Die anonymisierte STANDARD-Redaktion. Auch in der Berichterstattung müssen wir in manchen Fällen identifizierende Beschreibungen vermeiden.

Foto: DER STANDARD/Heribert Corn

Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Wieso wird hier der Name nicht genannt? Diese Frage wird der STANDARD-Redaktion über Postings und Leserbriefe immer wieder gestellt. Die Antwort: Manchmal ist es aus medienrechtlichen oder ethischen Gründen nicht erlaubt oder angebracht, Namen zu veröffentlichen, selbst wenn sie uns bekannt sind. Auch sonstige Angaben, die zu einer Erkennbarkeit führen können, sind vor allem bei der Kriminal- und Gerichtssaalberichterstattung verboten. Besonders heikel sind natürlich auch Fotos.

Im Ehrenkodex für die österreichische Presse ist geregelt, dass jeder Mensch Anspruch auf Wahrung der Würde der Person und Persönlichkeitsschutz hat. Personen, deren Leben gefährdet ist, dürfen nicht identifiziert werden.

Auf die Anonymitätsinteressen von Unfall- und Verbrechensopfern ist besonders zu achten. Ausnahmen sind bei einer amtlichen Veranlassung möglich, wenn das Opfer eine allgemein bekannte Person ist oder die Opferseite selbst in die Preisgabe des Namens eingewilligt hat.

Besonderer Schutz für Jugendliche

Jugendliche sind besonders geschützt: Berichte über Verfehlungen dürfen deren mögliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht erschweren. In solchen Fällen soll der volle Name nicht veröffentlicht werden.

Das Mediengesetz (siehe Glossar unterhalb) schützt nicht nur mögliche Opfer, sondern auch Täter und Tatverdächtige. Wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen durch eine identifizierende Berichterstattung verletzt würden und es kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der (mutmaßlichen) Tat gibt, muss grundsätzlich anonymisiert berichtet werden. Wenn der (mutmaßliche) Täter in der Öffentlichkeit steht oder sich selbst an die Öffentlichkeit wendet, kann der Name genannt werden.

Das Problem: Oft ist es nicht eindeutig, ob das öffentliche Interesse tatsächlich überwiegt. Und bei Kriminalfällen sind nicht nur die (mutmaßlichen) Täter und Täterinnen involviert, sondern deren gesamte Umgebung wie Familie und das soziale Umfeld. Wir überlegen deshalb immer sehr genau, meistens in Abstimmung mit unserer Rechtsabteilung oder unserer Medienanwältin Maria Windhager, ob wir Namen nennen oder anonymisieren. Je nach Entwicklung kann sich die Sachlage auch wieder ändern, dann ändern wir nach erneuter Prüfung nicht selten unsere Vorgangsweise. Die Letztentscheidung trifft die Chefredaktion.

Die folgenden Beispiele sollen verdeutlichen, wie schwierig diese Entscheidungen oft zu treffen sind:

Keine Namensnennung

Im Jahr 2017 gab es am Wörthersee einen Bootsunfall. Ein Mensch starb, 2019 wurde der damals involvierte Medienmanager wegen grob fahrlässiger Tötung verurteilt. DER STANDARD verzichtete nach längerer Überlegung auf identifizierende Berichterstattung. Der Hauptgrund: Der Vorfall ereignete sich im Privatbereich, die Tat stand nicht im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Funktion. In diesem Fall war es aufgrund der Bekanntheit der Person besonders strittig, ob wirklich seine Anonymitätsinteressen überwogen haben. Zudem sollten sowohl die Familie des Opfers als auch die des Täters nicht an den medialen Pranger gestellt werden. Im Forum des STANDARD wurde diese Entscheidung oft hinterfragt und kritisiert, wir sind dennoch dabei geblieben, weil wir auch den Persönlichkeitsschutz grundsätzlich sehr ernst nehmen.

Namensnennung

Aktuell gab es kürzlich zwei ähnlich gelagerte Fälle. Bei Ersterem wurde der Ex-Bürgermeister der oberösterreichischen Gemeinde Scharten, Jürgen Höckner, rechtskräftig wegen Vergewaltigung verurteilt. Zunächst haben wir über den Fall noch anonym berichtet, der Beschuldigte sprach aber dann selbst mit Medien über die Causa und stimmte damit der identifizierenden Berichterstattung zu. In der Vorwoche war eine Lenkerin alkoholisiert in einen Unfall verwickelt, bei dem ein Mensch gestorben ist. Hier wurde erst berichtet, nachdem sich die Ex-Fußballnationalspielerin Nina Burger mit einem Statement selbst an die Öffentlichkeit gewandt hatte.

Wolfgang Fellner war wie so oft ein Sonderfall. DER STANDARD hatte als erstes Medium über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen ihn berichtet. Er wies in einer ersten Reaktion alle Beschuldigungen brüsk zurück, weshalb wir uns zunächst noch für die Anonymisierung entschieden hatten. Nachdem sich die Anschuldigungen aber zunehmend häuften und sich die Vorwürfe verdichteten, entschieden wir uns aufgrund des öffentlichen Interesses für die Namensnennung. Fellner versuchte gegen die Berichterstattung und sogar gegen die Recherchen des STANDARD zu den Übergriffen mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage vorzugehen, war damit aber nicht erfolgreich.

Wann gibt es ein öffentliches Interesse?

Grundlage für viele unserer Entscheidungen ist das schon öfter genannte "öffentliche Interesse". Was darunter genau zu verstehen ist, wird auch im Ehrenkodex erklärt: "In konkreten Fällen, insbesondere bei Personen des öffentlichen Lebens, wird es notwendig sein, das schutzwürdige Interesse der Einzelperson an der Nichtveröffentlichung eines Berichts beziehungsweise Bildes gegen ein Interesse der Öffentlichkeit an einer Veröffentlichung sorgfältig abzuwägen. Öffentliches Interesse ist besonders dann gegeben, wenn es um die Aufklärung schwerer Verbrechen, den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit oder um die Verhinderung einer Irreführung der Öffentlichkeit geht."

Wie Sie merken, ist es hier nicht immer einfach, eine klare Trennlinie zu ziehen. Sie merken sicherlich auch, dass es oft Unterschiede zwischen Medien gibt, wie diese mit Namensnennungen und Bildberichterstattung umgehen. Wir versuchen stets, die für unser Haus passende Vorgangsweise zu wählen. Wir hinterfragen auch immer wieder unsere Entscheidungen, wofür auch das Feedback unserer Leserinnen und Leser wichtig ist. (Rainer Schüller, 30.11.2022)