Geht es politisch um Pensionistinnen und Pensionisten, geht es meistens um Geld: Steigende Kosten sorgen für Diskussionen – und Konflikte.

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Es sind brisante Gutachten, die die Alterssicherungskommission am späten Mittwochnachmittag beschloss. Laut den von den zuständigen Ministerien vorgelegten Prognosen sollen die staatlichen Ausgaben für die Pensionen bis 2027 von 5,8 auf 6,73 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen (DER STANDARD berichtete). Damit kündigt sich ein deutlich größerer Kostensprung an, als noch vor einem Jahr vorausgesagt wurde.

Angesichts der Umstände komme dies nicht überraschend, sagt Christine Mayrhuber, die als Expertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) in der Alterssicherungskommission sitzt. Sie sieht drei Treiber hinter dem Kostenanstieg: Erstens kommen geburtenstarke Jahrgänge ins Ruhestandsalter, die dank stabiler Erwerbskarrieren obendrein hohe Pensionsansprüche haben. Zweitens steigen die Einkommen und damit die Beitragszahlungen ins Pensionssystem wegen der vom Ukraine-Krieg ausgelösten Wirtschaftsflaute weniger stark als ursprünglich erwartet. Drittens schlagen sich hohe Pensionsanpassungen nieder, wie sie wegen der Teuerungswelle auch in den nächsten Jahren zu erwarten sind.

Keine simple Lösung

Was Ausgaben dämpfen könnte, ist bekannt: Die Österreicher müssten später in Pension gehen, wobei Gendern verzichtbar ist. Denn während Frauen mangels gesetzlicher Auswege im Schnitt im gesetzlich vorgesehenen Alter von 60 Jahren die Arbeitswelt verlassen, sind die Männer zu früh dran: Statt mit 65 zogen sie sich im Vorjahr mit 61,8 Jahren aufs Altenteil zurück.

"Unbedingt" solle sich die Politik dem Ziel widmen, Menschen im Berufsleben zu halten, sagt Mayrhuber, dämpft aber gleichzeitig Hoffnungen: "Die eine, einfache Lösung ist eine Illusion. Es wird an vielen Stellschrauben zu drehen sein."

Hohe Altersarbeitslosigkeit

Anzusetzen gelte es am Arbeitsmarkt, der jenen, die länger durchhalten sollen, zu wenige Chancen biete: "Die Altersarbeitslosigkeit ist unglaublich hoch." Laut Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) liegt die Quote bei den 60- bis 64-Jährigen mit aktuell zehn Prozent mit Abstand am höchsten von allen Arbeitsgruppen.

Wie das zu den Klagen von Betrieben passt, keine Arbeitskräfte zu finden? Offenbar bringen viele der Älteren nicht exakt die nachgefragten Qualifikationen mit, erläutert Mayrhuber, und so manches Unternehmen habe diesen Pool wohl noch nicht einmal "auf dem Radar". Die Politik müsse deshalb versuchen, einen Bewusstseinswandel anzustoßen: Werden Beschäftigte etwa auch noch im fortgeschrittenen Alter auf Weiterbildung geschickt, dann steigere das die Chance auf den Verbleib im Erwerb.

Psychisch angeschlagen

Weitere Hürde: Ein Drittel der rund 43.200 Frühpensionistinnen und Frühpensionisten des Vorjahres machte gesundheitliche Gründe geltend, wobei psychische Leiden dominieren. Bisherige Bemühungen, angeschlagene Beschäftigte wieder zurück in den Job zu bringen, haben nicht gegriffen, weil sie offenbar zu spät ansetzen.

Doch Arbeitslosigkeit und Krankheit allein können das Phänomen nicht erklären. Von den knapp 42.500 Männern, die im Vorjahr eine Alterspension angetreten haben, taten dies mehr als zwei Drittel verfrüht – obwohl sie dabei, wie eine Studie des Wifo zeigt, mitunter auf sehr viel Geld in Form höherer Monatspensionen verzichten.

Ahnungslos in die Pension?

Die Angst, dass es von einem Jahr aufs andere zu politisch verhängten Verschlechterungen kommen könne, sei ein Antrieb, glaubt Mayrhuber, außerdem mangle es an Information. Umfragen zeigten, dass das Pensionssystem für viele Versicherte einer "Blackbox" gleiche, sagt die Ökonomin. Dabei sei es eine Bringschuld der Versicherungen, die Menschen über die finanziellen Konsequenzen eines früheren oder späteren Pensionsantritts aufzuklären: "Schon 30-Jährige sollten automatisch informiert werden."

Ein weiterer möglicher Grund ist das Gefühl zunehmender Arbeitsüberlastung: Zahlreiche Umfragen belegen, dass Werktätige einen steigenden Arbeitsstress wahrnehmen.

Kommission ist über Kreuz

Was nun konkret passieren soll? Die Alterssicherungskommission, in der vor allem die Interessenvertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Kreuz sind, konnte sich auf keine einhellige Empfehlung einigen. Auch eines der Gutachten war umstritten, und zwar jenes zur Entwicklung in der gesetzlichen Pensionsversicherung (Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Bauern). Arbeiterkammer und ÖGB wollten manche Annahmen nicht akzeptieren, weil diese zu pessimistisch seien, blieben mit ihrem Einspruch aber in der Minderheit.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) verspricht Verbesserungen bei der Information der Versicherten und der Gesundheitsvorsorge – eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters hat er hingegen nicht auf der Agenda. Ob dieser Schritt notwendig wäre? Expertin Mayrhuber verweist darauf, dass dies bei den Frauen ab 2024 ohnehin schrittweise geschehe. Erst sollte dieser Prozess 2033 abgeschlossen werden, sonst verkomme das Pensionssystem zu einem "Durcheinander". (Gerald John, 30.11.2022)