Bei ORF 3 – hier die Nachrichtensignation von "ORF 3 aktuell" – wurden Arbeitszeiteinträge nachträglich verändert.

Foto: Sceenshot ORF TVthek

Wien – Im Schatten der großen Finanzierungskrise des ORF beschäftigt sich der Stiftungsrat am Donnerstag mit einer kleinen ORF-Tochter: Bei ORF 3 erhob der Betriebsrat schwere Vorwürfe über nachträglich manipulierte Arbeitszeiterfassung. Der ORF weist wesentliche Teile der Vorwürfe nach internen Prüfungen zurück – verändert wurden Aufzeichnungen allerdings nachträglich.

Protestbrief an ORF-Führung

Der Vorsitzende des ORF-3-Betriebsrats wandte sich am 1. September in einem Schreiben an ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, den Vorsitzenden des Stiftungsrats, Lothar Lockl, an ORF-Finanzdirektorin Eva Schindlauer und die Geschäftsführung von ORF 3. Der Brief liegt auch dem STANDARD vor, weitere Medien haben bereits darüber berichtet.

Die Vorwürfe des Betriebsrats Rainer Kaplinger beziehen sich auf einen Zeitraum von Jänner 2018 bis Dezember 2021 – in die Zeit fielen Corona-Lockdowns und zweitweise Isolation von Teams auf dem Küniglberg, zahllose Übertragungen von Regierungspressekonferenzen auf ORF 3. Der Betriebsrat wirft der Geschäftsführung von ORF 3 in dem Brief Verletzungen des Arbeitsgesetzes, Unterschreitungen von Ruhezeiten und Überschreitungen von maximalen Arbeitszeiten vor, die Eintragunge seien nachträglich verändert worden.

Geschäftsführer von ORF 3 ist Peter Schöber, als Co-Geschäftsführerin für Finanzen war in der relevanten Zeit die heutige ORF-Direktorin Schindlauer tätig. Ihre Funktion bei ORF 3 hat inzwischen Kathrin Zierhut-Kunz übernommen, die 2018 Personalchefin im ORF wurde, als noch die FPÖ Koalitionspartner der ÖVP war. Zierhut war, soweit von außen nachvollziehbar, vom Betriebsrat vor dem Schreiben an die ORF-Führung informiert. Am 1. September fand es der Betriebsrat offenbar angezeigt, die ORF-Führung einzuschalten.

Verschiebungen nicht gezielt, um Zulagen zu vermeiden

Am Montag im Finanzausschuss des Stiftungsrats zitierte ORF-General Weißmann nach STANDARD-Infos aus ersten internen, stichprobenartigen Prüfberichten zur Causa. Weißmann soll sich im Finanzausschuss vor seine Finanzdirektorin Schindlauer gestellt haben. Eine – inzwischen ehemalige – Mitarbeiterin von ORF 3 habe die Aufzeichnungen nachträglich verändert.

Die Prüfberichte fanden nach seinen Angaben im Ausschuss bisher keine Anhaltspunkte, die rechtskonforme Führung des Zeitkontos bei ORF 3 anzuzweifeln. Eingeräumt werden in den Berichten aber laut Sitzungsteilnehmern "Verschiebungen", die, entgegen den ursprünglichen Vorwürfen des Betriebsrats, aber nicht eingesetzt worden seien, um etwa Zulagenansprüche zu vermeiden.

Die bisherigen Prüfungen sollen in Einzelfällen Nachzahlungen in Größenordnungen von 50 bis 200 Euro pro Mitarbeiter ergeben haben und würden nachverrechnet. In anderen Fällen soll es aber auch zu hohe Bezahlung in etwa diesen Dimensionen gegeben haben.

Die Prüfer sollen dem Tochterunternehmen ORF 3 empfehlen, die Arbeitszeiterfassung und ihre Kontrolle neu zu organisieren; die Geschäftsführung des Senders könnte zeitgemäßer führen und dafür sorgen, dass die Belegschaft die Arbeitszeitregelungen einhalten kann.

"Nicht vorsätzlich benachteiligend"

Auf STANDARD-Anfrage zu den Vorwürfen betont ein ORF-Sprecher: "Der ORF hat sofort nach Einlagen des Schreibens des ORF-3-Betriebsrates die nötigen Schritte eingeleitet, um den komplexen Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen. Sämtliche Fragestellungen und erhobenen Vorhalte des ORF-3-Betriebsrates wurden einer eingehenden Überprüfung unterzogen."

Dabei sei man in zwei unterschiedlichen Prüfungsfeldern allerdings "zu gänzlich anderen Ergebnissen gekommen, als der ORF-3-Betriebsrat in seinem Schreiben zunächst unterstellt hat". Diese Ergebnisse habe man dem ORF-3-Betriebsrat in mehreren Gesprächen erläutert. "Die Kernvorwürfe des Schreibens – 'kollektivvertragliche Unterentlohnung im enormen Ausmaß', 'Vermeidung der Entstehung von Zuschlägen bzw. keine Gewährung derselben' – wurden ausgeräumt", erklärt der ORF in seiner Stellungnahme.

Und: "Die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleisteten und in Entsprechung des ORF-3-Kollektivvertrages bewerteten Mehr- und Überstunden wurden entweder in Form eines Zeitausgleichs gewährt oder zur Auszahlung gebracht. Der Vorwurf einer vorsätzlich benachteiligenden Manipulation der Arbeitszeitaufzeichnungen ist nicht richtig und wird vom ORF zurückgewiesen."

"Kein Kavaliersdelikt"

Bei der zuständigen Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) heißt es auf STANDARD-Anfrage: "Manipulationen von Zeitaufzeichnungen sind kein Kavaliersdelikt."

Die Gewerkschaft unterstütze den Betriebsrat von ORF 3 bei seiner Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung der diesbezüglichen Vorgänge bei ORF 3. Sie fordert den ORF auf, zur Aufklärung auf Augenhöhe beizutragen (an der man laut ORF-Auskunft dort arbeitet).

"Neben einem etwaigen finanziellen Schaden der Kolleginnen und Kollegen bei ORF 3 steht die Gesundheit der Beschäftigten im Fokus", gibt die GPA zu bedenken. "Durch die Überschreitung von Arbeitszeiten und Unterschreitungen von Ruhezeiten entsteht eine physische und psychische Mehrbelastung, deren Schaden im Nachhinein nicht mehr repariert werden kann. Die Gefahr von Burnout ist groß. Umso wichtiger ist es, diese Vorgänge nun lückenlos aufzuklären, etwaige Schäden zu reparieren und für die Zukunft geeignete Maßnahmen zu ergreifen."

Personalabgänge

Bei ORF 3 soll es in den vergangenen Monaten massive Personalabgänge gegeben haben, nach STANDARD-Infos sollen 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ORF-Tochter verlassen haben, das müsste rund ein Viertel der Belegschaft sein.

Ein ORF-Sprecher ordnet die Abgänge als "natürliche Personalfluktuation wie in allen Unternehmen" ein. Zudem seien in den vergangenen Monaten acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ORF 3 zum ORF gewechselt – Geschäftsführerin Schindlauer wurde ORF-Finanzdirektorin, Chefredakteurin Ingrid Thurnher Radiodirektorin im ORF, Martha Gutschi übernahm die Programmplanung; weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien in Direktionsstäbe gewechselt. Insgesamt wurde das ORF-3-Team in den letzten zwölf Monaten mit acht zusätzlichen Dienstposten verstärkt.

Im Finanzausschuss erkundigte sich der von der FPÖ in den Stiftungsrat entsandte Rechtsanwalt Niki Haas, ob in Sachen ORF 3 und Arbeitszeiten schon eine anonyme Anzeige eingelangt sei. Im ORF ist davon nichts bekannt, hieß es auf Anfrage. (fid, 1.12.2022)