrated London News Ltd / Ma

Die Abseitsregel, man glaubt es nicht, ist praktisch so alt wie das Fußballspiel selbst. Wobei es sich im Fußball zunächst ähnlich wie im Rugby verhielt – beides hatte sich im 19. Jahrhundert praktisch parallel an englischen Schulen (Rugby, Winchester, Harrow, Eton) entwickelt. Abseits standen also zunächst alle Spieler, die dem gegnerischen Tor näher waren als der Ballführende. So schrieb es die Football Association (FA) fest, die 1863 von elf Londoner Schulen in der Free Mason’s Tavern gegründet worden war. In der Saison 1871/72 bestritten schon 50 englische Vereine eine Meisterschaft und einen Pokalbewerb, den FA-Cup.

1870 und ’71 war es, jeweils in London, auch schon zu Vergleichen zwischen englischen und schottischen Spielern gekommen, als Länderspiele galten sie aber nicht, weil es ausschließlich in London lebende Schotten waren, aus denen sich die Gästeteams zusammensetzten. Also fassten die Engländer den Beschluss, "ein Team nach Glasgow zu senden". Sämtliche Vereine im Land sollten sich die Kosten teilen, allein die Bahntickets des Teams, über dessen Zusammenstellung lange diskutiert wurde, waren teuer genug. Die englische Elf setzte sich aus Spielern von elf Vereinen zusammen, logischerweise hatten sie zuvor noch nie zusammen gekickt. In Schottland zerbrach man sich über die Aufstellung etwas weniger den Kopf, der älteste Glasgower Verein Queen’s Park wurde kurzerhand zum Nationalteam.

Kleines Vermögen

Die Gäste, durchwegs Adelsleute, hätten sich gerne von der Anreise erholt und schlugen den Montag als Spieltag vor. Doch wie es etwa in dem tatsächlich runden Buch Spiele, die Geschichte schrieben (Egoth-Verlag, 2006) nachzulesen ist, bestand das schottische Team großteils aus Arbeitern, die am Montag ebenso wenig freibekommen hätten wie die Fans, auf deren Besuch man hoffte. Also blieb es bei Samstag. Fünf Pence, der halbe Tageslohn eines einfachen Arbeiters, waren für den Eintritt zu berappen, dennoch fanden sich gut 5000 Zuseher ein. Die Einnahmen beliefen sich also auf 109 Pfund Sterling, ein kleines Vermögen.

Sieben der englischen Fußballer trafen dem Vernehmen nach erst in der Nacht vor dem Spiel in Glasgow ein und schlugen sich, was von ihr noch übrig war, dann gleich noch um die Ohren. Die anderen vier kamen unmittelbar vor Spielbeginn an, wahrscheinlich waren sie sogar besser beisammen als ihre früher angereisten Kollegen.

Die Hosen der Spieler mussten die Knie bedecken, die Spieler waren angehalten, Mützen mit Quasten zu tragen. Zwischen den Torstangen war in 2,44 Meter Höhe eine Schnur gespannt. Vom Spiel selbst, das auf dem Cricket Field von Partick bei Glasgow stattfand, ist relativ wenig überliefert, allein Berichte von The North British Daily Mail und der damaligen Londoner Zeitung Bell’s Life geben Aufschluss. "Die Engländer konnten das Publikum mit einigen prächtigen Dribblings erstaunen", ist da nachzulesen. Mit Fortdauer der Partie sei Schottland freilich immer stärker geworden. "Manchmal schien es, als bestürmten die Blauhemden die englische Zitadelle."

Ovale Schweinsblase

Mag sein, dass der Schotte Leckie die größte Möglichkeit des Matches vergab, als er den Ball, eine mit Lederhaut versehene, luftgefüllte und eher ovale denn runde Schweinsblase, knapp über das Tor beförderte. Auch sind englische Spielzüge überliefert, bei denen der Ballführende von Mitspielern wie von einem Rudel umringt und abgeschirmt wurde. "Ottaway, Clegg, Kirke-Smith und Morice lancierten gefährliche Attacken in der schottischen Hälfte." Aber: "Schottland verhinderte einen englischen Torerfolg durch gemeinsame Anstrengungen von Weir, Rhind, Wotherspoon, Leckie und Kerr, die den Ball ins Mittelfeld zurückbeförderten."

Der bestellte Fotograf schoss aus Mangel an zahlungswilligen Zusehern kein einziges Bild. Von Referee Keay, einem Schotten, waren exakt zwei Pfiffe zu hören. Einer zur Halbzeit, einer zum Schluss. Fairplay wurde großgeschrieben, Fußballer verstanden sich als Gentlemen und waren ja oft auch welche. Mit dem 0:0 waren Spieler wie Fans zufrieden. Nach Keays zweitem Pfiff ließ jedes Team das andere dreimal hochleben, dann zog man weiter zum Festbankett in Carrick’s Royal Hotel. Dass die Engländer ihre Müdigkeit noch einmal überwinden konnten, davon ist auszugehen. (Fritz Neumann, 30.11.2022)