"Heute"-Chefredakteur Christian Nusser, hier bei den Österreichischen Medientagen 2021.

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Wien – Was wäre, wenn öffentliche Stellen ihre – in Österreich besonders hohen – Werbebuchungen von einem Tag auf den anderen stoppten? Diese Frage ereilte Christian Nusser, Chefredakteur der Gratiszeitung "Heute", Dienstagabend bei einer Medienrunde in Wien. "Heute" ist regelmäßig unter den von öffentlichen Stellen meistgebuchten Medien.

"Das würde natürlich ein starker Einschnitt sein", sagte Nusser bei der Mediendiskussion der "Aufmacher"-Reihe: "Wir würden es wahrscheinlich noch relativ lange schaffen. Weil wir schlank sind und weil wir mittlerweile einen sehr starken Onlinebereich haben."

"Wer das behauptet, lügt sich in die eigene Tasche"

Der "Heute"-Chefredakteur räumt ein: "Aber natürlich bin ich nicht blauäugig zu sagen: Wenn das weg ist, geht es uns gut. Wer das behauptet, lügt sich in die eigene Tasche."

Die Debatte über öffentliche Inserate und darüber, wer sie bekommt, aber auch über öffentliche Beihilfen nennt Nusser "sehr aufgeheizt". Er sagt: "Es wird in kaum einem Bereich so viel geschwindelt und gelogen wie in diesem Bereich."

Der Chefredakteur von "Heute" beschreibt diese Diskussion so: "Es gibt da viele Menschen, die den Eindruck erwecken, als würden sie den Steuerzahlern unglaublich gern viel Geld ersparen. Niemand will ihnen Geld zurückgeben. Jeder will das Geld für sich."

Der Autor des satirischen Wochenkommentars "Kopfnüsse" vermittelt seine Sicht der Kritik an Regierungswerbung von Bund und Ländern mit diesem Bild: "Es gibt zwei Arten von Geld im Markt: gutes Geld und schlechtes Geld. Gutes Geld ist jenes, das mir zufließt, das ist für einen guten Zweck, das bildet die Gesellschaft aus, das ist nachhaltig investiert, ökonomisch und ökologisch sauber. Das schlechte Geld ist prinzipiell auch gutes Geld, es hat nur jemand anderer. Man kann schlechtes Geld zu gutem Geld machen, wenn man es mir gibt. Das ist die Grundstruktur dieser ganzen sehr aufgeheizten Diskussion."

Machen wir's den Bauern nach

Nusser findet: "Jeder rechnet das auf seine Weise, jeder interpretiert das auf seine Weise. Medien tun sich keinen Gefallen, sich ständig selbst ans Bein zu pinkeln. Es gibt andere Branchen, wenn ich da an die Bauernschaft denke, die machen das viel geschickter mit Subventionen."

Gut möglich, dass Nusser da auf die Berichterstattung etwa des STANDARD über die Vergabe öffentlicher Werbung anspielt oder auch auf die Studienreihe "Scheinbar transparent" des Medienhauses Wien, die zuletzt im Sommer 2022 zu dem Schluss kam, Boulevardmedien profitierten weiter am stärksten von Regierungswerbung.

Ein Stopp öffentlicher Inserate würde laut Nusser für die Medienbranche bedeuten: "Das wird den Markt natürlich enger machen. Was dann als Nächstes daraus entsteht, weiß man nicht. Das ist wie ein Vulkanausbruch. Und kann ja sein, dass viel zerstört wird und etwas fruchtbares Neues entsteht."

Aber: "Ich glaube nicht, dass diese Situation eintreten wird, so gut kenne ich das Land. Es würden mehrere Vulkanausbrüche nötig sein, damit sich etwas an diesem Land verändert."

"Was einem Jahr sein wird, kann ich nicht beantworten"

Gratiszeitungen sind abhängiger von Werbeerlösen als Kaufmedien, die sich auch auf Vertriebserlöse stützen. Zugleich produzieren Gratiszeitungen wie "Heute" hohe Auflagen – 485.910 Exemplare waren es bei Nussers Blatt im ersten Halbjahr pro Werktag. Wie geht es "Heute" angesichts vervielfachter Papierpreise und gewaltiger Teuerung?

"Das ist ein massiver Eingriff in den Markt, der zweite nach Corona", bestätigt Nusser. Corona habe die Transformation von Print zu Digital bereits beschleunigt.

Der "Heute"-Chefredakteur berichtet von einem "ständigen Abwägungsprozess: Was kannst du dir leisten?" Sein Medium habe eine "sehr schlanke Redaktion", aber: "Wir müssen auf den Euro schauen."

"Wohin das führt, kann ich nicht sagen", räumt Nusser ein. "Wenn Sie mich fragen, wo das in einem Jahr sein wird, kann ich das nicht beantworten."

"Wer mag schon Menschen?"

Nusser (59) hat als Chronikreporter bei der "Arbeiterzeitung" begonnen, war Chefredakteur etwa von "TV-Media" in der von der Familie Fellner gegründeten News-Gruppe (VGN), er war Gründungschefredakteur von oe24.at und wechselte 2012 als Chefredakteur von den Fellners zu "Heute", herausgegeben von Eva Dichand.

Chronikreporter ist nicht der gefragteste Job für Journalistinnen und Journalisten, berichtet Nusser. Was müssen sie mitbringen? "Man muss Menschen mögen." Nachsatz: "Wer mag schon Menschen?"

Wohl ein – zumindest auch – ironischer Nachsatz. Denn gerade vorhin hat Nusser darüber gesprochen, dass "guter Boulevardjournalismus seine Leser ernst nimmt, sie nicht vertrottelt, sich nicht über sie lustig macht". Auch wenn das Publikum "in anderen Lebensumständen ist als man selbst". (fid, 30.11.2022)