Mädchen, die in unteren sozialen Schichten beziehungsweise unter besonders schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind, neigen zu einer höheren Risikobereitschaft – auch in puncto Drogenkonsum.

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Es ist ein aufsehenerregender Kriminalfall. Am 10. November gingen eine Elf- und eine 14-Jährige mit einem älteren Jugendlichen in eine fremde Wohnung in Wien, um dort Drogen zu besorgen. Bereits tags zuvor sollen sie von dem 18-jährigen Iraker Ecstasy erhalten haben. Die Elfjährige soll in weiterer Folge in der Wohnung vom 18-Jährigen schwer sexuell missbraucht worden sein. Einem 17-jährigen Österreicher – laut "Profil" mit arabischem Vornamen – wird vorgeworfen, die sexuelle Selbstbestimmung der 14-Jährigen verletzt zu haben.

Die Causa erinnert an den Fall Leonie W.: Sie starb im Juni 2021. Drei junge Afghanen sollen die damals 13-Jährige in eine Wohnung mitgenommen, ihr eine dreifach tödliche Ecstasy-Dosis verabreicht und sie sexuell missbraucht haben. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

Die gerichtliche Aufarbeitung der Fälle rund um die sexuellen Übergriffe ist die eine Seite. Allgemein lässt sich laut Statistik aber festhalten, dass bei den 943 Vergewaltigungen, die in Österreich 2021 angezeigt wurden, 43 Prozent der mutmaßlichen Täter eine fremde Staatsbürgerschaft haben. Deutlich überrepräsentiert gemessen am Bevölkerungsanteil waren afghanische und syrische Tatverdächtige.

Bei den beiden obengenannten Missbrauchsfällen ist aber auch der Bezug zu Drogen auffällig – und der Umstand, dass junge Mädchen dafür in fremde Wohnungen mitgegangen sind. Das dürften keine Einzelbeobachtungen sein. "Die Risikobereitschaft bei Mädchen in gefährdeten Gruppen nimmt zu", sagt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, im Gespräch mit dem STANDARD. Das treffe vor allem auf Mädchen zu, die in unteren sozialen Schichten beziehungsweise unter besonders schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind. Es gehe um die Suche nach Anerkennung, Drogenkonsum sei meist nur ein Nebeneffekt.

Verlagerung in den privaten Bereich

Problematisch sei, dass sich durch die Corona-Pandemie vieles, auch der Drogenkonsum, in den privaten Bereich verschoben habe. Dadurch seien diese Jugendlichen für Expertinnen und Experten schwerer greifbar. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter würden in Gesprächen weiterhin versuchen, junge Menschen aufzuklären und sie davon zu überzeugen, "nicht so ein hohes Risikoverhalten zu zeigen".

Laut Lochner habe die Pandemie zu erhöhten psychischen Belastungen bei Jugendlichen geführt. Besonders betroffen seien auch hier Angehörige von unteren sozialen Schichten und junge Menschen, die aus problematischen Familienverhältnissen stammen. "Dazu kommt, dass die Pubertät mittlerweile früher einsetzt und die Adoleszenz länger dauert", sagt Lochner. Psychische Probleme, die bisher bei älteren Jugendlichen aufgetreten seien, würden immer früher ein Thema. Über diese Entwicklung müssten Eltern auch aufgeklärt werden.

Benzos nehmen zu

Bei illegalen Drogen sei bei unter 18-Jährigen Cannabis vorherrschend. Die beobachtete Steigerung beim Konsum sei "erheblich", sagt Lochner. Laut Bericht zur Drogensituation 2021 der Gesundheit Österreich haben 30 bis 40 Prozent der jungen Erwachsenen Konsumerfahrungen mit Cannabis. Bei Ecstasy, Kokain und Amphetamin beträgt sie maximal sechs Prozent. Die Verbreitung von Ecstasy sei nicht höher geworden, sagt Lochner. Es gebe "ein Problem mit Benzos". Benzodiazepine sind Arzneimittel, die gegen Angst- und Schlafstörungen verschrieben werden.

"Wir beobachten derzeit, dass mehr Jugendliche kommen, die Benzodiazepine nehmen und einen Entzug brauchen", sagt Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH Wien. Für die auf Rezept erhältlichen auch als "Mother’s little helper" bezeichneten Medikamente, die schnell süchtig machen können, existiert offenbar auch ein Schwarzmarkt.

Oft gehe der Benzo-Konsum mit dem Wunsch einher, aus einer belastenden Realität auszusteigen, sagt Plener. "Auffällig ist, dass derzeit immer wieder Jugendliche in Behandlung kommen, die schon über einen längeren Zeitraum Benzodiazepine konsumiert haben", berichtet der Klinikleiter. (David Krutzler, Gudrun Springer, 30.11.2022)